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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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der reinen practischen Vernunft.
ganz von ihr verschiedenen,) wenn sie nicht in der
Wahrnehmung gegeben werden, a priori und als noth-
wendig zu erkennen. Also ist der Begriff einer Ursache
selbst lügenhaft und betrügerisch, und ist, am gelinde-
sten davon zu reden, eine so fern noch zu entschuldi-
gende Täuschung, da die Gewohnheit (eine subjective
Nothwendigkeit) gewisse Dinge, oder ihre Bestimmun-
gen, öfters neben, oder nach einander ihrer Existenz
nach, als sich beygesellet, wahrzunehmen, unvermerkt
für eine objective Nothwendigkeit in den Gegenständen
selbst eine solche Verknüpfung zu setzen, genommen,
und so der Begriff einer Ursache erschlichen und nicht
rechtmäßig erworben ist, ja auch niemals erworben oder
beglaubigt werden kann, weil er eine an sich nichtige,
chimärische, vor keiner Vernunft haltbare Verknüpfung
fodert, der gar kein Object jemals correspondiren
kann. -- So ward nun zuerst in Ansehung alles Er-
kenntnisses, das die Existenz der Dinge betrifft, (die
Mathematik blieb also davon noch ausgenommen,) der
Empirismus als die einzige Quelle der Principien
eingeführt, mit ihm aber zugleich der härteste Scep-
ticism
selbst in Ansehung der ganzen Naturwissenschaft
(als Philosophie). Denn wir können, nach solchen
Grundsätzen, niemals aus gegebenen Bestimmungen
der Dinge ihrer Existenz nach auf eine Folge schließen,
(denn dazu würde der Begriff einer Ursache, der die
Nothwendigkeit einer solchen Verknüpfung enthält,

erfodert
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der reinen practiſchen Vernunft.
ganz von ihr verſchiedenen,) wenn ſie nicht in der
Wahrnehmung gegeben werden, a priori und als noth-
wendig zu erkennen. Alſo iſt der Begriff einer Urſache
ſelbſt luͤgenhaft und betruͤgeriſch, und iſt, am gelinde-
ſten davon zu reden, eine ſo fern noch zu entſchuldi-
gende Taͤuſchung, da die Gewohnheit (eine ſubjective
Nothwendigkeit) gewiſſe Dinge, oder ihre Beſtimmun-
gen, oͤfters neben, oder nach einander ihrer Exiſtenz
nach, als ſich beygeſellet, wahrzunehmen, unvermerkt
fuͤr eine objective Nothwendigkeit in den Gegenſtaͤnden
ſelbſt eine ſolche Verknuͤpfung zu ſetzen, genommen,
und ſo der Begriff einer Urſache erſchlichen und nicht
rechtmaͤßig erworben iſt, ja auch niemals erworben oder
beglaubigt werden kann, weil er eine an ſich nichtige,
chimaͤriſche, vor keiner Vernunft haltbare Verknuͤpfung
fodert, der gar kein Object jemals correſpondiren
kann. — So ward nun zuerſt in Anſehung alles Er-
kenntniſſes, das die Exiſtenz der Dinge betrifft, (die
Mathematik blieb alſo davon noch ausgenommen,) der
Empirismus als die einzige Quelle der Principien
eingefuͤhrt, mit ihm aber zugleich der haͤrteſte Scep-
ticism
ſelbſt in Anſehung der ganzen Naturwiſſenſchaft
(als Philoſophie). Denn wir koͤnnen, nach ſolchen
Grundſaͤtzen, niemals aus gegebenen Beſtimmungen
der Dinge ihrer Exiſtenz nach auf eine Folge ſchließen,
(denn dazu wuͤrde der Begriff einer Urſache, der die
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[89/0097] der reinen practiſchen Vernunft. ganz von ihr verſchiedenen,) wenn ſie nicht in der Wahrnehmung gegeben werden, a priori und als noth- wendig zu erkennen. Alſo iſt der Begriff einer Urſache ſelbſt luͤgenhaft und betruͤgeriſch, und iſt, am gelinde- ſten davon zu reden, eine ſo fern noch zu entſchuldi- gende Taͤuſchung, da die Gewohnheit (eine ſubjective Nothwendigkeit) gewiſſe Dinge, oder ihre Beſtimmun- gen, oͤfters neben, oder nach einander ihrer Exiſtenz nach, als ſich beygeſellet, wahrzunehmen, unvermerkt fuͤr eine objective Nothwendigkeit in den Gegenſtaͤnden ſelbſt eine ſolche Verknuͤpfung zu ſetzen, genommen, und ſo der Begriff einer Urſache erſchlichen und nicht rechtmaͤßig erworben iſt, ja auch niemals erworben oder beglaubigt werden kann, weil er eine an ſich nichtige, chimaͤriſche, vor keiner Vernunft haltbare Verknuͤpfung fodert, der gar kein Object jemals correſpondiren kann. — So ward nun zuerſt in Anſehung alles Er- kenntniſſes, das die Exiſtenz der Dinge betrifft, (die Mathematik blieb alſo davon noch ausgenommen,) der Empirismus als die einzige Quelle der Principien eingefuͤhrt, mit ihm aber zugleich der haͤrteſte Scep- ticism ſelbſt in Anſehung der ganzen Naturwiſſenſchaft (als Philoſophie). Denn wir koͤnnen, nach ſolchen Grundſaͤtzen, niemals aus gegebenen Beſtimmungen der Dinge ihrer Exiſtenz nach auf eine Folge ſchließen, (denn dazu wuͤrde der Begriff einer Urſache, der die Nothwendigkeit einer ſolchen Verknuͤpfung enthaͤlt, erfodert F 5

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/97>, abgerufen am 26.04.2024.