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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Einleitung.

Elementare Bedingungen. So oft nun eine Zergliederung der
leistungserzeugenden Einrichtungen des thierischen Körpers geschah,
so oft stiess man schliesslich auf eine begrenzte Zahl chemischer Atome,
die Gegenwart des Licht (Wärme)- Aethers und diejenige der electrischen
Flüssigkeiten. Dieser Erfahrung entsprechend zieht man den Schluss,
dass alle vom thierischen Körper ausgehenden Erscheinungen eine Folge
der einfachen Anziehungen und Abstossungen sein möchten, welche
an jenen elementaren Wesen bei einem Zusammentreffen derselben be-
obachtet werden. Diese Folgerung wird unumstösslich, wenn es gelingt
mit mathematischer Schärfe nachzuweisen, es seien die erwähnten ele-
mentaren Bedingungen nach Richtung, Zeit und Masse im thierischen
Körper derartig geordnet, dass aus ihren Gegenwirkungen mit Nothwen-
digkeit alle Leistungen des lebenden und todten Organismus herfliessen.

Die vorliegende Auffassung ist wie allbekannt nicht die hergebrachte, sie ist
diejenige unter den neuern, welche man als eine besondere gegenüber der vitalen
mit dem Namen der physikalischen bezeichnet. -- Diese Anschauung verlangt
in Uebereinstimmung mit dem Causalgesetz, an das wir uns halten müssen, wenn wir
überhaupt denken wollen, dass ein Ding die Ursachen seiner Wirkungen in sich ent-
halte, und in Uebereinstimmung mit den so oft berührten Grundsätzen der Erfahr-
ungslehren, dass man nur die mittel- oder unmittelbar nachgewiesenen Existenzen
mit in das Fundament der Schlüsse aufnehme. Sie verwirft darum die Berech-
tigung zur Annahme hypothetischer Grundwesen, wie besondere Nerven-Lebensäther
u. s. w., u. s. w.; sie wird sich aber niemals sträuben einer neuen, bisher nicht bekann-
ten Fundamentalbedingung Eingang in den Kreis der Betrachtung zu gestatten, wenn
diese als eine in Wirklichkeit bestehende erwiesen ist. -- Die Vertheidigung dieser
Grundsätze siehe in einer ebenso gedankenreichen als edelgeformten Betrachtung bei
du Bois, thierische Electricität 1. Bd. Vorrede.

Vielfachheit der Leistungen durch die gegebenen ele-
mentaren Bedingungen
. Wenn sich nun auch nicht durch Erfül-
lung der obigen Forderung die Nothwendigkeit der physikalischen
Auffassung darthun lässt, so lässt sich wenigstens zeigen dass die
Mittel, welche sie als die Gründe des Lebens ansieht, vielfach und
wirksam wie sie sind, weitaus genügen, um den Reichthum der Le-
benserscheinungen bedingen zu können.

1) Leistungen der formlosen Elemente. -- Vermöge der
zwischen gleichartigen und ungleichartigen Atomen bestehenden An-
ziehung kommt es zur Bildung von Massen; je nach der Innigkeit mit
der in diesen die Atome aneinander haften stellen sie ein Baumaterial
vor, verschieden an Dichtigkeit, Festigkeit und Elastizität. -- Den von
den Atomen ausgehenden Anziehungen folgen aber auch der Licht-
äther und die Electrizitäten; die Verschiedenheit der Massenverwandt-
schaft zu den letztern Fluiden stellt sich dar in dem spezifischen elec-
tromotorischen und electrischen Leitungsvermögen. Die Beziehung der
Masse zum Lichtäther offenbart sich aber durch die Besonderheit der
Farbe, des Brechungsvermögens, der Durchsichtigkeit, der Wärmelei-
tung, Erscheinungen welche theils auf eine veränderte Dichtigkeit des

Einleitung.

Elementare Bedingungen. So oft nun eine Zergliederung der
leistungserzeugenden Einrichtungen des thierischen Körpers geschah,
so oft stiess man schliesslich auf eine begrenzte Zahl chemischer Atome,
die Gegenwart des Licht (Wärme)- Aethers und diejenige der electrischen
Flüssigkeiten. Dieser Erfahrung entsprechend zieht man den Schluss,
dass alle vom thierischen Körper ausgehenden Erscheinungen eine Folge
der einfachen Anziehungen und Abstossungen sein möchten, welche
an jenen elementaren Wesen bei einem Zusammentreffen derselben be-
obachtet werden. Diese Folgerung wird unumstösslich, wenn es gelingt
mit mathematischer Schärfe nachzuweisen, es seien die erwähnten ele-
mentaren Bedingungen nach Richtung, Zeit und Masse im thierischen
Körper derartig geordnet, dass aus ihren Gegenwirkungen mit Nothwen-
digkeit alle Leistungen des lebenden und todten Organismus herfliessen.

Die vorliegende Auffassung ist wie allbekannt nicht die hergebrachte, sie ist
diejenige unter den neuern, welche man als eine besondere gegenüber der vitalen
mit dem Namen der physikalischen bezeichnet. — Diese Anschauung verlangt
in Uebereinstimmung mit dem Causalgesetz, an das wir uns halten müssen, wenn wir
überhaupt denken wollen, dass ein Ding die Ursachen seiner Wirkungen in sich ent-
halte, und in Uebereinstimmung mit den so oft berührten Grundsätzen der Erfahr-
ungslehren, dass man nur die mittel- oder unmittelbar nachgewiesenen Existenzen
mit in das Fundament der Schlüsse aufnehme. Sie verwirft darum die Berech-
tigung zur Annahme hypothetischer Grundwesen, wie besondere Nerven-Lebensäther
u. s. w., u. s. w.; sie wird sich aber niemals sträuben einer neuen, bisher nicht bekann-
ten Fundamentalbedingung Eingang in den Kreis der Betrachtung zu gestatten, wenn
diese als eine in Wirklichkeit bestehende erwiesen ist. — Die Vertheidigung dieser
Grundsätze siehe in einer ebenso gedankenreichen als edelgeformten Betrachtung bei
du Bois, thierische Electricität 1. Bd. Vorrede.

Vielfachheit der Leistungen durch die gegebenen ele-
mentaren Bedingungen
. Wenn sich nun auch nicht durch Erfül-
lung der obigen Forderung die Nothwendigkeit der physikalischen
Auffassung darthun lässt, so lässt sich wenigstens zeigen dass die
Mittel, welche sie als die Gründe des Lebens ansieht, vielfach und
wirksam wie sie sind, weitaus genügen, um den Reichthum der Le-
benserscheinungen bedingen zu können.

1) Leistungen der formlosen Elemente. — Vermöge der
zwischen gleichartigen und ungleichartigen Atomen bestehenden An-
ziehung kommt es zur Bildung von Massen; je nach der Innigkeit mit
der in diesen die Atome aneinander haften stellen sie ein Baumaterial
vor, verschieden an Dichtigkeit, Festigkeit und Elastizität. — Den von
den Atomen ausgehenden Anziehungen folgen aber auch der Licht-
äther und die Electrizitäten; die Verschiedenheit der Massenverwandt-
schaft zu den letztern Fluiden stellt sich dar in dem spezifischen elec-
tromotorischen und electrischen Leitungsvermögen. Die Beziehung der
Masse zum Lichtäther offenbart sich aber durch die Besonderheit der
Farbe, des Brechungsvermögens, der Durchsichtigkeit, der Wärmelei-
tung, Erscheinungen welche theils auf eine veränderte Dichtigkeit des

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[2/0016] Einleitung. Elementare Bedingungen. So oft nun eine Zergliederung der leistungserzeugenden Einrichtungen des thierischen Körpers geschah, so oft stiess man schliesslich auf eine begrenzte Zahl chemischer Atome, die Gegenwart des Licht (Wärme)- Aethers und diejenige der electrischen Flüssigkeiten. Dieser Erfahrung entsprechend zieht man den Schluss, dass alle vom thierischen Körper ausgehenden Erscheinungen eine Folge der einfachen Anziehungen und Abstossungen sein möchten, welche an jenen elementaren Wesen bei einem Zusammentreffen derselben be- obachtet werden. Diese Folgerung wird unumstösslich, wenn es gelingt mit mathematischer Schärfe nachzuweisen, es seien die erwähnten ele- mentaren Bedingungen nach Richtung, Zeit und Masse im thierischen Körper derartig geordnet, dass aus ihren Gegenwirkungen mit Nothwen- digkeit alle Leistungen des lebenden und todten Organismus herfliessen. Die vorliegende Auffassung ist wie allbekannt nicht die hergebrachte, sie ist diejenige unter den neuern, welche man als eine besondere gegenüber der vitalen mit dem Namen der physikalischen bezeichnet. — Diese Anschauung verlangt in Uebereinstimmung mit dem Causalgesetz, an das wir uns halten müssen, wenn wir überhaupt denken wollen, dass ein Ding die Ursachen seiner Wirkungen in sich ent- halte, und in Uebereinstimmung mit den so oft berührten Grundsätzen der Erfahr- ungslehren, dass man nur die mittel- oder unmittelbar nachgewiesenen Existenzen mit in das Fundament der Schlüsse aufnehme. Sie verwirft darum die Berech- tigung zur Annahme hypothetischer Grundwesen, wie besondere Nerven-Lebensäther u. s. w., u. s. w.; sie wird sich aber niemals sträuben einer neuen, bisher nicht bekann- ten Fundamentalbedingung Eingang in den Kreis der Betrachtung zu gestatten, wenn diese als eine in Wirklichkeit bestehende erwiesen ist. — Die Vertheidigung dieser Grundsätze siehe in einer ebenso gedankenreichen als edelgeformten Betrachtung bei du Bois, thierische Electricität 1. Bd. Vorrede. Vielfachheit der Leistungen durch die gegebenen ele- mentaren Bedingungen. Wenn sich nun auch nicht durch Erfül- lung der obigen Forderung die Nothwendigkeit der physikalischen Auffassung darthun lässt, so lässt sich wenigstens zeigen dass die Mittel, welche sie als die Gründe des Lebens ansieht, vielfach und wirksam wie sie sind, weitaus genügen, um den Reichthum der Le- benserscheinungen bedingen zu können. 1) Leistungen der formlosen Elemente. — Vermöge der zwischen gleichartigen und ungleichartigen Atomen bestehenden An- ziehung kommt es zur Bildung von Massen; je nach der Innigkeit mit der in diesen die Atome aneinander haften stellen sie ein Baumaterial vor, verschieden an Dichtigkeit, Festigkeit und Elastizität. — Den von den Atomen ausgehenden Anziehungen folgen aber auch der Licht- äther und die Electrizitäten; die Verschiedenheit der Massenverwandt- schaft zu den letztern Fluiden stellt sich dar in dem spezifischen elec- tromotorischen und electrischen Leitungsvermögen. Die Beziehung der Masse zum Lichtäther offenbart sich aber durch die Besonderheit der Farbe, des Brechungsvermögens, der Durchsichtigkeit, der Wärmelei- tung, Erscheinungen welche theils auf eine veränderte Dichtigkeit des

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/16>, abgerufen am 26.04.2024.