Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsätzen
also, wenn man auch auf die apodictische Gewißheit
Verzicht thun wollte, durch Erfahrung bestätigt und
so a posteriori bewiesen werden, und steht dennoch
für sich selbst fest.

Etwas anderes aber und ganz Widersinnisches
tritt an die Stelle dieser vergeblich gesuchten Deduction
des moralischen Princips, nemlich, daß es umgekehrt
selbst zum Princip der Deduction eines unerforschlichen
Vermögens dient, welches keine Erfahrung beweisen,
die speculative Vernunft aber (um unter ihren cosmo-
logischen Ideen das Unbedingte seiner Causalität nach
zu finden, damit sie sich selbst nicht widerspreche,) we-
nigstens als möglich annehmen mußte, nemlich das der
Freyheit, von der das moralische Gesetz, welches selbst
keiner rechtfertigenden Gründe bedarf, nicht blos die
Möglichkeit, sondern die Wirklichkeit an Wesen bewei-
set, die dies Gesetz als für sie verbindend erkennen.
Das moralische Gesetz ist in der That ein Gesetz der
Causalität durch Freyheit, und also der Möglichkeit
einer übersinnlichen Natur, so wie das metaphysische
Gesetz der Begebenheiten in der Sinnenwelt ein Gesetz
der Causalität der sinnlichen Natur war, und jenes
bestimmt also das, was speculative Philosophie unbe-
stimmt lassen mußte, nemlich das Gesetz für eine Cau-
salität, deren Begriff in der letzteren nur negativ war,
und verschafft diesem also zuerst objective Realität.

Diese

I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen
alſo, wenn man auch auf die apodictiſche Gewißheit
Verzicht thun wollte, durch Erfahrung beſtaͤtigt und
ſo a poſteriori bewieſen werden, und ſteht dennoch
fuͤr ſich ſelbſt feſt.

Etwas anderes aber und ganz Widerſinniſches
tritt an die Stelle dieſer vergeblich geſuchten Deduction
des moraliſchen Princips, nemlich, daß es umgekehrt
ſelbſt zum Princip der Deduction eines unerforſchlichen
Vermoͤgens dient, welches keine Erfahrung beweiſen,
die ſpeculative Vernunft aber (um unter ihren cosmo-
logiſchen Ideen das Unbedingte ſeiner Cauſalitaͤt nach
zu finden, damit ſie ſich ſelbſt nicht widerſpreche,) we-
nigſtens als moͤglich annehmen mußte, nemlich das der
Freyheit, von der das moraliſche Geſetz, welches ſelbſt
keiner rechtfertigenden Gruͤnde bedarf, nicht blos die
Moͤglichkeit, ſondern die Wirklichkeit an Weſen bewei-
ſet, die dies Geſetz als fuͤr ſie verbindend erkennen.
Das moraliſche Geſetz iſt in der That ein Geſetz der
Cauſalitaͤt durch Freyheit, und alſo der Moͤglichkeit
einer uͤberſinnlichen Natur, ſo wie das metaphyſiſche
Geſetz der Begebenheiten in der Sinnenwelt ein Geſetz
der Cauſalitaͤt der ſinnlichen Natur war, und jenes
beſtimmt alſo das, was ſpeculative Philoſophie unbe-
ſtimmt laſſen mußte, nemlich das Geſetz fuͤr eine Cau-
ſalitaͤt, deren Begriff in der letzteren nur negativ war,
und verſchafft dieſem alſo zuerſt objective Realitaͤt.

Dieſe
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0090" n="82"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. <hi rendition="#aq">I.</hi> B. <hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;t. Von den Grund&#x017F;a&#x0364;tzen</fw><lb/>
al&#x017F;o, wenn man auch auf die apodicti&#x017F;che Gewißheit<lb/>
Verzicht thun wollte, durch Erfahrung be&#x017F;ta&#x0364;tigt und<lb/>
&#x017F;o <hi rendition="#aq">a po&#x017F;teriori</hi> bewie&#x017F;en werden, und &#x017F;teht dennoch<lb/>
fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t fe&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Etwas anderes aber und ganz Wider&#x017F;inni&#x017F;ches<lb/>
tritt an die Stelle die&#x017F;er vergeblich ge&#x017F;uchten Deduction<lb/>
des morali&#x017F;chen Princips, nemlich, daß es umgekehrt<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zum Princip der Deduction eines unerfor&#x017F;chlichen<lb/>
Vermo&#x0364;gens dient, welches keine Erfahrung bewei&#x017F;en,<lb/>
die &#x017F;peculative Vernunft aber (um unter ihren cosmo-<lb/>
logi&#x017F;chen Ideen das Unbedingte &#x017F;einer Cau&#x017F;alita&#x0364;t nach<lb/>
zu finden, damit &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t nicht wider&#x017F;preche,) we-<lb/>
nig&#x017F;tens als mo&#x0364;glich annehmen mußte, nemlich das der<lb/>
Freyheit, von der das morali&#x017F;che Ge&#x017F;etz, welches &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
keiner rechtfertigenden Gru&#x0364;nde bedarf, nicht blos die<lb/>
Mo&#x0364;glichkeit, &#x017F;ondern die Wirklichkeit an We&#x017F;en bewei-<lb/>
&#x017F;et, die dies Ge&#x017F;etz als fu&#x0364;r &#x017F;ie verbindend erkennen.<lb/>
Das morali&#x017F;che Ge&#x017F;etz i&#x017F;t in der That ein Ge&#x017F;etz der<lb/>
Cau&#x017F;alita&#x0364;t durch Freyheit, und al&#x017F;o der Mo&#x0364;glichkeit<lb/>
einer u&#x0364;ber&#x017F;innlichen Natur, &#x017F;o wie das metaphy&#x017F;i&#x017F;che<lb/>
Ge&#x017F;etz der Begebenheiten in der Sinnenwelt ein Ge&#x017F;etz<lb/>
der Cau&#x017F;alita&#x0364;t der &#x017F;innlichen Natur war, und jenes<lb/>
be&#x017F;timmt al&#x017F;o das, was &#x017F;peculative Philo&#x017F;ophie unbe-<lb/>
&#x017F;timmt la&#x017F;&#x017F;en mußte, nemlich das Ge&#x017F;etz fu&#x0364;r eine Cau-<lb/>
&#x017F;alita&#x0364;t, deren Begriff in der letzteren nur negativ war,<lb/>
und ver&#x017F;chafft die&#x017F;em al&#x017F;o zuer&#x017F;t objective Realita&#x0364;t.</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Die&#x017F;e</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0090] I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen alſo, wenn man auch auf die apodictiſche Gewißheit Verzicht thun wollte, durch Erfahrung beſtaͤtigt und ſo a poſteriori bewieſen werden, und ſteht dennoch fuͤr ſich ſelbſt feſt. Etwas anderes aber und ganz Widerſinniſches tritt an die Stelle dieſer vergeblich geſuchten Deduction des moraliſchen Princips, nemlich, daß es umgekehrt ſelbſt zum Princip der Deduction eines unerforſchlichen Vermoͤgens dient, welches keine Erfahrung beweiſen, die ſpeculative Vernunft aber (um unter ihren cosmo- logiſchen Ideen das Unbedingte ſeiner Cauſalitaͤt nach zu finden, damit ſie ſich ſelbſt nicht widerſpreche,) we- nigſtens als moͤglich annehmen mußte, nemlich das der Freyheit, von der das moraliſche Geſetz, welches ſelbſt keiner rechtfertigenden Gruͤnde bedarf, nicht blos die Moͤglichkeit, ſondern die Wirklichkeit an Weſen bewei- ſet, die dies Geſetz als fuͤr ſie verbindend erkennen. Das moraliſche Geſetz iſt in der That ein Geſetz der Cauſalitaͤt durch Freyheit, und alſo der Moͤglichkeit einer uͤberſinnlichen Natur, ſo wie das metaphyſiſche Geſetz der Begebenheiten in der Sinnenwelt ein Geſetz der Cauſalitaͤt der ſinnlichen Natur war, und jenes beſtimmt alſo das, was ſpeculative Philoſophie unbe- ſtimmt laſſen mußte, nemlich das Geſetz fuͤr eine Cau- ſalitaͤt, deren Begriff in der letzteren nur negativ war, und verſchafft dieſem alſo zuerſt objective Realitaͤt. Dieſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/90
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/90>, abgerufen am 26.04.2024.