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Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910.

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die Ehrenhändel mit ihrem Gefolge von Duellen, die sicher weit überwiegend auf Angetrunkenheit des einen oder beider Beteiligten zurückzuführen sind.

An die Verbrechen, die dem Einflusse des Alkohols zuzuschreiben sind, reihen sich die von unseren Strafgesetzen nicht erreichbaren unmoralischen Handlungen der Trinker an, unter deren Folgen die Angehörigen derselben zu leiden haben. Der Trinker vernachlässigt seinen Beruf, seine Arbeit, vergeudet seinen Verdienst oder sein Einkommen in Spirituosen, während er seine Familie darben läßt, mißhandelt Frau und Kinder, eignet sich nicht selten sogar den Verdienst der Frau an, um seinem Laster zu fröhnen. Unsagbar ist das Elend[,] das über viele Arbeiterfamilien durch die Trunksucht des Ehemanns heraufbeschworen wird. Aber auch in den besser situierten Klassen führt die Unmäßigkeit des Familienoberhauptes gewöhnlich zu den traurigsten Verhältnissen; das Gleiche gilt natürlich für die Trunksucht der Frau.

Sie können hier nun einwenden: über die traurigen Folgen der Unmäßigkeit in alcoholicis besteht allerdings kein Zweifel, damit ist jedoch bezüglich des mäßigen Alkoholgenusses nichts bewiesen. Sie können ferner darauf hinweisen, daß eine sehr große Anzahl von Personen beider Geschlechter bei mäßigem Alkoholgenuß ein sehr hohes Alter erreicht und Gesundheit und Arbeitsfähigkeit bis in das Alter hinein sich erhalten hat. Sie können ferner in bezug auf die geistige Arbeitskraft noch erwähnen, daß die hervorragendsten Männer unserer Nation Luther, Schiller, Goethe, Kant, Schopenhauer, Bismarck keine Anhänger der Alkoholabstinenz waren. Hieraus könnte anscheinend gefolgert werden, daß die Abstinenz in alcoholicis gegenüber der andauernden Mäßigkeit in bezug auf Gesundheit und Arbeitskraft keinen Vorteil biete. Doch wäre diese Folgerung ein Irrtum. Zunächst haben wir zu berücksichtigen, daß man eine genaue Definition dessen, was man unter mäßigem Alkoholgenuß zu verstehen hat, nicht geben kann, weil die individuelle Widerstandsfähigkeit gegen die Einwirkungen des Alkohols zu verschieden ist. Der Eine mag durch den Konsum von 2--3 Glas Bier bereits in einen Zustand von Angeheitertheit geraten, der bei einem Anderen (einem Trinkfesten) nach dem Konsum des vierfachen dieses Quantums noch nicht eintritt. Die vulgäre Anschauung geht dahin, daß die Unmäßigkeit erst da beginnt, wo das "Zuviel", d. h. das Berauschtsein mehr oder minder deutlich sich geltend macht, oder auch ganz außergewöhnlich große Alkoholmengen gewohnheitsmäßig konsumiert werden. Soll nun der, von 2--3 Glas Bier Angeheiterte als unmäßig, der nach Genuß von 12 Glas Bier noch nüchtern Scheinende als mäßig gelten? Die unselige Idee, daß man

die Ehrenhändel mit ihrem Gefolge von Duellen, die sicher weit überwiegend auf Angetrunkenheit des einen oder beider Beteiligten zurückzuführen sind.

An die Verbrechen, die dem Einflusse des Alkohols zuzuschreiben sind, reihen sich die von unseren Strafgesetzen nicht erreichbaren unmoralischen Handlungen der Trinker an, unter deren Folgen die Angehörigen derselben zu leiden haben. Der Trinker vernachlässigt seinen Beruf, seine Arbeit, vergeudet seinen Verdienst oder sein Einkommen in Spirituosen, während er seine Familie darben läßt, mißhandelt Frau und Kinder, eignet sich nicht selten sogar den Verdienst der Frau an, um seinem Laster zu fröhnen. Unsagbar ist das Elend[,] das über viele Arbeiterfamilien durch die Trunksucht des Ehemanns heraufbeschworen wird. Aber auch in den besser situierten Klassen führt die Unmäßigkeit des Familienoberhauptes gewöhnlich zu den traurigsten Verhältnissen; das Gleiche gilt natürlich für die Trunksucht der Frau.

Sie können hier nun einwenden: über die traurigen Folgen der Unmäßigkeit in alcoholicis besteht allerdings kein Zweifel, damit ist jedoch bezüglich des mäßigen Alkoholgenusses nichts bewiesen. Sie können ferner darauf hinweisen, daß eine sehr große Anzahl von Personen beider Geschlechter bei mäßigem Alkoholgenuß ein sehr hohes Alter erreicht und Gesundheit und Arbeitsfähigkeit bis in das Alter hinein sich erhalten hat. Sie können ferner in bezug auf die geistige Arbeitskraft noch erwähnen, daß die hervorragendsten Männer unserer Nation Luther, Schiller, Goethe, Kant, Schopenhauer, Bismarck keine Anhänger der Alkoholabstinenz waren. Hieraus könnte anscheinend gefolgert werden, daß die Abstinenz in alcoholicis gegenüber der andauernden Mäßigkeit in bezug auf Gesundheit und Arbeitskraft keinen Vorteil biete. Doch wäre diese Folgerung ein Irrtum. Zunächst haben wir zu berücksichtigen, daß man eine genaue Definition dessen, was man unter mäßigem Alkoholgenuß zu verstehen hat, nicht geben kann, weil die individuelle Widerstandsfähigkeit gegen die Einwirkungen des Alkohols zu verschieden ist. Der Eine mag durch den Konsum von 2—3 Glas Bier bereits in einen Zustand von Angeheitertheit geraten, der bei einem Anderen (einem Trinkfesten) nach dem Konsum des vierfachen dieses Quantums noch nicht eintritt. Die vulgäre Anschauung geht dahin, daß die Unmäßigkeit erst da beginnt, wo das „Zuviel“, d. h. das Berauschtsein mehr oder minder deutlich sich geltend macht, oder auch ganz außergewöhnlich große Alkoholmengen gewohnheitsmäßig konsumiert werden. Soll nun der, von 2—3 Glas Bier Angeheiterte als unmäßig, der nach Genuß von 12 Glas Bier noch nüchtern Scheinende als mäßig gelten? Die unselige Idee, daß man

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[16/0018] die Ehrenhändel mit ihrem Gefolge von Duellen, die sicher weit überwiegend auf Angetrunkenheit des einen oder beider Beteiligten zurückzuführen sind. An die Verbrechen, die dem Einflusse des Alkohols zuzuschreiben sind, reihen sich die von unseren Strafgesetzen nicht erreichbaren unmoralischen Handlungen der Trinker an, unter deren Folgen die Angehörigen derselben zu leiden haben. Der Trinker vernachlässigt seinen Beruf, seine Arbeit, vergeudet seinen Verdienst oder sein Einkommen in Spirituosen, während er seine Familie darben läßt, mißhandelt Frau und Kinder, eignet sich nicht selten sogar den Verdienst der Frau an, um seinem Laster zu fröhnen. Unsagbar ist das Elend, das über viele Arbeiterfamilien durch die Trunksucht des Ehemanns heraufbeschworen wird. Aber auch in den besser situierten Klassen führt die Unmäßigkeit des Familienoberhauptes gewöhnlich zu den traurigsten Verhältnissen; das Gleiche gilt natürlich für die Trunksucht der Frau. Sie können hier nun einwenden: über die traurigen Folgen der Unmäßigkeit in alcoholicis besteht allerdings kein Zweifel, damit ist jedoch bezüglich des mäßigen Alkoholgenusses nichts bewiesen. Sie können ferner darauf hinweisen, daß eine sehr große Anzahl von Personen beider Geschlechter bei mäßigem Alkoholgenuß ein sehr hohes Alter erreicht und Gesundheit und Arbeitsfähigkeit bis in das Alter hinein sich erhalten hat. Sie können ferner in bezug auf die geistige Arbeitskraft noch erwähnen, daß die hervorragendsten Männer unserer Nation Luther, Schiller, Goethe, Kant, Schopenhauer, Bismarck keine Anhänger der Alkoholabstinenz waren. Hieraus könnte anscheinend gefolgert werden, daß die Abstinenz in alcoholicis gegenüber der andauernden Mäßigkeit in bezug auf Gesundheit und Arbeitskraft keinen Vorteil biete. Doch wäre diese Folgerung ein Irrtum. Zunächst haben wir zu berücksichtigen, daß man eine genaue Definition dessen, was man unter mäßigem Alkoholgenuß zu verstehen hat, nicht geben kann, weil die individuelle Widerstandsfähigkeit gegen die Einwirkungen des Alkohols zu verschieden ist. Der Eine mag durch den Konsum von 2—3 Glas Bier bereits in einen Zustand von Angeheitertheit geraten, der bei einem Anderen (einem Trinkfesten) nach dem Konsum des vierfachen dieses Quantums noch nicht eintritt. Die vulgäre Anschauung geht dahin, daß die Unmäßigkeit erst da beginnt, wo das „Zuviel“, d. h. das Berauschtsein mehr oder minder deutlich sich geltend macht, oder auch ganz außergewöhnlich große Alkoholmengen gewohnheitsmäßig konsumiert werden. Soll nun der, von 2—3 Glas Bier Angeheiterte als unmäßig, der nach Genuß von 12 Glas Bier noch nüchtern Scheinende als mäßig gelten? Die unselige Idee, daß man

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Zitationshilfe: Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/loewenfeld_student_1910/18>, abgerufen am 26.04.2024.