Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

laut als die Urheberin alles dieses Unheiles an, zerriß
sich ihr Purpurgewand und erhenkte sich am Deckenge¬
bälk ihres Frauengemachs. Als die Frauen der Latiner
dieses Ende ihrer Herrin vernommen hatten, tönte ein
lautes Jammern aus den Gemächern. Lavinia, ihre
Tochter, raufte sich die goldenen Locken aus und zerschlug
sich Brust und Wangen. Bald verbreitete sich der Ruf
der Trauer durch die ganze Stadt; Latinus, der jam¬
mervolle Gatte, zerriß sein Gewand und jammerte durch
den Palast, sich selbst anklagend, daß er den Trojaner
nicht sogleich in die Stadt aufgenommen und sich zum
Eidam auserkoren habe.


Turnus stellt sich zum Zweikampf und erliegt.
Ende.

Turnus setzte indessen auf dem äussersten Plane des
Schlachtfeldes noch wenigen Fliehenden nach, aber seine
Rosse liefen allmählig langsamer und müder. Da scholl
ihm von Ferne aus der zerrütteten Stadt verworrenes
Geschrei und Getöse entgegen, und er fing an zu ahnen,
daß dort sich ein großes Unglück ereignet haben müsse.
Er fiel der Schwester, die noch immer in Gestalt des
Wagenlenkers Metiskus neben ihm im Wagen saß, in
die Zügel, zog sie an und hielt in dumpfer Betäubung
die Rosse zurück. Juturna aber sprach ärgerlich zu
ihm: "Was besinnst du dich, Turnus, willst du auf der
Bahn des Sieges stille stehen? Hier laß uns die Tro¬
janer verfolgen, für die Vertheidigung der Häuser mögen

laut als die Urheberin alles dieſes Unheiles an, zerriß
ſich ihr Purpurgewand und erhenkte ſich am Deckenge¬
bälk ihres Frauengemachs. Als die Frauen der Latiner
dieſes Ende ihrer Herrin vernommen hatten, tönte ein
lautes Jammern aus den Gemächern. Lavinia, ihre
Tochter, raufte ſich die goldenen Locken aus und zerſchlug
ſich Bruſt und Wangen. Bald verbreitete ſich der Ruf
der Trauer durch die ganze Stadt; Latinus, der jam¬
mervolle Gatte, zerriß ſein Gewand und jammerte durch
den Palaſt, ſich ſelbſt anklagend, daß er den Trojaner
nicht ſogleich in die Stadt aufgenommen und ſich zum
Eidam auserkoren habe.


Turnus ſtellt ſich zum Zweikampf und erliegt.
Ende.

Turnus ſetzte indeſſen auf dem äuſſerſten Plane des
Schlachtfeldes noch wenigen Fliehenden nach, aber ſeine
Roſſe liefen allmählig langſamer und müder. Da ſcholl
ihm von Ferne aus der zerrütteten Stadt verworrenes
Geſchrei und Getöſe entgegen, und er fing an zu ahnen,
daß dort ſich ein großes Unglück ereignet haben müſſe.
Er fiel der Schweſter, die noch immer in Geſtalt des
Wagenlenkers Metiskus neben ihm im Wagen ſaß, in
die Zügel, zog ſie an und hielt in dumpfer Betäubung
die Roſſe zurück. Juturna aber ſprach ärgerlich zu
ihm: „Was beſinnſt du dich, Turnus, willſt du auf der
Bahn des Sieges ſtille ſtehen? Hier laß uns die Tro¬
janer verfolgen, für die Vertheidigung der Häuſer mögen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0453" n="431"/>
laut als die Urheberin alles die&#x017F;es Unheiles an, zerriß<lb/>
&#x017F;ich ihr Purpurgewand und erhenkte &#x017F;ich am Deckenge¬<lb/>
bälk ihres Frauengemachs. Als die Frauen der Latiner<lb/>
die&#x017F;es Ende ihrer Herrin vernommen hatten, tönte ein<lb/>
lautes Jammern aus den Gemächern. Lavinia, ihre<lb/>
Tochter, raufte &#x017F;ich die goldenen Locken aus und zer&#x017F;chlug<lb/>
&#x017F;ich Bru&#x017F;t und Wangen. Bald verbreitete &#x017F;ich der Ruf<lb/>
der Trauer durch die ganze Stadt; Latinus, der jam¬<lb/>
mervolle Gatte, zerriß &#x017F;ein Gewand und jammerte durch<lb/>
den Pala&#x017F;t, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t anklagend, daß er den Trojaner<lb/>
nicht &#x017F;ogleich in die Stadt aufgenommen und &#x017F;ich zum<lb/>
Eidam auserkoren habe.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Turnus &#x017F;tellt &#x017F;ich zum Zweikampf und erliegt.<lb/>
Ende.</hi><lb/>
            </head>
            <p>Turnus &#x017F;etzte inde&#x017F;&#x017F;en auf dem äu&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten Plane des<lb/>
Schlachtfeldes noch wenigen Fliehenden nach, aber &#x017F;eine<lb/>
Ro&#x017F;&#x017F;e liefen allmählig lang&#x017F;amer und müder. Da &#x017F;choll<lb/>
ihm von Ferne aus der zerrütteten Stadt verworrenes<lb/>
Ge&#x017F;chrei und Getö&#x017F;e entgegen, und er fing an zu ahnen,<lb/>
daß dort &#x017F;ich ein großes Unglück ereignet haben mü&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Er fiel der Schwe&#x017F;ter, die noch immer in Ge&#x017F;talt des<lb/>
Wagenlenkers Metiskus neben ihm im Wagen &#x017F;aß, in<lb/>
die Zügel, zog &#x017F;ie an und hielt in dumpfer Betäubung<lb/>
die Ro&#x017F;&#x017F;e zurück. Juturna aber &#x017F;prach ärgerlich zu<lb/>
ihm: &#x201E;Was be&#x017F;inn&#x017F;t du dich, Turnus, will&#x017F;t du auf der<lb/>
Bahn des Sieges &#x017F;tille &#x017F;tehen? Hier laß uns die Tro¬<lb/>
janer verfolgen, für die Vertheidigung der Häu&#x017F;er mögen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[431/0453] laut als die Urheberin alles dieſes Unheiles an, zerriß ſich ihr Purpurgewand und erhenkte ſich am Deckenge¬ bälk ihres Frauengemachs. Als die Frauen der Latiner dieſes Ende ihrer Herrin vernommen hatten, tönte ein lautes Jammern aus den Gemächern. Lavinia, ihre Tochter, raufte ſich die goldenen Locken aus und zerſchlug ſich Bruſt und Wangen. Bald verbreitete ſich der Ruf der Trauer durch die ganze Stadt; Latinus, der jam¬ mervolle Gatte, zerriß ſein Gewand und jammerte durch den Palaſt, ſich ſelbſt anklagend, daß er den Trojaner nicht ſogleich in die Stadt aufgenommen und ſich zum Eidam auserkoren habe. Turnus ſtellt ſich zum Zweikampf und erliegt. Ende. Turnus ſetzte indeſſen auf dem äuſſerſten Plane des Schlachtfeldes noch wenigen Fliehenden nach, aber ſeine Roſſe liefen allmählig langſamer und müder. Da ſcholl ihm von Ferne aus der zerrütteten Stadt verworrenes Geſchrei und Getöſe entgegen, und er fing an zu ahnen, daß dort ſich ein großes Unglück ereignet haben müſſe. Er fiel der Schweſter, die noch immer in Geſtalt des Wagenlenkers Metiskus neben ihm im Wagen ſaß, in die Zügel, zog ſie an und hielt in dumpfer Betäubung die Roſſe zurück. Juturna aber ſprach ärgerlich zu ihm: „Was beſinnſt du dich, Turnus, willſt du auf der Bahn des Sieges ſtille ſtehen? Hier laß uns die Tro¬ janer verfolgen, für die Vertheidigung der Häuſer mögen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/453
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/453>, abgerufen am 26.04.2024.