Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

und über einander gegen das feste Land schlugen.
Mit weißen Kronen kamen sie daher, heulend, als
sei in ihnen der Schrei alles furchtbaren Raub-
gethiers der Wildniß. Der Schimmel schlug mit
den Vorderhufen und schnob mit seinen Nüstern
in den Lärm hinaus; den Reiter aber wollte es
überfallen, als sei hier alle Menschenmacht zu
Ende; als müsse jetzt die Nacht, der Tod, das
Nichts hereinbrechen.

Doch er besann sich: es war ja Sturmfluth;
nur hatte er sie selbst noch nimmer so gesehen;
sein Weib, sein Kind, sie saßen sicher auf der hohen
Werfte, in dem festen Hause; sein Deich aber --
und wie ein Stolz flog es ihm durch die Brust --
der Hauke-Haiendeich, wie ihn die Leute nannten,
der mochte jetzt beweisen, wie man Deiche bauen
müsse!

Aber -- was war das? -- Er hielt an dem
Winkel zwischen beiden Deichen; wo waren die
Leute, die er hieher gestellt, die hier die Wacht zu
halten hatten? -- Er blickte nach Norden den
alten Deich hinauf; denn auch dorthin hatte er
Einzelne beordert. Weder hier noch dort ver-
mochte er einen Menschen zu erblicken; er ritt ein

Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 14

und über einander gegen das feſte Land ſchlugen.
Mit weißen Kronen kamen ſie daher, heulend, als
ſei in ihnen der Schrei alles furchtbaren Raub-
gethiers der Wildniß. Der Schimmel ſchlug mit
den Vorderhufen und ſchnob mit ſeinen Nüſtern
in den Lärm hinaus; den Reiter aber wollte es
überfallen, als ſei hier alle Menſchenmacht zu
Ende; als müſſe jetzt die Nacht, der Tod, das
Nichts hereinbrechen.

Doch er beſann ſich: es war ja Sturmfluth;
nur hatte er ſie ſelbſt noch nimmer ſo geſehen;
ſein Weib, ſein Kind, ſie ſaßen ſicher auf der hohen
Werfte, in dem feſten Hauſe; ſein Deich aber —
und wie ein Stolz flog es ihm durch die Bruſt —
der Hauke-Haiendeich, wie ihn die Leute nannten,
der mochte jetzt beweiſen, wie man Deiche bauen
müſſe!

Aber — was war das? — Er hielt an dem
Winkel zwiſchen beiden Deichen; wo waren die
Leute, die er hieher geſtellt, die hier die Wacht zu
halten hatten? — Er blickte nach Norden den
alten Deich hinauf; denn auch dorthin hatte er
Einzelne beordert. Weder hier noch dort ver-
mochte er einen Menſchen zu erblicken; er ritt ein

Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0221" n="209"/>
und über einander gegen das fe&#x017F;te Land &#x017F;chlugen.<lb/>
Mit weißen Kronen kamen &#x017F;ie daher, heulend, als<lb/>
&#x017F;ei in ihnen der Schrei alles furchtbaren Raub-<lb/>
gethiers der Wildniß. Der Schimmel &#x017F;chlug mit<lb/>
den Vorderhufen und &#x017F;chnob mit &#x017F;einen Nü&#x017F;tern<lb/>
in den Lärm hinaus; den Reiter aber wollte es<lb/>
überfallen, als &#x017F;ei hier alle Men&#x017F;chenmacht zu<lb/>
Ende; als mü&#x017F;&#x017F;e jetzt die Nacht, der Tod, das<lb/>
Nichts hereinbrechen.</p><lb/>
        <p>Doch er be&#x017F;ann &#x017F;ich: es war ja Sturmfluth;<lb/>
nur hatte er &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t noch nimmer &#x017F;o ge&#x017F;ehen;<lb/>
&#x017F;ein Weib, &#x017F;ein Kind, &#x017F;ie &#x017F;aßen &#x017F;icher auf der hohen<lb/>
Werfte, in dem fe&#x017F;ten Hau&#x017F;e; &#x017F;ein Deich aber &#x2014;<lb/>
und wie ein Stolz flog es ihm durch die Bru&#x017F;t &#x2014;<lb/>
der Hauke-Haiendeich, wie ihn die Leute nannten,<lb/>
der mochte jetzt bewei&#x017F;en, wie man Deiche bauen<lb/>&#x017F;&#x017F;e!</p><lb/>
        <p>Aber &#x2014; was war das? &#x2014; Er hielt an dem<lb/>
Winkel zwi&#x017F;chen beiden Deichen; wo waren die<lb/>
Leute, die er hieher ge&#x017F;tellt, die hier die Wacht zu<lb/>
halten hatten? &#x2014; Er blickte nach Norden den<lb/>
alten Deich hinauf; denn auch dorthin hatte er<lb/>
Einzelne beordert. Weder hier noch dort ver-<lb/>
mochte er einen Men&#x017F;chen zu erblicken; er ritt ein<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Theodor Storm</hi>, Der Schimmelreiter. 14</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0221] und über einander gegen das feſte Land ſchlugen. Mit weißen Kronen kamen ſie daher, heulend, als ſei in ihnen der Schrei alles furchtbaren Raub- gethiers der Wildniß. Der Schimmel ſchlug mit den Vorderhufen und ſchnob mit ſeinen Nüſtern in den Lärm hinaus; den Reiter aber wollte es überfallen, als ſei hier alle Menſchenmacht zu Ende; als müſſe jetzt die Nacht, der Tod, das Nichts hereinbrechen. Doch er beſann ſich: es war ja Sturmfluth; nur hatte er ſie ſelbſt noch nimmer ſo geſehen; ſein Weib, ſein Kind, ſie ſaßen ſicher auf der hohen Werfte, in dem feſten Hauſe; ſein Deich aber — und wie ein Stolz flog es ihm durch die Bruſt — der Hauke-Haiendeich, wie ihn die Leute nannten, der mochte jetzt beweiſen, wie man Deiche bauen müſſe! Aber — was war das? — Er hielt an dem Winkel zwiſchen beiden Deichen; wo waren die Leute, die er hieher geſtellt, die hier die Wacht zu halten hatten? — Er blickte nach Norden den alten Deich hinauf; denn auch dorthin hatte er Einzelne beordert. Weder hier noch dort ver- mochte er einen Menſchen zu erblicken; er ritt ein Theodor Storm, Der Schimmelreiter. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/221
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/221>, abgerufen am 26.04.2024.