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Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800.

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"kromegas des deutschen Staatskörpers dort,
"eben so hoch, eben so starr und so steif?" --

Der Glückliche schwieg und gab statt der
Antwort einen Handdruk der Liebe -- er träum¬
te nur die Gegenwart und zeigte, er könne
warten und entbehren. Wie ein Kinderherz,
dem die Vorhänge und die Nachmitternacht
das nahe Weihnachtsgeschenk verdecken, zog
er auf dem Luftschiffe mit fester Binde dem na¬
hen Himmelreiche entgegen. Dian trug, so weit
es das Doppellicht des Mondscheins und der
nachhelfenden Aurora zuließ, eine Zeichnung von
dem verhüllten Träumer in sein Studienbuch.
-- -- Ich wollt', ich hätte sie da, und säh' es
wie mein Liebling mit dem unterbundenen Seh¬
nerven, auf ihr zugleich das gegen die innere
Welt gerichtete Auge des Traumes und das ge¬
gen die äussere Welt gespitzte Ohr der Aufmerk¬
samkeit anstrengt. Wie schön ist so etwas, ge¬
malt -- wie viel schöner, erlebt! --

Der Mantel der Nacht wurde dünner und
kühler -- die Morgenluft wehte lebendig an
die Brust -- die Lerchen mengten sich unter die
Nachtigallen und unter die singenden Ruderleu¬

„kromegas des deutſchen Staatskörpers dort,
„eben ſo hoch, eben ſo ſtarr und ſo ſteif?“ —

Der Glückliche ſchwieg und gab ſtatt der
Antwort einen Handdruk der Liebe — er träum¬
te nur die Gegenwart und zeigte, er könne
warten und entbehren. Wie ein Kinderherz,
dem die Vorhänge und die Nachmitternacht
das nahe Weihnachtsgeſchenk verdecken, zog
er auf dem Luftſchiffe mit feſter Binde dem na¬
hen Himmelreiche entgegen. Dian trug, ſo weit
es das Doppellicht des Mondſcheins und der
nachhelfenden Aurora zuließ, eine Zeichnung von
dem verhüllten Träumer in ſein Studienbuch.
— — Ich wollt', ich hätte ſie da, und ſäh' es
wie mein Liebling mit dem unterbundenen Seh¬
nerven, auf ihr zugleich das gegen die innere
Welt gerichtete Auge des Traumes und das ge¬
gen die äuſſere Welt geſpitzte Ohr der Aufmerk¬
ſamkeit anſtrengt. Wie ſchön iſt ſo etwas, ge¬
malt — wie viel ſchöner, erlebt! —

Der Mantel der Nacht wurde dünner und
kühler — die Morgenluft wehte lebendig an
die Bruſt — die Lerchen mengten ſich unter die
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[18/0038] „kromegas des deutſchen Staatskörpers dort, „eben ſo hoch, eben ſo ſtarr und ſo ſteif?“ — Der Glückliche ſchwieg und gab ſtatt der Antwort einen Handdruk der Liebe — er träum¬ te nur die Gegenwart und zeigte, er könne warten und entbehren. Wie ein Kinderherz, dem die Vorhänge und die Nachmitternacht das nahe Weihnachtsgeſchenk verdecken, zog er auf dem Luftſchiffe mit feſter Binde dem na¬ hen Himmelreiche entgegen. Dian trug, ſo weit es das Doppellicht des Mondſcheins und der nachhelfenden Aurora zuließ, eine Zeichnung von dem verhüllten Träumer in ſein Studienbuch. — — Ich wollt', ich hätte ſie da, und ſäh' es wie mein Liebling mit dem unterbundenen Seh¬ nerven, auf ihr zugleich das gegen die innere Welt gerichtete Auge des Traumes und das ge¬ gen die äuſſere Welt geſpitzte Ohr der Aufmerk¬ ſamkeit anſtrengt. Wie ſchön iſt ſo etwas, ge¬ malt — wie viel ſchöner, erlebt! — Der Mantel der Nacht wurde dünner und kühler — die Morgenluft wehte lebendig an die Bruſt — die Lerchen mengten ſich unter die Nachtigallen und unter die ſingenden Ruderleu¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Titan. Bd. 1. Berlin, 1800, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_titan01_1800/38>, abgerufen am 26.04.2024.