Leitender -- nicht immer klar festgehaltener Grundsatz: die Polizei soll stets streben, die persönliche Freiheit nur auf gerichtlichen Befehl zu be- schränken; thut sie es ohne denselben, so soll sie sofort das Gerichtsver- fahren eintreten lassen, haftet aber persönlich für das, was sie ohne Gerichtsbefehl thut. Was zu geschehen hat, wenn die Aktion der Rechts- pflege beginnt, ist nicht mehr Sache der Sicherheitspolizei und ihres Rechts, sondern der Strafrechtspflege. An diese Grundsätze hat sich eine ganze Theorie angeschlossen, welche namentlich in Deutschland noch vielfach Strafproceß und Polizei vermengt, zugleich aber in den ver- schiedenen Staaten sehr verschieden ist, vorzugsweise im Gebiete der Verhaftung und ihres Rechts. Einen ganz speciellen Theil dieser Polizei bildet endlich die Waffenpolizei, die selbst wieder zum Theil mit der Jagdpolizei zusammenhängt.
Ueber das vielbesprochene und selten ganz vorurtheilsfrei betrachtete Gebiet der Einzelpolizei ist viel von Criminalisten und wenig von der Staatswissen- schaft gearbeitet. Das englische System und die einseitigen Vorstellungen darüber: Glaser, Englisch-schottisches Strafverfahren 1860; Bertrand, de la detention prevent. en France 1862. Das französische seit 1790 im Code de l'Instr. Crim. V. 50. Die deutsche Rechtsbildung auf Grundlage des eng- lischen Princips des Rechts der polizeilichen Verhaftung mit der Pflicht der Uebergabe an das Gericht binnen vierundzwanzig Stunden; nebst den Bestim- mungen über polizeiliches Haus- und Beschlagsrecht: in zu enger Verbindung mit dem Strafverfahren: Sundelin, die Habeas-Corpus-Akte 1862. Zöpfl, Staatsrecht II. 290 ff. Stein, Polizeirecht S. 133 ff. nebst den gesetzlichen Bestimmungen; die österreichischen Gesetze vom 27. Okt. 1862 und 1867 (s. oben) sind noch das Beste hierüber; die meisten Bestimmungen finden sich sonst leider ausschließlich in den Strafgesetzbüchern, die von der Polizei keine Vorstellung haben. Das Verhältniß der Gemeinde zur niederen Sicherheitspolizei noch sehr unklar; Grundlage meist wie in Preußen: nur die Feldpolizei derselben überlassen. Eintreten des Vereinswesens für Bettler und Sträflinge, nebst (mangelhaften) gesetzlichen Bestimmungen. (Stein, Polizeirecht S. 166 ff.)
B. Die Verwaltungspolizei.
I. Begriff und System.
Die Verwaltungspolizei im Unterschiede von der Sicherheitspolizei entsteht nun da, wo es sich nicht mehr um die in einer Persönlichkeit überhaupt liegende, sondern um eine, ein bestimmtes Lebensver- hältniß der Gemeinschaft oder Einzelner bedrohende Thätigkeit eines Einzelnen handelt. Ihre Aufgabe ist daher der Schutz eines ganz bestimmten Gebietes des öffentlichen Lebens, und da das letztere der Verwaltung überhaupt unterliegt, so ergibt sich, daß die Verwaltungs-
Leitender — nicht immer klar feſtgehaltener Grundſatz: die Polizei ſoll ſtets ſtreben, die perſönliche Freiheit nur auf gerichtlichen Befehl zu be- ſchränken; thut ſie es ohne denſelben, ſo ſoll ſie ſofort das Gerichtsver- fahren eintreten laſſen, haftet aber perſönlich für das, was ſie ohne Gerichtsbefehl thut. Was zu geſchehen hat, wenn die Aktion der Rechts- pflege beginnt, iſt nicht mehr Sache der Sicherheitspolizei und ihres Rechts, ſondern der Strafrechtspflege. An dieſe Grundſätze hat ſich eine ganze Theorie angeſchloſſen, welche namentlich in Deutſchland noch vielfach Strafproceß und Polizei vermengt, zugleich aber in den ver- ſchiedenen Staaten ſehr verſchieden iſt, vorzugsweiſe im Gebiete der Verhaftung und ihres Rechts. Einen ganz ſpeciellen Theil dieſer Polizei bildet endlich die Waffenpolizei, die ſelbſt wieder zum Theil mit der Jagdpolizei zuſammenhängt.
Ueber das vielbeſprochene und ſelten ganz vorurtheilsfrei betrachtete Gebiet der Einzelpolizei iſt viel von Criminaliſten und wenig von der Staatswiſſen- ſchaft gearbeitet. Das engliſche Syſtem und die einſeitigen Vorſtellungen darüber: Glaſer, Engliſch-ſchottiſches Strafverfahren 1860; Bertrand, de la détention prévent. en France 1862. Das franzöſiſche ſeit 1790 im Code de l’Instr. Crim. V. 50. Die deutſche Rechtsbildung auf Grundlage des eng- liſchen Princips des Rechts der polizeilichen Verhaftung mit der Pflicht der Uebergabe an das Gericht binnen vierundzwanzig Stunden; nebſt den Beſtim- mungen über polizeiliches Haus- und Beſchlagsrecht: in zu enger Verbindung mit dem Strafverfahren: Sundelin, die Habeas-Corpus-Akte 1862. Zöpfl, Staatsrecht II. 290 ff. Stein, Polizeirecht S. 133 ff. nebſt den geſetzlichen Beſtimmungen; die öſterreichiſchen Geſetze vom 27. Okt. 1862 und 1867 (ſ. oben) ſind noch das Beſte hierüber; die meiſten Beſtimmungen finden ſich ſonſt leider ausſchließlich in den Strafgeſetzbüchern, die von der Polizei keine Vorſtellung haben. Das Verhältniß der Gemeinde zur niederen Sicherheitspolizei noch ſehr unklar; Grundlage meiſt wie in Preußen: nur die Feldpolizei derſelben überlaſſen. Eintreten des Vereinsweſens für Bettler und Sträflinge, nebſt (mangelhaften) geſetzlichen Beſtimmungen. (Stein, Polizeirecht S. 166 ff.)
B. Die Verwaltungspolizei.
I. Begriff und Syſtem.
Die Verwaltungspolizei im Unterſchiede von der Sicherheitspolizei entſteht nun da, wo es ſich nicht mehr um die in einer Perſönlichkeit überhaupt liegende, ſondern um eine, ein beſtimmtes Lebensver- hältniß der Gemeinſchaft oder Einzelner bedrohende Thätigkeit eines Einzelnen handelt. Ihre Aufgabe iſt daher der Schutz eines ganz beſtimmten Gebietes des öffentlichen Lebens, und da das letztere der Verwaltung überhaupt unterliegt, ſo ergibt ſich, daß die Verwaltungs-
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Leitender — nicht immer klar feſtgehaltener Grundſatz: die Polizei ſoll
ſtets ſtreben, die perſönliche Freiheit nur auf gerichtlichen Befehl zu be-
ſchränken; thut ſie es ohne denſelben, ſo ſoll ſie ſofort das Gerichtsver-
fahren eintreten laſſen, haftet aber perſönlich für das, was ſie ohne
Gerichtsbefehl thut. Was zu geſchehen hat, wenn die Aktion der Rechts-
pflege beginnt, iſt nicht mehr Sache der Sicherheitspolizei und ihres
Rechts, ſondern der Strafrechtspflege. An dieſe Grundſätze hat ſich
eine ganze Theorie angeſchloſſen, welche namentlich in Deutſchland noch
vielfach Strafproceß und Polizei vermengt, zugleich aber in den ver-
ſchiedenen Staaten ſehr verſchieden iſt, vorzugsweiſe im Gebiete der
Verhaftung und ihres Rechts. Einen ganz ſpeciellen Theil dieſer
Polizei bildet endlich die Waffenpolizei, die ſelbſt wieder zum Theil
mit der Jagdpolizei zuſammenhängt.
Ueber das vielbeſprochene und ſelten ganz vorurtheilsfrei betrachtete Gebiet
der Einzelpolizei iſt viel von Criminaliſten und wenig von der Staatswiſſen-
ſchaft gearbeitet. Das engliſche Syſtem und die einſeitigen Vorſtellungen
darüber: Glaſer, Engliſch-ſchottiſches Strafverfahren 1860; Bertrand, de
la détention prévent. en France 1862. Das franzöſiſche ſeit 1790 im Code
de l’Instr. Crim. V. 50. Die deutſche Rechtsbildung auf Grundlage des eng-
liſchen Princips des Rechts der polizeilichen Verhaftung mit der Pflicht der
Uebergabe an das Gericht binnen vierundzwanzig Stunden; nebſt den Beſtim-
mungen über polizeiliches Haus- und Beſchlagsrecht: in zu enger Verbindung
mit dem Strafverfahren: Sundelin, die Habeas-Corpus-Akte 1862. Zöpfl,
Staatsrecht II. 290 ff. Stein, Polizeirecht S. 133 ff. nebſt den geſetzlichen
Beſtimmungen; die öſterreichiſchen Geſetze vom 27. Okt. 1862 und 1867 (ſ. oben)
ſind noch das Beſte hierüber; die meiſten Beſtimmungen finden ſich ſonſt leider
ausſchließlich in den Strafgeſetzbüchern, die von der Polizei keine Vorſtellung
haben. Das Verhältniß der Gemeinde zur niederen Sicherheitspolizei noch
ſehr unklar; Grundlage meiſt wie in Preußen: nur die Feldpolizei derſelben
überlaſſen. Eintreten des Vereinsweſens für Bettler und Sträflinge, nebſt
(mangelhaften) geſetzlichen Beſtimmungen. (Stein, Polizeirecht S. 166 ff.)
B. Die Verwaltungspolizei.
I. Begriff und Syſtem.
Die Verwaltungspolizei im Unterſchiede von der Sicherheitspolizei
entſteht nun da, wo es ſich nicht mehr um die in einer Perſönlichkeit
überhaupt liegende, ſondern um eine, ein beſtimmtes Lebensver-
hältniß der Gemeinſchaft oder Einzelner bedrohende Thätigkeit eines
Einzelnen handelt. Ihre Aufgabe iſt daher der Schutz eines ganz
beſtimmten Gebietes des öffentlichen Lebens, und da das letztere der
Verwaltung überhaupt unterliegt, ſo ergibt ſich, daß die Verwaltungs-
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/127>, abgerufen am 26.04.2024.
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