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Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692.

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Das 5. Hauptst. von der allgemeinen.
deshalben ein Bescheidener/ Verträglicher/
und Wahrhafftiger den Nahmen eines Men-
schen nicht/ der jederman die allgemeine Liebe
erweiset/ wenn er durch deutliche Umbstände be-
zeiget/ daß er bescheiden/ wahrhafftig und verträg-
lich seyn würde/ wenn er sich gleich keines Zwangs
hierzu zu befahren hätte. Es wird aber nicht leich-
te ein Umstand dieses andere kräfftiger bereden/
als wenn er sich dabey Leutseelig und geduldig
erweiset.

107.

Und dieses ist es eben/ was man sonst in
dem bekanten Vers zu sagen pfleget:

Oderunt peccare boni virtutis amore
Oderunt peccare mali formidine poena.

Denn es ist keine wahre Tugend als die eintzige
Liebe/ und verdienet auch kein Mensch Tugend-
hafft genennet zu werden/ der aus Furcht einer
äusserlichen Gewalt das thut was recht ist.

108.

Was sonsten die Benennung dieser
fünff Tugenden betrifft/ kanstu noch dieses wenige
mercken/ daß du mehr auff die gegebene Beschrei-
bung oder die Sache selbst/ als auf den Nahmen
acht geben/ und also wegen der Wörter mit nie-
mand einen unnöthigen Streit anfangen must.
Du kanst die Bescheidenheit Leutseligkeit
nennen/ wenn du nur merckest/ daß wir dadurch
diejenige Tugend vestehen/ die der Hoffarth/
Stoltz/ Hochmuth/ Verachtung anderer Leute/
u. s. w. entgegen gesetzet ist. Die Verträglig-
keit
kanstu Friedfertigkeit heissen/ wiewohl du

auch

Das 5. Hauptſt. von der allgemeinen.
deshalben ein Beſcheidener/ Vertraͤglicher/
und Wahrhafftiger den Nahmen eines Men-
ſchen nicht/ der jederman die allgemeine Liebe
erweiſet/ wenn er durch deutliche Umbſtaͤnde be-
zeiget/ daß er beſcheiden/ wahrhafftig und vertraͤg-
lich ſeyn wuͤrde/ weñ er ſich gleich keines Zwangs
hierzu zu befahren haͤtte. Es wird aber nicht leich-
te ein Umſtand dieſes andere kraͤfftiger bereden/
als wenn er ſich dabey Leutſeelig und geduldig
erweiſet.

107.

Und dieſes iſt es eben/ was man ſonſt in
dem bekanten Vers zu ſagen pfleget:

Oderunt peccare boni virtutis amore
Oderunt peccare mali formidine pœna.

Denn es iſt keine wahre Tugend als die eintzige
Liebe/ und verdienet auch kein Menſch Tugend-
hafft genennet zu werden/ der aus Furcht einer
aͤuſſerlichen Gewalt das thut was recht iſt.

108.

Was ſonſten die Benennung dieſer
fuͤnff Tugenden betrifft/ kanſtu noch dieſes wenige
mercken/ daß du mehr auff die gegebene Beſchrei-
bung oder die Sache ſelbſt/ als auf den Nahmen
acht geben/ und alſo wegen der Woͤrter mit nie-
mand einen unnoͤthigen Streit anfangen muſt.
Du kanſt die Beſcheidenheit Leutſeligkeit
nennen/ wenn du nur merckeſt/ daß wir dadurch
diejenige Tugend veſtehen/ die der Hoffarth/
Stoltz/ Hochmuth/ Verachtung anderer Leute/
u. ſ. w. entgegen geſetzet iſt. Die Vertraͤglig-
keit
kanſtu Friedfertigkeit heiſſen/ wiewohl du

auch
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[252[248]/0280] Das 5. Hauptſt. von der allgemeinen. deshalben ein Beſcheidener/ Vertraͤglicher/ und Wahrhafftiger den Nahmen eines Men- ſchen nicht/ der jederman die allgemeine Liebe erweiſet/ wenn er durch deutliche Umbſtaͤnde be- zeiget/ daß er beſcheiden/ wahrhafftig und vertraͤg- lich ſeyn wuͤrde/ weñ er ſich gleich keines Zwangs hierzu zu befahren haͤtte. Es wird aber nicht leich- te ein Umſtand dieſes andere kraͤfftiger bereden/ als wenn er ſich dabey Leutſeelig und geduldig erweiſet. 107. Und dieſes iſt es eben/ was man ſonſt in dem bekanten Vers zu ſagen pfleget: Oderunt peccare boni virtutis amore Oderunt peccare mali formidine pœna. Denn es iſt keine wahre Tugend als die eintzige Liebe/ und verdienet auch kein Menſch Tugend- hafft genennet zu werden/ der aus Furcht einer aͤuſſerlichen Gewalt das thut was recht iſt. 108. Was ſonſten die Benennung dieſer fuͤnff Tugenden betrifft/ kanſtu noch dieſes wenige mercken/ daß du mehr auff die gegebene Beſchrei- bung oder die Sache ſelbſt/ als auf den Nahmen acht geben/ und alſo wegen der Woͤrter mit nie- mand einen unnoͤthigen Streit anfangen muſt. Du kanſt die Beſcheidenheit Leutſeligkeit nennen/ wenn du nur merckeſt/ daß wir dadurch diejenige Tugend veſtehen/ die der Hoffarth/ Stoltz/ Hochmuth/ Verachtung anderer Leute/ u. ſ. w. entgegen geſetzet iſt. Die Vertraͤglig- keit kanſtu Friedfertigkeit heiſſen/ wiewohl du auch

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Zitationshilfe: Thomasius, Christian: Von der Kunst Vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Halle (Saale), 1692, S. 252[248]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/thomasius_einleitungsittenlehre_1692/280>, abgerufen am 26.04.2024.