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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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gesetzt wäre, einigermaßen schadlos halten
könnte. --

Durch diß Gespräch mit W..., da er in kur¬
zem seine Situation überdachte, war sein Herz ein¬
mal lebhaften Eindrücken geöfnet worden -- und
nun fügte es sich gerade, daß eben der V..., mit
dem er einst nebst G... den sterbenden Sokrates
aufgeführt hatte, ihn zum Gegenstande seines
groben Witzes machte, und durch allerlei Anspie¬
lungen ihn bei seinen Mitschülern wieder lächer¬
lich zu machen suchte, die denn auch bald mit
einstimmten, so daß Reiser fast eine halbe Stunde
lang das Ziel ihrer witzigen Einfälle war. --

Er sagte auf alles diß kein Wort, und kränkte
sich, indem er einsam vor sich weg ging, inner¬
lich darüber; und ob er sich gleich bemühte, seine
Kränkung in Verachtung zu verwandeln, so
wollte es ihm doch nicht recht damit gelingen;
bis er sich endlich unvermerkt in eine bittere
menschenfeindliche Laune hinein phantasirte, die
durch nichts, als das Andenken an seinen Phi¬
lipp Reiser wieder gemildert wurde. -- Da nun
auch der Vorsatz, seine Empfindungen und Ge¬
danken an ihn niederzuschreiben, herrschend ge¬

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geſetzt waͤre, einigermaßen ſchadlos halten
koͤnnte. —

Durch diß Geſpraͤch mit W..., da er in kur¬
zem ſeine Situation uͤberdachte, war ſein Herz ein¬
mal lebhaften Eindruͤcken geoͤfnet worden — und
nun fuͤgte es ſich gerade, daß eben der V..., mit
dem er einſt nebſt G... den ſterbenden Sokrates
aufgefuͤhrt hatte, ihn zum Gegenſtande ſeines
groben Witzes machte, und durch allerlei Anſpie¬
lungen ihn bei ſeinen Mitſchuͤlern wieder laͤcher¬
lich zu machen ſuchte, die denn auch bald mit
einſtimmten, ſo daß Reiſer faſt eine halbe Stunde
lang das Ziel ihrer witzigen Einfaͤlle war. —

Er ſagte auf alles diß kein Wort, und kraͤnkte
ſich, indem er einſam vor ſich weg ging, inner¬
lich daruͤber; und ob er ſich gleich bemuͤhte, ſeine
Kraͤnkung in Verachtung zu verwandeln, ſo
wollte es ihm doch nicht recht damit gelingen;
bis er ſich endlich unvermerkt in eine bittere
menſchenfeindliche Laune hinein phantaſirte, die
durch nichts, als das Andenken an ſeinen Phi¬
lipp Reiſer wieder gemildert wurde. — Da nun
auch der Vorſatz, ſeine Empfindungen und Ge¬
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[57/0067] geſetzt waͤre, einigermaßen ſchadlos halten koͤnnte. — Durch diß Geſpraͤch mit W..., da er in kur¬ zem ſeine Situation uͤberdachte, war ſein Herz ein¬ mal lebhaften Eindruͤcken geoͤfnet worden — und nun fuͤgte es ſich gerade, daß eben der V..., mit dem er einſt nebſt G... den ſterbenden Sokrates aufgefuͤhrt hatte, ihn zum Gegenſtande ſeines groben Witzes machte, und durch allerlei Anſpie¬ lungen ihn bei ſeinen Mitſchuͤlern wieder laͤcher¬ lich zu machen ſuchte, die denn auch bald mit einſtimmten, ſo daß Reiſer faſt eine halbe Stunde lang das Ziel ihrer witzigen Einfaͤlle war. — Er ſagte auf alles diß kein Wort, und kraͤnkte ſich, indem er einſam vor ſich weg ging, inner¬ lich daruͤber; und ob er ſich gleich bemuͤhte, ſeine Kraͤnkung in Verachtung zu verwandeln, ſo wollte es ihm doch nicht recht damit gelingen; bis er ſich endlich unvermerkt in eine bittere menſchenfeindliche Laune hinein phantaſirte, die durch nichts, als das Andenken an ſeinen Phi¬ lipp Reiſer wieder gemildert wurde. — Da nun auch der Vorſatz, ſeine Empfindungen und Ge¬ danken an ihn niederzuſchreiben, herrſchend ge¬ D 5

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/67>, abgerufen am 26.04.2024.