Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

erhielten sich länger als in den meisten andern Staaten
wahrhaft Dorische Charakterzüge: Tapferkeit, Stand-
haftigkeit, Vaterlandsliebe, ein stolzer Ernst der Sit-
ten, und eine gewisse Sophrosyne, die freilich mit der
ausschweifenden Pracht in Mahlzeiten, Bauten und
allen Künsten auf eigene Weise contrastirt 1.

4.

Korinth hatte, von Sparta seiner Tyrannen
befreit, eine frühere Verfassung wieder erhalten, die
indeß nicht so oligarchisch war, als die Geschlechtsherr-
schaft der Bakchiaden. Zwar hatten edle Geschlechter,
wie die Oligaethiden 2, einen Vorrang; wahrscheinlich
wurde die Gerusia aus ihnen besetzt, und die Volksver-
sammlung war auf ähnliche Weise, wie in Sparta, be-
schränkt. Aber zugleich preist Pindar Korinth als die
Stadt, "in welcher Eunomia wohnt und ihre Schwe-
stern, der Städte sichere Stütze, Dike und die gleich-
gesinnte Eirene, die Spenderinnen des Reichthums,
welche dem Uebermuth zu wehren wissen, dem kühnre-
denden Vater der Ungenügsamkeit." Diese Worte las-
sen freilich auch errathen, daß die Aristokratie dem
Bestreben der Volksparthei, ihre Macht auszudehnen,
wiederstehen mußte; indessen blieb sie doch durch den
ganzen Peloponnesischen Krieg unerschüttert, und Ko-
rinth, eine kurze Zeit ausgenommen, ein treuer Sym-
machos von Sparta und Feind von Athen 3. Erst
nachher kam, durch Persisches Gold unterstützt, eine
demokratische und sich an Argos anschließende Parthei
zu Korinth auf, welche sich zuerst der höchsten Gewalt
bemächtigte, darauf die aus den edlern Familien (bel-
tistois) bestehende Lakonische Parthei an dem Feste

1 Meursius Rhod. 20.
2 Pind. O. 13, 2. oikos ame-
ros astois.
3 In frühern Zeiten waren Athen und Kor.
sehr befreundet, Herod. 5, 75. 95. Th. 1, 40. 41.

erhielten ſich laͤnger als in den meiſten andern Staaten
wahrhaft Doriſche Charakterzuͤge: Tapferkeit, Stand-
haftigkeit, Vaterlandsliebe, ein ſtolzer Ernſt der Sit-
ten, und eine gewiſſe Sophroſyne, die freilich mit der
ausſchweifenden Pracht in Mahlzeiten, Bauten und
allen Kuͤnſten auf eigene Weiſe contraſtirt 1.

4.

Korinth hatte, von Sparta ſeiner Tyrannen
befreit, eine fruͤhere Verfaſſung wieder erhalten, die
indeß nicht ſo oligarchiſch war, als die Geſchlechtsherr-
ſchaft der Bakchiaden. Zwar hatten edle Geſchlechter,
wie die Oligaethiden 2, einen Vorrang; wahrſcheinlich
wurde die Geruſia aus ihnen beſetzt, und die Volksver-
ſammlung war auf aͤhnliche Weiſe, wie in Sparta, be-
ſchraͤnkt. Aber zugleich preist Pindar Korinth als die
Stadt, “in welcher Eunomia wohnt und ihre Schwe-
ſtern, der Staͤdte ſichere Stuͤtze, Dike und die gleich-
geſinnte Eirene, die Spenderinnen des Reichthums,
welche dem Uebermuth zu wehren wiſſen, dem kuͤhnre-
denden Vater der Ungenuͤgſamkeit.” Dieſe Worte laſ-
ſen freilich auch errathen, daß die Ariſtokratie dem
Beſtreben der Volksparthei, ihre Macht auszudehnen,
wiederſtehen mußte; indeſſen blieb ſie doch durch den
ganzen Peloponneſiſchen Krieg unerſchuͤttert, und Ko-
rinth, eine kurze Zeit ausgenommen, ein treuer Sym-
machos von Sparta und Feind von Athen 3. Erſt
nachher kam, durch Perſiſches Gold unterſtuͤtzt, eine
demokratiſche und ſich an Argos anſchließende Parthei
zu Korinth auf, welche ſich zuerſt der hoͤchſten Gewalt
bemaͤchtigte, darauf die aus den edlern Familien (βελ-
τίστοις) beſtehende Lakoniſche Parthei an dem Feſte

1 Meurſius Rhod. 20.
2 Pind. O. 13, 2. οἶκος ἅμε-
ϱος ἀστοῖς.
3 In fruͤhern Zeiten waren Athen und Kor.
ſehr befreundet, Herod. 5, 75. 95. Th. 1, 40. 41.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0157" n="151"/>
erhielten &#x017F;ich la&#x0364;nger als in den mei&#x017F;ten andern Staaten<lb/>
wahrhaft Dori&#x017F;che Charakterzu&#x0364;ge: Tapferkeit, Stand-<lb/>
haftigkeit, Vaterlandsliebe, ein &#x017F;tolzer Ern&#x017F;t der Sit-<lb/>
ten, und eine gewi&#x017F;&#x017F;e Sophro&#x017F;yne, die freilich mit der<lb/>
aus&#x017F;chweifenden Pracht in Mahlzeiten, Bauten und<lb/>
allen Ku&#x0364;n&#x017F;ten auf eigene Wei&#x017F;e contra&#x017F;tirt <note place="foot" n="1">Meur&#x017F;ius <hi rendition="#aq">Rhod. 20.</hi></note>.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>4.</head><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Korinth</hi> hatte, von Sparta &#x017F;einer Tyrannen<lb/>
befreit, eine fru&#x0364;here Verfa&#x017F;&#x017F;ung wieder erhalten, die<lb/>
indeß nicht &#x017F;o oligarchi&#x017F;ch war, als die Ge&#x017F;chlechtsherr-<lb/>
&#x017F;chaft der Bakchiaden. Zwar hatten edle Ge&#x017F;chlechter,<lb/>
wie die Oligaethiden <note place="foot" n="2">Pind. O. 13, 2. &#x03BF;&#x1F36;&#x03BA;&#x03BF;&#x03C2; &#x1F05;&#x03BC;&#x03B5;-<lb/>
&#x03F1;&#x03BF;&#x03C2; &#x1F00;&#x03C3;&#x03C4;&#x03BF;&#x1FD6;&#x03C2;.</note>, einen Vorrang; wahr&#x017F;cheinlich<lb/>
wurde die Geru&#x017F;ia aus ihnen be&#x017F;etzt, und die Volksver-<lb/>
&#x017F;ammlung war auf a&#x0364;hnliche Wei&#x017F;e, wie in Sparta, be-<lb/>
&#x017F;chra&#x0364;nkt. Aber zugleich preist Pindar Korinth als die<lb/>
Stadt, &#x201C;in welcher Eunomia wohnt und ihre Schwe-<lb/>
&#x017F;tern, der Sta&#x0364;dte &#x017F;ichere Stu&#x0364;tze, Dike und die gleich-<lb/>
ge&#x017F;innte Eirene, die Spenderinnen des Reichthums,<lb/>
welche dem Uebermuth zu wehren wi&#x017F;&#x017F;en, dem ku&#x0364;hnre-<lb/>
denden Vater der Ungenu&#x0364;g&#x017F;amkeit.&#x201D; Die&#x017F;e Worte la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en freilich auch errathen, daß die Ari&#x017F;tokratie dem<lb/>
Be&#x017F;treben der Volksparthei, ihre Macht auszudehnen,<lb/>
wieder&#x017F;tehen mußte; inde&#x017F;&#x017F;en blieb &#x017F;ie doch durch den<lb/>
ganzen Peloponne&#x017F;i&#x017F;chen Krieg uner&#x017F;chu&#x0364;ttert, und Ko-<lb/>
rinth, eine kurze Zeit ausgenommen, ein treuer Sym-<lb/>
machos von Sparta und Feind von Athen <note place="foot" n="3">In <hi rendition="#g">fru&#x0364;hern</hi> Zeiten waren Athen und Kor.<lb/>
&#x017F;ehr befreundet, Herod. 5, 75. 95. Th. 1, 40. 41.</note>. Er&#x017F;t<lb/>
nachher kam, durch Per&#x017F;i&#x017F;ches Gold unter&#x017F;tu&#x0364;tzt, eine<lb/>
demokrati&#x017F;che und &#x017F;ich an Argos an&#x017F;chließende Parthei<lb/>
zu Korinth auf, welche &#x017F;ich zuer&#x017F;t der ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gewalt<lb/>
bema&#x0364;chtigte, darauf die aus den edlern Familien (&#x03B2;&#x03B5;&#x03BB;-<lb/>
&#x03C4;&#x03AF;&#x03C3;&#x03C4;&#x03BF;&#x03B9;&#x03C2;) be&#x017F;tehende Lakoni&#x017F;che Parthei an dem Fe&#x017F;te<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0157] erhielten ſich laͤnger als in den meiſten andern Staaten wahrhaft Doriſche Charakterzuͤge: Tapferkeit, Stand- haftigkeit, Vaterlandsliebe, ein ſtolzer Ernſt der Sit- ten, und eine gewiſſe Sophroſyne, die freilich mit der ausſchweifenden Pracht in Mahlzeiten, Bauten und allen Kuͤnſten auf eigene Weiſe contraſtirt 1. 4. Korinth hatte, von Sparta ſeiner Tyrannen befreit, eine fruͤhere Verfaſſung wieder erhalten, die indeß nicht ſo oligarchiſch war, als die Geſchlechtsherr- ſchaft der Bakchiaden. Zwar hatten edle Geſchlechter, wie die Oligaethiden 2, einen Vorrang; wahrſcheinlich wurde die Geruſia aus ihnen beſetzt, und die Volksver- ſammlung war auf aͤhnliche Weiſe, wie in Sparta, be- ſchraͤnkt. Aber zugleich preist Pindar Korinth als die Stadt, “in welcher Eunomia wohnt und ihre Schwe- ſtern, der Staͤdte ſichere Stuͤtze, Dike und die gleich- geſinnte Eirene, die Spenderinnen des Reichthums, welche dem Uebermuth zu wehren wiſſen, dem kuͤhnre- denden Vater der Ungenuͤgſamkeit.” Dieſe Worte laſ- ſen freilich auch errathen, daß die Ariſtokratie dem Beſtreben der Volksparthei, ihre Macht auszudehnen, wiederſtehen mußte; indeſſen blieb ſie doch durch den ganzen Peloponneſiſchen Krieg unerſchuͤttert, und Ko- rinth, eine kurze Zeit ausgenommen, ein treuer Sym- machos von Sparta und Feind von Athen 3. Erſt nachher kam, durch Perſiſches Gold unterſtuͤtzt, eine demokratiſche und ſich an Argos anſchließende Parthei zu Korinth auf, welche ſich zuerſt der hoͤchſten Gewalt bemaͤchtigte, darauf die aus den edlern Familien (βελ- τίστοις) beſtehende Lakoniſche Parthei an dem Feſte 1 Meurſius Rhod. 20. 2 Pind. O. 13, 2. οἶκος ἅμε- ϱος ἀστοῖς. 3 In fruͤhern Zeiten waren Athen und Kor. ſehr befreundet, Herod. 5, 75. 95. Th. 1, 40. 41.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/157
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/157>, abgerufen am 26.04.2024.