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Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696.

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und denen daher rührenden Untug.
möchten/ weil er gewohnet ist mit seiner Scharff-
sinnigkeit aus solchen Umständen anderer Leute
ihr Vorhaben zu erlernen: Er sagt auch von
andern Leuten wenig/ sie mögen nun seine
Freunde oder Feinde seyn. Sind es seine
Feinde/
damit man nicht spüren möge was er
gegen sie gesinnet sey/ oder weil er weiß/ daß
wenn er sich stellet/ als wisse er ihre Anschläge
nicht/ daß sie für ihm sich nicht so in acht nehmen.
Sind es seine Schein-Freunde/ so thut er es
zwar nicht aus Liebe zu ihnen/ sondern weil er
entweder weiß/ daß man von einen Klätscher
nichts hält/ und ihn nicht aestimiret/ oder weil
sein interesse, das mit seinen Schein-Freunden
verknüpfft ist/ dadurch nur verrathen würde:
Bittet man ihn nun gleich/ diese seine Geheim-
nüsse zu offenbahren so wird ihm doch solches
nicht bewegen/ weil er wohl siehet/ daß die so
ihm bitten/ gemeiniglich Wohllüstige oder Geld-
geitzige seyn/ und er sich von ihrer Verschwiegen-
heit wenig versprechen könne/ oder weil er seine
Hartnäckigkeit für eine Tugend der Verschwie-
genheit und Beständigkeit hält/ und dadurch sich
eine Hochachtung bey andern zu erwerben ge-
dencket. Durch Bedrohung kriegt man noch
viel weniger von ihm heraus/ wegen seiner Toll-
kühnheit und Zornes/ und würde er sich eher die
Zunge abbeissen und seinen Feinden ins Ange-
sicht speyen/ als daß er sich durch ihre Pein zwin-
gen lassen solte/ nach ihren Willen zu leben. Dan-

nen-
Q 5

und denen daher ruͤhrenden Untug.
moͤchten/ weil er gewohnet iſt mit ſeiner Scharff-
ſinnigkeit aus ſolchen Umſtaͤnden anderer Leute
ihr Vorhaben zu erlernen: Er ſagt auch von
andern Leuten wenig/ ſie moͤgen nun ſeine
Freunde oder Feinde ſeyn. Sind es ſeine
Feinde/
damit man nicht ſpuͤren moͤge was er
gegen ſie geſinnet ſey/ oder weil er weiß/ daß
wenn er ſich ſtellet/ als wiſſe er ihre Anſchlaͤge
nicht/ daß ſie fuͤr ihm ſich nicht ſo in acht nehmen.
Sind es ſeine Schein-Freunde/ ſo thut er es
zwar nicht aus Liebe zu ihnen/ ſondern weil er
entweder weiß/ daß man von einen Klaͤtſcher
nichts haͤlt/ und ihn nicht æſtimiret/ oder weil
ſein intereſſe, das mit ſeinen Schein-Freunden
verknuͤpfft iſt/ dadurch nur verrathen wuͤrde:
Bittet man ihn nun gleich/ dieſe ſeine Geheim-
nuͤſſe zu offenbahren ſo wird ihm doch ſolches
nicht bewegen/ weil er wohl ſiehet/ daß die ſo
ihm bitten/ gemeiniglich Wohlluͤſtige oder Geld-
geitzige ſeyn/ und er ſich von ihrer Verſchwiegen-
heit wenig verſprechen koͤnne/ oder weil er ſeine
Hartnaͤckigkeit fuͤr eine Tugend der Verſchwie-
genheit und Beſtaͤndigkeit haͤlt/ und dadurch ſich
eine Hochachtung bey andern zu erwerben ge-
dencket. Durch Bedrohung kriegt man noch
viel weniger von ihm heraus/ wegen ſeiner Toll-
kuͤhnheit und Zornes/ und wuͤrde er ſich eher die
Zunge abbeiſſen und ſeinen Feinden ins Ange-
ſicht ſpeyen/ als daß er ſich durch ihre Pein zwin-
gen laſſen ſolte/ nach ihren Willen zu leben. Dan-

nen-
Q 5
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[249/0261] und denen daher ruͤhrenden Untug. moͤchten/ weil er gewohnet iſt mit ſeiner Scharff- ſinnigkeit aus ſolchen Umſtaͤnden anderer Leute ihr Vorhaben zu erlernen: Er ſagt auch von andern Leuten wenig/ ſie moͤgen nun ſeine Freunde oder Feinde ſeyn. Sind es ſeine Feinde/ damit man nicht ſpuͤren moͤge was er gegen ſie geſinnet ſey/ oder weil er weiß/ daß wenn er ſich ſtellet/ als wiſſe er ihre Anſchlaͤge nicht/ daß ſie fuͤr ihm ſich nicht ſo in acht nehmen. Sind es ſeine Schein-Freunde/ ſo thut er es zwar nicht aus Liebe zu ihnen/ ſondern weil er entweder weiß/ daß man von einen Klaͤtſcher nichts haͤlt/ und ihn nicht æſtimiret/ oder weil ſein intereſſe, das mit ſeinen Schein-Freunden verknuͤpfft iſt/ dadurch nur verrathen wuͤrde: Bittet man ihn nun gleich/ dieſe ſeine Geheim- nuͤſſe zu offenbahren ſo wird ihm doch ſolches nicht bewegen/ weil er wohl ſiehet/ daß die ſo ihm bitten/ gemeiniglich Wohlluͤſtige oder Geld- geitzige ſeyn/ und er ſich von ihrer Verſchwiegen- heit wenig verſprechen koͤnne/ oder weil er ſeine Hartnaͤckigkeit fuͤr eine Tugend der Verſchwie- genheit und Beſtaͤndigkeit haͤlt/ und dadurch ſich eine Hochachtung bey andern zu erwerben ge- dencket. Durch Bedrohung kriegt man noch viel weniger von ihm heraus/ wegen ſeiner Toll- kuͤhnheit und Zornes/ und wuͤrde er ſich eher die Zunge abbeiſſen und ſeinen Feinden ins Ange- ſicht ſpeyen/ als daß er ſich durch ihre Pein zwin- gen laſſen ſolte/ nach ihren Willen zu leben. Dan- nen- Q 5

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Ausübung Der SittenLehre. Halle (Saale), 1696, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_ausuebungsittenlehre_1696/261>, abgerufen am 26.04.2024.