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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Das Alter des Menschengeschlechtes.
zähnen Gegenstände der Aussenwelt Fische, Rene, Menschen ab-
zubilden mit einer Deutlichkeit und Lebensbewegung, die uns An-
erkennung abnöthigt 1). Unter den Geräthen aus Horn, meist
Ahlen und Pfeilspitzen mit oder ohne Widerhaken, erregt unsre
Aufmerksamkeit auch das Vorkommen von Nadeln, mit denen jene
Höhlenbewohner ohne Zweifel Thierfelle zusammennähten. Ein
weicher rother Ocker, der sich unter den Resten befand, lässt uns
schliessen, dass sie ihre Haut bemalten. Ihre Putzsucht verräth
uns ferner der Fund von Halsbändern aus durchbohrten Thier-
zähnen und Muscheln. Letztre stammen obendrein von dem weit
entfernten atlantischen Strande, können also nur durch Tausch in
ihren Besitz gelangt sein, ebenso wie vorgefundene Bergkrystalle,
die in grossem Umkreise um die Fundstätten nicht vorkommen.
Selbst Hörner der Saigaantilope, deren nächstes Verbreitungsgebiet
erst in Polen erreicht wird, gehörten zu der Habe jener alten
Jäger und dienen als Urkunde, dass durch den Handel schon
damals geschätzte Waaren in grosse Fernen verbreitet wurden.
Nach den Knochenresten zu schliessen, waren die Jäger der Dor-
dogne nicht wie die belgischen Höhlenbewohner ein kleiner Men-
schenschlag, sondern von stattlicher Grösse und gewaltigem Körper-
bau. Die Schädel gehörten der längeren Form (Dolichocephalen)
an, und ihr knöchernes Antlitz, abgesehen von einer mässigen
Neigung zum Prognathismus, überrascht durch die Schönheit seiner
elliptischen Umrisse. Auch würde die Geräumigkeit einer männ-
lichen (1590 Kubikcentimeter) und einer weiblichen Gehirnkapsel
(1450 Kubikcentimeter) 2) auf hohe geistige Begabung hindeuten,
wenn überhaupt ein solcher Schluss zuverlässig wäre. Hier, als an
einem schicklichen Ort, wollen wir sogleich des Schädelbruchstückes

1) Sir John Lubbock hat in seinen Prehistoric Times 2. ed. London
1869 das Bild eines Mammuth auf Knochen geritzt aus der Höhle la Made-
laine im Perigord veröffentlicht. Kritische Betrachter haben aber wahrnehmen
wollen, dass archäologische Phantasie an der Ausführung der Umrisse jenes
Thiergemäldes das Beste beigetragen habe. Wir folgen im Texte selbst dem,
soviel wir wissen, noch immer unvollendeten Werke von Eduard Lartet und
Henry Christy, Reliquiae Aquitanicae. London 1865--69. Einen Auszug
aus diesem Werk mit einem Theil der Originalholzschnitte hat Alex. Ecker
im Archiv für Anthropologie, Braunschw. 1847, Bd. 4, S. 109 flg. veröffentlicht.
2) A. Ecker im Archiv für Anthropologie Bd. 4, S. 116. Der männ-
liche Schädel liess sich wirklich messen, die Geräumigkeit des weiblichen da-
gegen wegen Beschädigungen nur abschätzen.

Das Alter des Menschengeschlechtes.
zähnen Gegenstände der Aussenwelt Fische, Rene, Menschen ab-
zubilden mit einer Deutlichkeit und Lebensbewegung, die uns An-
erkennung abnöthigt 1). Unter den Geräthen aus Horn, meist
Ahlen und Pfeilspitzen mit oder ohne Widerhaken, erregt unsre
Aufmerksamkeit auch das Vorkommen von Nadeln, mit denen jene
Höhlenbewohner ohne Zweifel Thierfelle zusammennähten. Ein
weicher rother Ocker, der sich unter den Resten befand, lässt uns
schliessen, dass sie ihre Haut bemalten. Ihre Putzsucht verräth
uns ferner der Fund von Halsbändern aus durchbohrten Thier-
zähnen und Muscheln. Letztre stammen obendrein von dem weit
entfernten atlantischen Strande, können also nur durch Tausch in
ihren Besitz gelangt sein, ebenso wie vorgefundene Bergkrystalle,
die in grossem Umkreise um die Fundstätten nicht vorkommen.
Selbst Hörner der Saigaantilope, deren nächstes Verbreitungsgebiet
erst in Polen erreicht wird, gehörten zu der Habe jener alten
Jäger und dienen als Urkunde, dass durch den Handel schon
damals geschätzte Waaren in grosse Fernen verbreitet wurden.
Nach den Knochenresten zu schliessen, waren die Jäger der Dor-
dogne nicht wie die belgischen Höhlenbewohner ein kleiner Men-
schenschlag, sondern von stattlicher Grösse und gewaltigem Körper-
bau. Die Schädel gehörten der längeren Form (Dolichocephalen)
an, und ihr knöchernes Antlitz, abgesehen von einer mässigen
Neigung zum Prognathismus, überrascht durch die Schönheit seiner
elliptischen Umrisse. Auch würde die Geräumigkeit einer männ-
lichen (1590 Kubikcentimeter) und einer weiblichen Gehirnkapsel
(1450 Kubikcentimeter) 2) auf hohe geistige Begabung hindeuten,
wenn überhaupt ein solcher Schluss zuverlässig wäre. Hier, als an
einem schicklichen Ort, wollen wir sogleich des Schädelbruchstückes

1) Sir John Lubbock hat in seinen Prehistoric Times 2. ed. London
1869 das Bild eines Mammuth auf Knochen geritzt aus der Höhle la Made-
laine im Périgord veröffentlicht. Kritische Betrachter haben aber wahrnehmen
wollen, dass archäologische Phantasie an der Ausführung der Umrisse jenes
Thiergemäldes das Beste beigetragen habe. Wir folgen im Texte selbst dem,
soviel wir wissen, noch immer unvollendeten Werke von Eduard Lartet und
Henry Christy, Reliquiae Aquitanicae. London 1865—69. Einen Auszug
aus diesem Werk mit einem Theil der Originalholzschnitte hat Alex. Ecker
im Archiv für Anthropologie, Braunschw. 1847, Bd. 4, S. 109 flg. veröffentlicht.
2) A. Ecker im Archiv für Anthropologie Bd. 4, S. 116. Der männ-
liche Schädel liess sich wirklich messen, die Geräumigkeit des weiblichen da-
gegen wegen Beschädigungen nur abschätzen.
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[40/0058] Das Alter des Menschengeschlechtes. zähnen Gegenstände der Aussenwelt Fische, Rene, Menschen ab- zubilden mit einer Deutlichkeit und Lebensbewegung, die uns An- erkennung abnöthigt 1). Unter den Geräthen aus Horn, meist Ahlen und Pfeilspitzen mit oder ohne Widerhaken, erregt unsre Aufmerksamkeit auch das Vorkommen von Nadeln, mit denen jene Höhlenbewohner ohne Zweifel Thierfelle zusammennähten. Ein weicher rother Ocker, der sich unter den Resten befand, lässt uns schliessen, dass sie ihre Haut bemalten. Ihre Putzsucht verräth uns ferner der Fund von Halsbändern aus durchbohrten Thier- zähnen und Muscheln. Letztre stammen obendrein von dem weit entfernten atlantischen Strande, können also nur durch Tausch in ihren Besitz gelangt sein, ebenso wie vorgefundene Bergkrystalle, die in grossem Umkreise um die Fundstätten nicht vorkommen. Selbst Hörner der Saigaantilope, deren nächstes Verbreitungsgebiet erst in Polen erreicht wird, gehörten zu der Habe jener alten Jäger und dienen als Urkunde, dass durch den Handel schon damals geschätzte Waaren in grosse Fernen verbreitet wurden. Nach den Knochenresten zu schliessen, waren die Jäger der Dor- dogne nicht wie die belgischen Höhlenbewohner ein kleiner Men- schenschlag, sondern von stattlicher Grösse und gewaltigem Körper- bau. Die Schädel gehörten der längeren Form (Dolichocephalen) an, und ihr knöchernes Antlitz, abgesehen von einer mässigen Neigung zum Prognathismus, überrascht durch die Schönheit seiner elliptischen Umrisse. Auch würde die Geräumigkeit einer männ- lichen (1590 Kubikcentimeter) und einer weiblichen Gehirnkapsel (1450 Kubikcentimeter) 2) auf hohe geistige Begabung hindeuten, wenn überhaupt ein solcher Schluss zuverlässig wäre. Hier, als an einem schicklichen Ort, wollen wir sogleich des Schädelbruchstückes 1) Sir John Lubbock hat in seinen Prehistoric Times 2. ed. London 1869 das Bild eines Mammuth auf Knochen geritzt aus der Höhle la Made- laine im Périgord veröffentlicht. Kritische Betrachter haben aber wahrnehmen wollen, dass archäologische Phantasie an der Ausführung der Umrisse jenes Thiergemäldes das Beste beigetragen habe. Wir folgen im Texte selbst dem, soviel wir wissen, noch immer unvollendeten Werke von Eduard Lartet und Henry Christy, Reliquiae Aquitanicae. London 1865—69. Einen Auszug aus diesem Werk mit einem Theil der Originalholzschnitte hat Alex. Ecker im Archiv für Anthropologie, Braunschw. 1847, Bd. 4, S. 109 flg. veröffentlicht. 2) A. Ecker im Archiv für Anthropologie Bd. 4, S. 116. Der männ- liche Schädel liess sich wirklich messen, die Geräumigkeit des weiblichen da- gegen wegen Beschädigungen nur abschätzen.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/58>, abgerufen am 26.04.2024.