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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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am Drath gezogen werden, und er selbst auf die
Art mit spielt oder vielmehr mit gespielt wird,
seinen Nachbar bei der hölzernen Hand ergreift,
und zurückschaudert -- erweckte bei Reisern die
Erinnerung an ein ähnliches Gefühl, das er oft
gehabt hatte, wenn er jemanden die Hand gab.
Durch die tägliche Gewohnheit vergißt man am
Ende, daß man einen Körper hat, der eben so
wohl allen Gesetzen der Zerstörung in der Kör¬
perwelt unterworfen ist, als ein Stück Holz;
das wir zersägen oder zerschneiden, und daß er
sich nach eben den Gesetzen, wie jede andere von
Menschen zusammengesetzte körperliche Maschine
bewegt. -- Diese Zerstörbarkeit und Körperlich¬
keit unsers Körpers wird uns nur bei gewissen
Anlässen lebhaft -- und macht daß wir vor uns
selbst erschrecken, indem wir plötzlich fühlen, daß
wir etwas zu seyn glaubten, was wir wirklich
nicht sind, und statt dessen etwas sind, was wir
zu seyn uns fürchten. -- Indem man nun einem
andern die Hand gibt, und bloß den Körper
sieht und berührt, indem man von dessen Gedan¬
ken keine Vorstellung hat, so wird dadurch die
Idee der Körperlichkeit lebhafter, als sie es bei

am Drath gezogen werden, und er ſelbſt auf die
Art mit ſpielt oder vielmehr mit geſpielt wird,
ſeinen Nachbar bei der hoͤlzernen Hand ergreift,
und zuruͤckſchaudert — erweckte bei Reiſern die
Erinnerung an ein aͤhnliches Gefuͤhl, das er oft
gehabt hatte, wenn er jemanden die Hand gab.
Durch die taͤgliche Gewohnheit vergißt man am
Ende, daß man einen Koͤrper hat, der eben ſo
wohl allen Geſetzen der Zerſtoͤrung in der Koͤr¬
perwelt unterworfen iſt, als ein Stuͤck Holz;
das wir zerſaͤgen oder zerſchneiden, und daß er
ſich nach eben den Geſetzen, wie jede andere von
Menſchen zuſammengeſetzte koͤrperliche Maſchine
bewegt. — Dieſe Zerſtoͤrbarkeit und Koͤrperlich¬
keit unſers Koͤrpers wird uns nur bei gewiſſen
Anlaͤſſen lebhaft — und macht daß wir vor uns
ſelbſt erſchrecken, indem wir ploͤtzlich fuͤhlen, daß
wir etwas zu ſeyn glaubten, was wir wirklich
nicht ſind, und ſtatt deſſen etwas ſind, was wir
zu ſeyn uns fuͤrchten. — Indem man nun einem
andern die Hand gibt, und bloß den Koͤrper
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[95/0105] am Drath gezogen werden, und er ſelbſt auf die Art mit ſpielt oder vielmehr mit geſpielt wird, ſeinen Nachbar bei der hoͤlzernen Hand ergreift, und zuruͤckſchaudert — erweckte bei Reiſern die Erinnerung an ein aͤhnliches Gefuͤhl, das er oft gehabt hatte, wenn er jemanden die Hand gab. Durch die taͤgliche Gewohnheit vergißt man am Ende, daß man einen Koͤrper hat, der eben ſo wohl allen Geſetzen der Zerſtoͤrung in der Koͤr¬ perwelt unterworfen iſt, als ein Stuͤck Holz; das wir zerſaͤgen oder zerſchneiden, und daß er ſich nach eben den Geſetzen, wie jede andere von Menſchen zuſammengeſetzte koͤrperliche Maſchine bewegt. — Dieſe Zerſtoͤrbarkeit und Koͤrperlich¬ keit unſers Koͤrpers wird uns nur bei gewiſſen Anlaͤſſen lebhaft — und macht daß wir vor uns ſelbſt erſchrecken, indem wir ploͤtzlich fuͤhlen, daß wir etwas zu ſeyn glaubten, was wir wirklich nicht ſind, und ſtatt deſſen etwas ſind, was wir zu ſeyn uns fuͤrchten. — Indem man nun einem andern die Hand gibt, und bloß den Koͤrper ſieht und beruͤhrt, indem man von deſſen Gedan¬ ken keine Vorſtellung hat, ſo wird dadurch die Idee der Koͤrperlichkeit lebhafter, als ſie es bei

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/105>, abgerufen am 26.04.2024.