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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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nicht, indeß das ursprüngliche, religiöse, unter
ungeheuren Kämpfen gewebte und erworbene
National-Band, wenn es einmal zerrissen ge-
wesen, schwerlich, auch durch einen zweiten Moses,
je wieder geknüpft worden seyn würde. Der Kauf-
mannsstand wirkt, da er leicht die Oberhand ge-
winnt, aller Nationalität entgegen, und die gro-
ßen Aussichten, die er weniger vielen auf einan-
der folgenden Generationen, als sogleich dem er-
sten Unternehmer eröffnet, ziehen den Blick ab
von den Vorfahren und Nachkommen: im Han-
del erwirbt jedes einzelne Individuum für sich;
und Moses wollte, daß, so wie die National-
Existenz oder die Freiheit von Allen gemeinschaft-
lich erworben war, auch alle Lebensgüter viel-
mehr von der Nation in langer Folge der Jahre,
als von dem Einzelnen im Augenblick, erworben
werden sollten.

So hatte Moses auch mehr die Familien als
die einzelnen Individuen im Auge; in keiner Adels-
verfassung des neueren Europa nehmen wir eine
größere Strenge in Führung der Geschlechtsregi-
ster wahr. Diese Geschlechtsregister umfaßten nicht
etwa bloß einzelne Familien, sondern das ganze
Volk. Eine große Anzahl eigends dazu verordneter
Beamten, die Schoterim oder die Schreiber, an
äußerer Bedeutung im Mosaischen Staate vielleicht

nicht, indeß das urſpruͤngliche, religioͤſe, unter
ungeheuren Kaͤmpfen gewebte und erworbene
National-Band, wenn es einmal zerriſſen ge-
weſen, ſchwerlich, auch durch einen zweiten Moſes,
je wieder geknuͤpft worden ſeyn wuͤrde. Der Kauf-
mannsſtand wirkt, da er leicht die Oberhand ge-
winnt, aller Nationalitaͤt entgegen, und die gro-
ßen Ausſichten, die er weniger vielen auf einan-
der folgenden Generationen, als ſogleich dem er-
ſten Unternehmer eroͤffnet, ziehen den Blick ab
von den Vorfahren und Nachkommen: im Han-
del erwirbt jedes einzelne Individuum fuͤr ſich;
und Moſes wollte, daß, ſo wie die National-
Exiſtenz oder die Freiheit von Allen gemeinſchaft-
lich erworben war, auch alle Lebensguͤter viel-
mehr von der Nation in langer Folge der Jahre,
als von dem Einzelnen im Augenblick, erworben
werden ſollten.

So hatte Moſes auch mehr die Familien als
die einzelnen Individuen im Auge; in keiner Adels-
verfaſſung des neueren Europa nehmen wir eine
groͤßere Strenge in Fuͤhrung der Geſchlechtsregi-
ſter wahr. Dieſe Geſchlechtsregiſter umfaßten nicht
etwa bloß einzelne Familien, ſondern das ganze
Volk. Eine große Anzahl eigends dazu verordneter
Beamten, die Schoterim oder die Schreiber, an
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[21/0029] nicht, indeß das urſpruͤngliche, religioͤſe, unter ungeheuren Kaͤmpfen gewebte und erworbene National-Band, wenn es einmal zerriſſen ge- weſen, ſchwerlich, auch durch einen zweiten Moſes, je wieder geknuͤpft worden ſeyn wuͤrde. Der Kauf- mannsſtand wirkt, da er leicht die Oberhand ge- winnt, aller Nationalitaͤt entgegen, und die gro- ßen Ausſichten, die er weniger vielen auf einan- der folgenden Generationen, als ſogleich dem er- ſten Unternehmer eroͤffnet, ziehen den Blick ab von den Vorfahren und Nachkommen: im Han- del erwirbt jedes einzelne Individuum fuͤr ſich; und Moſes wollte, daß, ſo wie die National- Exiſtenz oder die Freiheit von Allen gemeinſchaft- lich erworben war, auch alle Lebensguͤter viel- mehr von der Nation in langer Folge der Jahre, als von dem Einzelnen im Augenblick, erworben werden ſollten. So hatte Moſes auch mehr die Familien als die einzelnen Individuen im Auge; in keiner Adels- verfaſſung des neueren Europa nehmen wir eine groͤßere Strenge in Fuͤhrung der Geſchlechtsregi- ſter wahr. Dieſe Geſchlechtsregiſter umfaßten nicht etwa bloß einzelne Familien, ſondern das ganze Volk. Eine große Anzahl eigends dazu verordneter Beamten, die Schoterim oder die Schreiber, an aͤußerer Bedeutung im Moſaiſchen Staate vielleicht

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/29>, abgerufen am 26.04.2024.