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Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884.

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Woher kommen die höchsten Berge? so fragte
ich einst. Da lernte ich, dass sie aus dem Meere
kommen.

Diess Zeugniss ist in ihr Gestein geschrieben und
in die Wände ihrer Gipfel. Aus dem Tiefsten muss
das Höchste zu seiner Höhe kommen. --

Also sprach Zarathustra auf der Spitze des Berges,
wo es kalt war; als er aber in die Nähe des Meeres
kam und zuletzt allein unter den Klippen stand, da
war er unterwegs müde geworden und sehnsüchtiger
als noch zuvor.

Es schläft jetzt Alles noch, sprach er; auch das
Meer schläft. Schlaftrunken und fremd blickt sein
Auge nach mir.

Aber es athmet warm, das fühle ich. Und ich
fühle auch, dass es träumt. Es windet sich träumend
auf harten Kissen.

Horch! Horch! Wie es stöhnt von bösen Er¬
innerungen! Oder bösen Erwartungen?

Ach, ich bin traurig mit dir, du dunkles Un¬
geheuer, und mir selber noch gram um deinetwillen.

Ach, dass meine Hand nicht Stärke genug hat!
Gerne, wahrlich, möchte ich dich von bösen Träumen
erlösen! --

Und indem Zarathustra so sprach, lachte er mit
Schwermuth und Bitterkeit über sich selber. "Wie!
Zarathustra! sagte er, willst du noch dem Meere Trost
singen?

Ach, du liebreicher Narr Zarathustra, du Ver¬

Woher kommen die höchsten Berge? so fragte
ich einst. Da lernte ich, dass sie aus dem Meere
kommen.

Diess Zeugniss ist in ihr Gestein geschrieben und
in die Wände ihrer Gipfel. Aus dem Tiefsten muss
das Höchste zu seiner Höhe kommen. —

Also sprach Zarathustra auf der Spitze des Berges,
wo es kalt war; als er aber in die Nähe des Meeres
kam und zuletzt allein unter den Klippen stand, da
war er unterwegs müde geworden und sehnsüchtiger
als noch zuvor.

Es schläft jetzt Alles noch, sprach er; auch das
Meer schläft. Schlaftrunken und fremd blickt sein
Auge nach mir.

Aber es athmet warm, das fühle ich. Und ich
fühle auch, dass es träumt. Es windet sich träumend
auf harten Kissen.

Horch! Horch! Wie es stöhnt von bösen Er¬
innerungen! Oder bösen Erwartungen?

Ach, ich bin traurig mit dir, du dunkles Un¬
geheuer, und mir selber noch gram um deinetwillen.

Ach, dass meine Hand nicht Stärke genug hat!
Gerne, wahrlich, möchte ich dich von bösen Träumen
erlösen! —

Und indem Zarathustra so sprach, lachte er mit
Schwermuth und Bitterkeit über sich selber. „Wie!
Zarathustra! sagte er, willst du noch dem Meere Trost
singen?

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[4/0014] Woher kommen die höchsten Berge? so fragte ich einst. Da lernte ich, dass sie aus dem Meere kommen. Diess Zeugniss ist in ihr Gestein geschrieben und in die Wände ihrer Gipfel. Aus dem Tiefsten muss das Höchste zu seiner Höhe kommen. — Also sprach Zarathustra auf der Spitze des Berges, wo es kalt war; als er aber in die Nähe des Meeres kam und zuletzt allein unter den Klippen stand, da war er unterwegs müde geworden und sehnsüchtiger als noch zuvor. Es schläft jetzt Alles noch, sprach er; auch das Meer schläft. Schlaftrunken und fremd blickt sein Auge nach mir. Aber es athmet warm, das fühle ich. Und ich fühle auch, dass es träumt. Es windet sich träumend auf harten Kissen. Horch! Horch! Wie es stöhnt von bösen Er¬ innerungen! Oder bösen Erwartungen? Ach, ich bin traurig mit dir, du dunkles Un¬ geheuer, und mir selber noch gram um deinetwillen. Ach, dass meine Hand nicht Stärke genug hat! Gerne, wahrlich, möchte ich dich von bösen Träumen erlösen! — Und indem Zarathustra so sprach, lachte er mit Schwermuth und Bitterkeit über sich selber. „Wie! Zarathustra! sagte er, willst du noch dem Meere Trost singen? Ach, du liebreicher Narr Zarathustra, du Ver¬

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Zitationshilfe: Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Bd. 3. Chemnitz, 1884, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nietzsche_zarathustra03_1884/14>, abgerufen am 26.04.2024.