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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
Hochmuth des Selbstherrschers steigern; je eifriger sie den Teufel an die
Wand malte, je lauter sie den Czaren als den Zwingherrn Mitteleuropas
verlästerte, um so höher stieg sein Ansehen in der diplomatischen Welt.
Zum Nikolaustage gab Münch den Bundesgesandten ein Festmahl und
rief unter brausendem Beifall: "Lange lebe er zum Schutz und Hort der
Könige, die für das Glück und Wohl ihrer Völker wachen und wirken."*)
Die in Europa längst verbreiteten übertriebenen Vorstellungen von Ruß-
lands Macht konnten durch die maßlose Feindseligkeit der Polenfreunde
nur verstärkt werden. Noch einige Jahre, und der Czar erlangte wirklich
die führende Stellung in dem nordischen Bunde, die man ihm jetzt schon
fälschlich zuschrieb. --

Ein ernsthafter parlamentarischer Kampf gegen die Sechs Artikel wurde
nur in einem deutschen Lande, in Württemberg gewagt, aber viel zu spät
und unter den denkbar ungünstigsten Umständen. Als das Jahr 1833
herannahte und die verfassungsmäßige Frist ablief, mußte sich König Wil-
helm endlich doch zur Einberufung des längst gewählten Landtags ent-
schließen. Er hatte unterdessen an dem neuen Justizminister Schlayer
einen Mann nach seinem Herzen gefunden, einen ausgezeichneten Juristen,
der durch rastlosen Fleiß aus niederem Stande emporgekommen war und
schon in der Jugend ein abgesagter Feind der Altrechtler, durch und durch
moderner Bureaukrat, beredt, heftig, schlagfertig, geschäftskundig, alsbald
seinen Entschluß aussprach die Opposition mit eiserner Strenge niederzu-
halten. Ebenso wenig wie Schlayer verstanden Maucler und der durch
seinen Nepotismus berüchtigte Minister Hügel sich die Herzen der Schwaben
zu gewinnen.

Die Gesinnung der Regierung ward schon offenbar, als Wangenheim
an den Vorbesprechungen der liberalen Abgeordneten theilnahm. Der
König sah in dieser Haltung seines vormaligen Ministers nur schwarzen
Undank, nachdem er ihm soeben selbst das Staatsbürgerrecht gnädig erneuert
hatte**), und plötzlich erklärten die Behörden, zur Ueberraschung der arg-
losen Wähler, daß Wangenheim nicht wählbar sei, weil er nicht im König-
reiche wohne; sie beriefen sich auf einen allerdings übel gerathenen und
nicht ganz unanfechtbaren Satz der Verfassungsurkunde. Wangenheim fiel
aus allen seinen Himmeln. Er hatte sich, wie dem Könige wohl bekannt
war, sein Staatsbürgerrecht nur darum bestätigen lassen, weil er in den
Landtag eintreten wollte; da ward ihm unversehens ein Bein gestellt
und die Wählbarkeit bestritten. Mit Aufwendung aller seiner dialektischen
Künste versuchte er dann die Giltigkeit seiner Wahl zu vertheidigen; er
veröffentlichte eine umfängliche Schrift darüber und scheute sich nicht, eine
Stelle aus einem vertraulichen Briefe des Königs abzudrucken. Nun

*) Blittersdorff's Bericht, 22. Dec. 1832.
**) Vgl. IV. 240.

IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
Hochmuth des Selbſtherrſchers ſteigern; je eifriger ſie den Teufel an die
Wand malte, je lauter ſie den Czaren als den Zwingherrn Mitteleuropas
verläſterte, um ſo höher ſtieg ſein Anſehen in der diplomatiſchen Welt.
Zum Nikolaustage gab Münch den Bundesgeſandten ein Feſtmahl und
rief unter brauſendem Beifall: „Lange lebe er zum Schutz und Hort der
Könige, die für das Glück und Wohl ihrer Völker wachen und wirken.“*)
Die in Europa längſt verbreiteten übertriebenen Vorſtellungen von Ruß-
lands Macht konnten durch die maßloſe Feindſeligkeit der Polenfreunde
nur verſtärkt werden. Noch einige Jahre, und der Czar erlangte wirklich
die führende Stellung in dem nordiſchen Bunde, die man ihm jetzt ſchon
fälſchlich zuſchrieb. —

Ein ernſthafter parlamentariſcher Kampf gegen die Sechs Artikel wurde
nur in einem deutſchen Lande, in Württemberg gewagt, aber viel zu ſpät
und unter den denkbar ungünſtigſten Umſtänden. Als das Jahr 1833
herannahte und die verfaſſungsmäßige Friſt ablief, mußte ſich König Wil-
helm endlich doch zur Einberufung des längſt gewählten Landtags ent-
ſchließen. Er hatte unterdeſſen an dem neuen Juſtizminiſter Schlayer
einen Mann nach ſeinem Herzen gefunden, einen ausgezeichneten Juriſten,
der durch raſtloſen Fleiß aus niederem Stande emporgekommen war und
ſchon in der Jugend ein abgeſagter Feind der Altrechtler, durch und durch
moderner Bureaukrat, beredt, heftig, ſchlagfertig, geſchäftskundig, alsbald
ſeinen Entſchluß ausſprach die Oppoſition mit eiſerner Strenge niederzu-
halten. Ebenſo wenig wie Schlayer verſtanden Maucler und der durch
ſeinen Nepotismus berüchtigte Miniſter Hügel ſich die Herzen der Schwaben
zu gewinnen.

Die Geſinnung der Regierung ward ſchon offenbar, als Wangenheim
an den Vorbeſprechungen der liberalen Abgeordneten theilnahm. Der
König ſah in dieſer Haltung ſeines vormaligen Miniſters nur ſchwarzen
Undank, nachdem er ihm ſoeben ſelbſt das Staatsbürgerrecht gnädig erneuert
hatte**), und plötzlich erklärten die Behörden, zur Ueberraſchung der arg-
loſen Wähler, daß Wangenheim nicht wählbar ſei, weil er nicht im König-
reiche wohne; ſie beriefen ſich auf einen allerdings übel gerathenen und
nicht ganz unanfechtbaren Satz der Verfaſſungsurkunde. Wangenheim fiel
aus allen ſeinen Himmeln. Er hatte ſich, wie dem Könige wohl bekannt
war, ſein Staatsbürgerrecht nur darum beſtätigen laſſen, weil er in den
Landtag eintreten wollte; da ward ihm unverſehens ein Bein geſtellt
und die Wählbarkeit beſtritten. Mit Aufwendung aller ſeiner dialektiſchen
Künſte verſuchte er dann die Giltigkeit ſeiner Wahl zu vertheidigen; er
veröffentlichte eine umfängliche Schrift darüber und ſcheute ſich nicht, eine
Stelle aus einem vertraulichen Briefe des Königs abzudrucken. Nun

*) Blittersdorff’s Bericht, 22. Dec. 1832.
**) Vgl. IV. 240.
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[288/0302] IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten. Hochmuth des Selbſtherrſchers ſteigern; je eifriger ſie den Teufel an die Wand malte, je lauter ſie den Czaren als den Zwingherrn Mitteleuropas verläſterte, um ſo höher ſtieg ſein Anſehen in der diplomatiſchen Welt. Zum Nikolaustage gab Münch den Bundesgeſandten ein Feſtmahl und rief unter brauſendem Beifall: „Lange lebe er zum Schutz und Hort der Könige, die für das Glück und Wohl ihrer Völker wachen und wirken.“ *) Die in Europa längſt verbreiteten übertriebenen Vorſtellungen von Ruß- lands Macht konnten durch die maßloſe Feindſeligkeit der Polenfreunde nur verſtärkt werden. Noch einige Jahre, und der Czar erlangte wirklich die führende Stellung in dem nordiſchen Bunde, die man ihm jetzt ſchon fälſchlich zuſchrieb. — Ein ernſthafter parlamentariſcher Kampf gegen die Sechs Artikel wurde nur in einem deutſchen Lande, in Württemberg gewagt, aber viel zu ſpät und unter den denkbar ungünſtigſten Umſtänden. Als das Jahr 1833 herannahte und die verfaſſungsmäßige Friſt ablief, mußte ſich König Wil- helm endlich doch zur Einberufung des längſt gewählten Landtags ent- ſchließen. Er hatte unterdeſſen an dem neuen Juſtizminiſter Schlayer einen Mann nach ſeinem Herzen gefunden, einen ausgezeichneten Juriſten, der durch raſtloſen Fleiß aus niederem Stande emporgekommen war und ſchon in der Jugend ein abgeſagter Feind der Altrechtler, durch und durch moderner Bureaukrat, beredt, heftig, ſchlagfertig, geſchäftskundig, alsbald ſeinen Entſchluß ausſprach die Oppoſition mit eiſerner Strenge niederzu- halten. Ebenſo wenig wie Schlayer verſtanden Maucler und der durch ſeinen Nepotismus berüchtigte Miniſter Hügel ſich die Herzen der Schwaben zu gewinnen. Die Geſinnung der Regierung ward ſchon offenbar, als Wangenheim an den Vorbeſprechungen der liberalen Abgeordneten theilnahm. Der König ſah in dieſer Haltung ſeines vormaligen Miniſters nur ſchwarzen Undank, nachdem er ihm ſoeben ſelbſt das Staatsbürgerrecht gnädig erneuert hatte **), und plötzlich erklärten die Behörden, zur Ueberraſchung der arg- loſen Wähler, daß Wangenheim nicht wählbar ſei, weil er nicht im König- reiche wohne; ſie beriefen ſich auf einen allerdings übel gerathenen und nicht ganz unanfechtbaren Satz der Verfaſſungsurkunde. Wangenheim fiel aus allen ſeinen Himmeln. Er hatte ſich, wie dem Könige wohl bekannt war, ſein Staatsbürgerrecht nur darum beſtätigen laſſen, weil er in den Landtag eintreten wollte; da ward ihm unverſehens ein Bein geſtellt und die Wählbarkeit beſtritten. Mit Aufwendung aller ſeiner dialektiſchen Künſte verſuchte er dann die Giltigkeit ſeiner Wahl zu vertheidigen; er veröffentlichte eine umfängliche Schrift darüber und ſcheute ſich nicht, eine Stelle aus einem vertraulichen Briefe des Königs abzudrucken. Nun *) Blittersdorff’s Bericht, 22. Dec. 1832. **) Vgl. IV. 240.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/302>, abgerufen am 26.04.2024.