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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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nächste, gute Gelegenheit beim Schopfe, den Sklavenbesitzer
zu zertreten. Daß Ich dann von ihm und seiner Peitsche frei
werde, das ist nur die Folge meines vorangegangenen Egois¬
mus. Man sagt hier vielleicht, Ich sei auch im Stande der
Sklaverei "frei" gewesen, nämlich "an sich" oder "innerlich".
Allein "an sich frei" ist nicht "wirklich frei" und "innerlich"
nicht "äußerlich". Eigen hingegen, mein eigen war Ich
ganz und gar, innerlich und äußerlich. Von den Folterqua¬
len und Geißelhieben ist mein Leib nicht "frei" unter der
Herrschaft eines grausamen Gebieters; aber meine Knochen
sind es, welche unter der Tortur ächzen, meine Fiebern zucken
unter den Schlägen, und Ich ächze, weil mein Leib ächzt.
Daß Ich seufze und erzittere, beweist, daß Ich noch bei Mir,
daß Ich noch mein eigen bin. Mein Bein ist nicht "frei"
von dem Prügel des Herrn, aber es ist mein Bein und ist
unentreißbar. Er reiße Mir's aus und sehe zu, ob er noch
mein Bein hat! Nichts behält er in der Hand als den --
Leichnam meines Beines, der so wenig mein Bein ist, als
ein todter Hund noch ein Hund ist: ein Hund hat ein pul¬
sirendes Herz, ein sogenannter todter Hund hat keines und ist
darum kein Hund mehr.

Meint man, daß ein Sklave doch innerlich frei sein könne,
so sagt man in der That nur das Unbestreitbarste und Trivialste.
Denn wer wird wohl behaupten, daß irgend ein Mensch ohne
alle Freiheit sei? Wenn Ich ein Augendiener bin, kann Ich
darum nicht von unzähligen Dingen frei sein, z. B. vom Glau¬
ben an Zeus, von Ruhmbegierde u. dergl.? Warum also
sollte ein gepeitschter Sklave nicht auch innerlich frei sein kön¬
nen von unchristlicher Gesinnung, von Feindeshaß u. s. w.?
Er ist dann eben "christlich frei", ist das Unchristliche los;

nächſte, gute Gelegenheit beim Schopfe, den Sklavenbeſitzer
zu zertreten. Daß Ich dann von ihm und ſeiner Peitſche frei
werde, das iſt nur die Folge meines vorangegangenen Egois¬
mus. Man ſagt hier vielleicht, Ich ſei auch im Stande der
Sklaverei „frei“ geweſen, nämlich „an ſich“ oder „innerlich“.
Allein „an ſich frei“ iſt nicht „wirklich frei“ und „innerlich“
nicht „äußerlich“. Eigen hingegen, mein eigen war Ich
ganz und gar, innerlich und äußerlich. Von den Folterqua¬
len und Geißelhieben iſt mein Leib nicht „frei“ unter der
Herrſchaft eines grauſamen Gebieters; aber meine Knochen
ſind es, welche unter der Tortur ächzen, meine Fiebern zucken
unter den Schlägen, und Ich ächze, weil mein Leib ächzt.
Daß Ich ſeufze und erzittere, beweiſt, daß Ich noch bei Mir,
daß Ich noch mein eigen bin. Mein Bein iſt nicht „frei“
von dem Prügel des Herrn, aber es iſt mein Bein und iſt
unentreißbar. Er reiße Mir's aus und ſehe zu, ob er noch
mein Bein hat! Nichts behält er in der Hand als den —
Leichnam meines Beines, der ſo wenig mein Bein iſt, als
ein todter Hund noch ein Hund iſt: ein Hund hat ein pul¬
ſirendes Herz, ein ſogenannter todter Hund hat keines und iſt
darum kein Hund mehr.

Meint man, daß ein Sklave doch innerlich frei ſein könne,
ſo ſagt man in der That nur das Unbeſtreitbarſte und Trivialſte.
Denn wer wird wohl behaupten, daß irgend ein Menſch ohne
alle Freiheit ſei? Wenn Ich ein Augendiener bin, kann Ich
darum nicht von unzähligen Dingen frei ſein, z. B. vom Glau¬
ben an Zeus, von Ruhmbegierde u. dergl.? Warum alſo
ſollte ein gepeitſchter Sklave nicht auch innerlich frei ſein kön¬
nen von unchriſtlicher Geſinnung, von Feindeshaß u. ſ. w.?
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[208/0216] nächſte, gute Gelegenheit beim Schopfe, den Sklavenbeſitzer zu zertreten. Daß Ich dann von ihm und ſeiner Peitſche frei werde, das iſt nur die Folge meines vorangegangenen Egois¬ mus. Man ſagt hier vielleicht, Ich ſei auch im Stande der Sklaverei „frei“ geweſen, nämlich „an ſich“ oder „innerlich“. Allein „an ſich frei“ iſt nicht „wirklich frei“ und „innerlich“ nicht „äußerlich“. Eigen hingegen, mein eigen war Ich ganz und gar, innerlich und äußerlich. Von den Folterqua¬ len und Geißelhieben iſt mein Leib nicht „frei“ unter der Herrſchaft eines grauſamen Gebieters; aber meine Knochen ſind es, welche unter der Tortur ächzen, meine Fiebern zucken unter den Schlägen, und Ich ächze, weil mein Leib ächzt. Daß Ich ſeufze und erzittere, beweiſt, daß Ich noch bei Mir, daß Ich noch mein eigen bin. Mein Bein iſt nicht „frei“ von dem Prügel des Herrn, aber es iſt mein Bein und iſt unentreißbar. Er reiße Mir's aus und ſehe zu, ob er noch mein Bein hat! Nichts behält er in der Hand als den — Leichnam meines Beines, der ſo wenig mein Bein iſt, als ein todter Hund noch ein Hund iſt: ein Hund hat ein pul¬ ſirendes Herz, ein ſogenannter todter Hund hat keines und iſt darum kein Hund mehr. Meint man, daß ein Sklave doch innerlich frei ſein könne, ſo ſagt man in der That nur das Unbeſtreitbarſte und Trivialſte. Denn wer wird wohl behaupten, daß irgend ein Menſch ohne alle Freiheit ſei? Wenn Ich ein Augendiener bin, kann Ich darum nicht von unzähligen Dingen frei ſein, z. B. vom Glau¬ ben an Zeus, von Ruhmbegierde u. dergl.? Warum alſo ſollte ein gepeitſchter Sklave nicht auch innerlich frei ſein kön¬ nen von unchriſtlicher Geſinnung, von Feindeshaß u. ſ. w.? Er iſt dann eben „chriſtlich frei“, iſt das Unchriſtliche los;

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/216>, abgerufen am 26.04.2024.