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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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sollte. Und schon kam unten aus der Marsch der
Leichenzug heran, eine Menge Wagen aus allen
Kirchspielsdörfern; auf dem vordersten stand der
schwere Sarg, die beiden blanken Rappen des
deichgräflichen Stalles zogen ihn schon den sandigen
Anberg zur Geest hinauf; Schweife und Mähnen
der Pferde wehten in dem scharfen Frühjahrswind.
Der Gottesacker um die Kirche war bis an die
Wälle mit Menschen angefüllt; selbst auf dem
gemauerten Thore huckten Buben mit kleinen
Kindern in den Armen; sie wollten alle das Be-
graben anseh'n.

Im Hause drunten in der Marsch hatte Elke
in Pesel und Wohngelaß das Leichenmahl gerüstet;
alter Wein wurde bei den Gedecken hingestellt;
an den Platz des Oberdeichgrafen -- denn auch er
war heut' nicht ausgeblieben -- und an den des
Pastors je eine Flasche Langkork. Als Alles be-
sorgt war, ging sie durch den Stall vor die Hof-
thür; sie traf Niemanden auf ihrem Wege; die
Knechte waren mit zwei Gespannen in der
Leichenfuhr. Hier blieb sie stehen und sah,
während ihre Trauerkleider im Frühlingswinde
flatterten, wie drüben an dem Dorfe jetzt die

ſollte. Und ſchon kam unten aus der Marſch der
Leichenzug heran, eine Menge Wagen aus allen
Kirchſpielsdörfern; auf dem vorderſten ſtand der
ſchwere Sarg, die beiden blanken Rappen des
deichgräflichen Stalles zogen ihn ſchon den ſandigen
Anberg zur Geeſt hinauf; Schweife und Mähnen
der Pferde wehten in dem ſcharfen Frühjahrswind.
Der Gottesacker um die Kirche war bis an die
Wälle mit Menſchen angefüllt; ſelbſt auf dem
gemauerten Thore huckten Buben mit kleinen
Kindern in den Armen; ſie wollten alle das Be-
graben anſeh'n.

Im Hauſe drunten in der Marſch hatte Elke
in Peſel und Wohngelaß das Leichenmahl gerüſtet;
alter Wein wurde bei den Gedecken hingeſtellt;
an den Platz des Oberdeichgrafen — denn auch er
war heut' nicht ausgeblieben — und an den des
Paſtors je eine Flaſche Langkork. Als Alles be-
ſorgt war, ging ſie durch den Stall vor die Hof-
thür; ſie traf Niemanden auf ihrem Wege; die
Knechte waren mit zwei Geſpannen in der
Leichenfuhr. Hier blieb ſie ſtehen und ſah,
während ihre Trauerkleider im Frühlingswinde
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[89/0101] ſollte. Und ſchon kam unten aus der Marſch der Leichenzug heran, eine Menge Wagen aus allen Kirchſpielsdörfern; auf dem vorderſten ſtand der ſchwere Sarg, die beiden blanken Rappen des deichgräflichen Stalles zogen ihn ſchon den ſandigen Anberg zur Geeſt hinauf; Schweife und Mähnen der Pferde wehten in dem ſcharfen Frühjahrswind. Der Gottesacker um die Kirche war bis an die Wälle mit Menſchen angefüllt; ſelbſt auf dem gemauerten Thore huckten Buben mit kleinen Kindern in den Armen; ſie wollten alle das Be- graben anſeh'n. Im Hauſe drunten in der Marſch hatte Elke in Peſel und Wohngelaß das Leichenmahl gerüſtet; alter Wein wurde bei den Gedecken hingeſtellt; an den Platz des Oberdeichgrafen — denn auch er war heut' nicht ausgeblieben — und an den des Paſtors je eine Flaſche Langkork. Als Alles be- ſorgt war, ging ſie durch den Stall vor die Hof- thür; ſie traf Niemanden auf ihrem Wege; die Knechte waren mit zwei Geſpannen in der Leichenfuhr. Hier blieb ſie ſtehen und ſah, während ihre Trauerkleider im Frühlingswinde flatterten, wie drüben an dem Dorfe jetzt die

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/101>, abgerufen am 27.04.2024.