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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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noch einmal sehen. Von den Kindern wollte kei-
nes mit ihnen gehen. Ein Knecht gieng mit,
und nahm den Deckel noch einmal vom Sarg
ab. Jn stummem Schmerz, bleich, und mit Thrä-
nen kamen die Amtleute wieder, und konnten nichts,
als seufzen. Dieser Ausdruck ihrer Liebe rührte
unsern Siegwart mehr, als Worte.

Er stand am Fenster, und sah einige Bauren,
vom Gericht, kommen, die den Sarg tragen soll-
ten. Sie sahn traurig herauf, und wünschten ihm
einen guten Morgen. Nach und nach kamen auch
andre Bauersleute, um die Leiche zu begleiten,
alle niedergeschlagen, und mit verweinten Augen.
Aussen an der Mauer des Hofes standen, in
schlechten Kleidern, arme Leute, die vor Traurig-
keit kaum aufzublicken wagten. Sie weinten wie
um ihren Vater, denn der alte Siegwart wars ihnen
durch seine Wolthaten geworden. Sein Sohn fühlte,
mitten in seinem tiefen Schmerz, noch das große
Glück, als ein rechtschaffener Mann zu sterben,
und wegen seiner Wohlthätigkeit und Redlichkeit
beweint zu werden. Aber bey dem Gedanken flos-
sen seine Thränen häufiger. -- Die Richter des
Dorfs traten nun ins Haus herein, um den Sarg
zu holen. Sie brachten ihn heraus; alte, ehr-



noch einmal ſehen. Von den Kindern wollte kei-
nes mit ihnen gehen. Ein Knecht gieng mit,
und nahm den Deckel noch einmal vom Sarg
ab. Jn ſtummem Schmerz, bleich, und mit Thraͤ-
nen kamen die Amtleute wieder, und konnten nichts,
als ſeufzen. Dieſer Ausdruck ihrer Liebe ruͤhrte
unſern Siegwart mehr, als Worte.

Er ſtand am Fenſter, und ſah einige Bauren,
vom Gericht, kommen, die den Sarg tragen ſoll-
ten. Sie ſahn traurig herauf, und wuͤnſchten ihm
einen guten Morgen. Nach und nach kamen auch
andre Bauersleute, um die Leiche zu begleiten,
alle niedergeſchlagen, und mit verweinten Augen.
Auſſen an der Mauer des Hofes ſtanden, in
ſchlechten Kleidern, arme Leute, die vor Traurig-
keit kaum aufzublicken wagten. Sie weinten wie
um ihren Vater, denn der alte Siegwart wars ihnen
durch ſeine Wolthaten geworden. Sein Sohn fuͤhlte,
mitten in ſeinem tiefen Schmerz, noch das große
Gluͤck, als ein rechtſchaffener Mann zu ſterben,
und wegen ſeiner Wohlthaͤtigkeit und Redlichkeit
beweint zu werden. Aber bey dem Gedanken floſ-
ſen ſeine Thraͤnen haͤufiger. — Die Richter des
Dorfs traten nun ins Haus herein, um den Sarg
zu holen. Sie brachten ihn heraus; alte, ehr-

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[880/0460] noch einmal ſehen. Von den Kindern wollte kei- nes mit ihnen gehen. Ein Knecht gieng mit, und nahm den Deckel noch einmal vom Sarg ab. Jn ſtummem Schmerz, bleich, und mit Thraͤ- nen kamen die Amtleute wieder, und konnten nichts, als ſeufzen. Dieſer Ausdruck ihrer Liebe ruͤhrte unſern Siegwart mehr, als Worte. Er ſtand am Fenſter, und ſah einige Bauren, vom Gericht, kommen, die den Sarg tragen ſoll- ten. Sie ſahn traurig herauf, und wuͤnſchten ihm einen guten Morgen. Nach und nach kamen auch andre Bauersleute, um die Leiche zu begleiten, alle niedergeſchlagen, und mit verweinten Augen. Auſſen an der Mauer des Hofes ſtanden, in ſchlechten Kleidern, arme Leute, die vor Traurig- keit kaum aufzublicken wagten. Sie weinten wie um ihren Vater, denn der alte Siegwart wars ihnen durch ſeine Wolthaten geworden. Sein Sohn fuͤhlte, mitten in ſeinem tiefen Schmerz, noch das große Gluͤck, als ein rechtſchaffener Mann zu ſterben, und wegen ſeiner Wohlthaͤtigkeit und Redlichkeit beweint zu werden. Aber bey dem Gedanken floſ- ſen ſeine Thraͤnen haͤufiger. — Die Richter des Dorfs traten nun ins Haus herein, um den Sarg zu holen. Sie brachten ihn heraus; alte, ehr-

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 880. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/460>, abgerufen am 26.04.2024.