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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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Hierher wurden Wallfahrten noch vor Son¬
nenaufgang angestellt -- die beiden Wanderer
nahmen sich ihr Frühstück mit, und wenn sie
nun im Walde angelangt waren, so beraubten
sie eine Menge Baumstämme ihres Mooses,
und bereiteten sich einen weichen Sitz, worauf
sie sich lagerten, und wenn sie ihr Frühstück ver¬
zehrt hatten, sich einander wechselsweise vorla¬
sen. -- Hierzu wurden besonders Kleists Ge¬
dichte ausgewählt, die sie bei dieser Gelegenheit
beinahe auswendig lernten.

Wenn sie dann am andern Tage wieder hin¬
kamen, so suchten sie im ganzen Wäldchen erst
ihren gestrigen Platz wieder, und fanden sich
nun hier wie zu Hause in der großen freien Na¬
tur, welches ihnen eine ganz besondere herzerhe¬
bende Empfindung war. -- Alles in diesem
großen Umkreise um sie her, gehörte ihren Au¬
gen, ihren Ohren, und ihrem Gefühl -- das
junge Grüne der Bäume, der Gesang der Vögel
und der kühle Morgenduft.

Wenn sie dann wieder heimkehrten, so ging
Philipp Reiser in seine Werkstatt, und machte
Klaviere, indes Anton Reiser die Schule besuchte,

Hierher wurden Wallfahrten noch vor Son¬
nenaufgang angeſtellt — die beiden Wanderer
nahmen ſich ihr Fruͤhſtuͤck mit, und wenn ſie
nun im Walde angelangt waren, ſo beraubten
ſie eine Menge Baumſtaͤmme ihres Mooſes,
und bereiteten ſich einen weichen Sitz, worauf
ſie ſich lagerten, und wenn ſie ihr Fruͤhſtuͤck ver¬
zehrt hatten, ſich einander wechſelsweiſe vorla¬
ſen. — Hierzu wurden beſonders Kleiſts Ge¬
dichte ausgewaͤhlt, die ſie bei dieſer Gelegenheit
beinahe auswendig lernten.

Wenn ſie dann am andern Tage wieder hin¬
kamen, ſo ſuchten ſie im ganzen Waͤldchen erſt
ihren geſtrigen Platz wieder, und fanden ſich
nun hier wie zu Hauſe in der großen freien Na¬
tur, welches ihnen eine ganz beſondere herzerhe¬
bende Empfindung war. — Alles in dieſem
großen Umkreiſe um ſie her, gehoͤrte ihren Au¬
gen, ihren Ohren, und ihrem Gefuͤhl — das
junge Gruͤne der Baͤume, der Geſang der Voͤgel
und der kuͤhle Morgenduft.

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Philipp Reiſer in ſeine Werkſtatt, und machte
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[75/0085] Hierher wurden Wallfahrten noch vor Son¬ nenaufgang angeſtellt — die beiden Wanderer nahmen ſich ihr Fruͤhſtuͤck mit, und wenn ſie nun im Walde angelangt waren, ſo beraubten ſie eine Menge Baumſtaͤmme ihres Mooſes, und bereiteten ſich einen weichen Sitz, worauf ſie ſich lagerten, und wenn ſie ihr Fruͤhſtuͤck ver¬ zehrt hatten, ſich einander wechſelsweiſe vorla¬ ſen. — Hierzu wurden beſonders Kleiſts Ge¬ dichte ausgewaͤhlt, die ſie bei dieſer Gelegenheit beinahe auswendig lernten. Wenn ſie dann am andern Tage wieder hin¬ kamen, ſo ſuchten ſie im ganzen Waͤldchen erſt ihren geſtrigen Platz wieder, und fanden ſich nun hier wie zu Hauſe in der großen freien Na¬ tur, welches ihnen eine ganz beſondere herzerhe¬ bende Empfindung war. — Alles in dieſem großen Umkreiſe um ſie her, gehoͤrte ihren Au¬ gen, ihren Ohren, und ihrem Gefuͤhl — das junge Gruͤne der Baͤume, der Geſang der Voͤgel und der kuͤhle Morgenduft. Wenn ſie dann wieder heimkehrten, ſo ging Philipp Reiſer in ſeine Werkſtatt, und machte Klaviere, indes Anton Reiſer die Schule beſuchte,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/85>, abgerufen am 26.04.2024.