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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Das menschliche Gehirn.
Sionkopf, der mit Pfahlbauschädeln übereinstimmt, 1558 Cub. Cm.
( [Formel 1] ) gefunden. Somit hätte die schweizerische Bevölkerung
an Schädelgeräumigkeit beträchtlich verloren 1).

Das Ergründen dieser Raumgrössen geschieht offenbar, um
wenigstens annäherungsweise auf die Mächtigkeit des Gehirns
schliessen zu können. Ueber das Gewicht dieses Organes besassen
wir lange Zeit nur eine bahnbrechende Arbeit von Rudolf Wagner.
Leider stammte die Mehrzahl der 964 untersuchten Gehirne von
Geisteskranken, die also von Vergleichen hätten ausgeschlossen
bleiben sollen. Die Gewichtsbestimmungen rührten ausserdem von
verschiedenen Anatomen her, die nicht ein gleiches Verfahren inne
gehalten zu haben scheinen. Auch war es zu beklagen, dass die
Körpergrösse der untersuchten Leichen nur hin und wieder ange-
geben war. Da nun bei Cuvier ein Gewicht von 1861 Grammes,
bei Lord Byron, freilich auf zweideutige Angaben hin, ein solches
von 1807 Grammes ermittelt worden war, so schien ein hohes Ge-
wicht von hoher geistiger Begabung begleitet zu werden. Allein
bei Göttinger Gelehrten, wie Dirichlet (1520 Gr.), wie dem grossen
Gauss (1492 Gr.), dem Pathologen Fuchs (1499 Gr.), dem Philo-
logen Hermann (1358 Gr.) und dem Mineralogen Haussmann
(1226 Gr.) sanken die Werthe bis zum sonstigen Mittel, ja sogar
tief unter dieses herab 2). Als einzig dauernder Gewinn dieses
ersten Versuches lässt sich anführen, dass Wagner im Mittel das
weibliche Gehirn leichter fand, als das männliche. Diese That-
sache konnte später Weisbach bei den deutschen und slavischen
Bevölkerungen Oesterreichs streng bestätigen. Ferner hat Calori,
gestützt auf eine grosse Zahl von Gewichtsbestimmungen bei Italiern
das weibliche Gehirn um 150--200 Grammes leichter gefunden.
Die Geräumigkeit der Schädel ist ebenfalls bei den Geschlechtern
verschieden nach folgender von Weisbach 3) entworfenen Statistik:

1) Crania Helvetica. Basel 1864. p. 44.
2) Rudolf Wagner, Die Windungen der Hemisphären u. das Hirnge-
wicht. Göttingen 1860. S. 32--33. In einem offnen Schreiben an Barnard
Davis on the skull of Dante p. 13 hat jedoch Welcker aus den Wagner'schen
und andern Wägungen gezeigt, dass die Gehirne von 26 Männern hohen
geistigen Ranges zusammen um 14 Proc. das Mittel der ihnen zukommenden
Hirngewichte überschritten. Dante's Gehirn (1420 Gr.) steht übrigens sehr
wenig über dem Mittel von 1390 Gr.
3) Der deutsche Weiberschädel, im Archiv für Anthropologie. Braunschw.
1868. Bd. 3. S. 63.

Das menschliche Gehirn.
Sionkopf, der mit Pfahlbauschädeln übereinstimmt, 1558 Cub. Cm.
( [Formel 1] ) gefunden. Somit hätte die schweizerische Bevölkerung
an Schädelgeräumigkeit beträchtlich verloren 1).

Das Ergründen dieser Raumgrössen geschieht offenbar, um
wenigstens annäherungsweise auf die Mächtigkeit des Gehirns
schliessen zu können. Ueber das Gewicht dieses Organes besassen
wir lange Zeit nur eine bahnbrechende Arbeit von Rudolf Wagner.
Leider stammte die Mehrzahl der 964 untersuchten Gehirne von
Geisteskranken, die also von Vergleichen hätten ausgeschlossen
bleiben sollen. Die Gewichtsbestimmungen rührten ausserdem von
verschiedenen Anatomen her, die nicht ein gleiches Verfahren inne
gehalten zu haben scheinen. Auch war es zu beklagen, dass die
Körpergrösse der untersuchten Leichen nur hin und wieder ange-
geben war. Da nun bei Cuvier ein Gewicht von 1861 Grammes,
bei Lord Byron, freilich auf zweideutige Angaben hin, ein solches
von 1807 Grammes ermittelt worden war, so schien ein hohes Ge-
wicht von hoher geistiger Begabung begleitet zu werden. Allein
bei Göttinger Gelehrten, wie Dirichlet (1520 Gr.), wie dem grossen
Gauss (1492 Gr.), dem Pathologen Fuchs (1499 Gr.), dem Philo-
logen Hermann (1358 Gr.) und dem Mineralogen Haussmann
(1226 Gr.) sanken die Werthe bis zum sonstigen Mittel, ja sogar
tief unter dieses herab 2). Als einzig dauernder Gewinn dieses
ersten Versuches lässt sich anführen, dass Wagner im Mittel das
weibliche Gehirn leichter fand, als das männliche. Diese That-
sache konnte später Weisbach bei den deutschen und slavischen
Bevölkerungen Oesterreichs streng bestätigen. Ferner hat Calori,
gestützt auf eine grosse Zahl von Gewichtsbestimmungen bei Italiern
das weibliche Gehirn um 150—200 Grammes leichter gefunden.
Die Geräumigkeit der Schädel ist ebenfalls bei den Geschlechtern
verschieden nach folgender von Weisbach 3) entworfenen Statistik:

1) Crania Helvetica. Basel 1864. p. 44.
2) Rudolf Wagner, Die Windungen der Hemisphären u. das Hirnge-
wicht. Göttingen 1860. S. 32—33. In einem offnen Schreiben an Barnard
Davis on the skull of Dante p. 13 hat jedoch Welcker aus den Wagner’schen
und andern Wägungen gezeigt, dass die Gehirne von 26 Männern hohen
geistigen Ranges zusammen um 14 Proc. das Mittel der ihnen zukommenden
Hirngewichte überschritten. Dante’s Gehirn (1420 Gr.) steht übrigens sehr
wenig über dem Mittel von 1390 Gr.
3) Der deutsche Weiberschädel, im Archiv für Anthropologie. Braunschw.
1868. Bd. 3. S. 63.
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[71/0089] Das menschliche Gehirn. Sionkopf, der mit Pfahlbauschädeln übereinstimmt, 1558 Cub. Cm. ([FORMEL]) gefunden. Somit hätte die schweizerische Bevölkerung an Schädelgeräumigkeit beträchtlich verloren 1). Das Ergründen dieser Raumgrössen geschieht offenbar, um wenigstens annäherungsweise auf die Mächtigkeit des Gehirns schliessen zu können. Ueber das Gewicht dieses Organes besassen wir lange Zeit nur eine bahnbrechende Arbeit von Rudolf Wagner. Leider stammte die Mehrzahl der 964 untersuchten Gehirne von Geisteskranken, die also von Vergleichen hätten ausgeschlossen bleiben sollen. Die Gewichtsbestimmungen rührten ausserdem von verschiedenen Anatomen her, die nicht ein gleiches Verfahren inne gehalten zu haben scheinen. Auch war es zu beklagen, dass die Körpergrösse der untersuchten Leichen nur hin und wieder ange- geben war. Da nun bei Cuvier ein Gewicht von 1861 Grammes, bei Lord Byron, freilich auf zweideutige Angaben hin, ein solches von 1807 Grammes ermittelt worden war, so schien ein hohes Ge- wicht von hoher geistiger Begabung begleitet zu werden. Allein bei Göttinger Gelehrten, wie Dirichlet (1520 Gr.), wie dem grossen Gauss (1492 Gr.), dem Pathologen Fuchs (1499 Gr.), dem Philo- logen Hermann (1358 Gr.) und dem Mineralogen Haussmann (1226 Gr.) sanken die Werthe bis zum sonstigen Mittel, ja sogar tief unter dieses herab 2). Als einzig dauernder Gewinn dieses ersten Versuches lässt sich anführen, dass Wagner im Mittel das weibliche Gehirn leichter fand, als das männliche. Diese That- sache konnte später Weisbach bei den deutschen und slavischen Bevölkerungen Oesterreichs streng bestätigen. Ferner hat Calori, gestützt auf eine grosse Zahl von Gewichtsbestimmungen bei Italiern das weibliche Gehirn um 150—200 Grammes leichter gefunden. Die Geräumigkeit der Schädel ist ebenfalls bei den Geschlechtern verschieden nach folgender von Weisbach 3) entworfenen Statistik: 1) Crania Helvetica. Basel 1864. p. 44. 2) Rudolf Wagner, Die Windungen der Hemisphären u. das Hirnge- wicht. Göttingen 1860. S. 32—33. In einem offnen Schreiben an Barnard Davis on the skull of Dante p. 13 hat jedoch Welcker aus den Wagner’schen und andern Wägungen gezeigt, dass die Gehirne von 26 Männern hohen geistigen Ranges zusammen um 14 Proc. das Mittel der ihnen zukommenden Hirngewichte überschritten. Dante’s Gehirn (1420 Gr.) steht übrigens sehr wenig über dem Mittel von 1390 Gr. 3) Der deutsche Weiberschädel, im Archiv für Anthropologie. Braunschw. 1868. Bd. 3. S. 63.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/89>, abgerufen am 26.04.2024.