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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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Tragischen, um der neueren speculativen Philosophie, welche hier allein
die hinreichend gerüstete ist und die erwähnten Winke des Aristoteles
erst zu benützen vermag, Platz zu machen. Die zweite Form des
ästhetischen Kontrasts nun, das Komische, hat allerdings seit den Anfängen
der Aesthetik in der neueren Zeit die Aufmerksamkeit in hohem Grade in
Anspruch genommen; einzelne treffende Gedanken, wie schon der glückliche
Wurf des Aristoteles, liefern gediegene Bausteine, allein Bedeutendes
und Zusammenhängendes konnte erst geleistet werden in der neuesten Zeit,
denn wie die Komödie in der Poesie, so ist der Begriff des Komischen die
letzte und höchste Frucht in der Aesthetik. Jean Paul, der hier so
fruchtbare Vorarbeit geliefert hat, steht nach der Grundlage seiner ganzen
geistigen Stimmung zwar auf dem subjectiv idealistischen Boden Kant's
und Fichte's, aber er ist als Humorist ebenso realistisch, oder richtiger,
er befindet sich mitten in dem unversöhnten Widerspruch beider Stand-
punkte. Indem die Philosophie Schelling's und Hegel's diesen
Widerspruch begreift und löst, wird eine methodische Durcharbeitung des
Begriffes möglich, allein Hegel ist hier noch zu substantiell wie in der
Staatslehre und wird ungerecht gegen den Humor. Die freie Fort-
bewegung seiner Schule hatte die Aufgabe, hier die letzte Hand anzulegen;
Ruge's und Weiße's Verdienste sind bekannt und so faßt sich die
Spitze des Begriffs mit der Spitze der in der Zeitfolge letzten historischen
Bewegungen zusammen.

Obwohl nun im zweiten und dritten Theile des Systems, die von
der Wirklichkeit des Schönen handeln, ein solches Entsprechen gar nicht
mehr zu verfolgen ist, so lassen sich doch im Einzelnen wenigstens gewisse
Andeutungen eines Parallelismus aufzeigen. Dabei fällt der erste Ab-
schnitt des zweiten Theils, die Lehre von der Naturschönheit, sogleich
weg. Diese ist noch am wenigsten angebaut und gibt ganz ein Bild des
Zurückbleibens der Philosophie hinter ihrer Aufgabe, die Naturwissen-
schaften zu durchdringen. Hegel bietet treffliche Anfänge, ist aber äußerst
unvollständig. Der zweite Abschnitt dagegen, die subjective Wirklichkeit
des Schönen als Phantasie, verdankt der subjectiven Philosophie Kant's,
die hier freilich über ihre Grenzen vordrang, gewisse unvergleichlich
treffende Gedanken über das Genie, die für immer Bahn gebrochen haben.
Die Phantasie breitet sich aus zur Phantasie der Völker; eben an die
Kantische Schule hängt sich hier die Epochemachende Entdeckung des
Gegensatzes zwischen klassisch und romantisch; Schiller's und der
Schlegel Verdienste finden hier ihre Stelle. Der dritte Theil enthält

Tragiſchen, um der neueren ſpeculativen Philoſophie, welche hier allein
die hinreichend gerüſtete iſt und die erwähnten Winke des Ariſtoteles
erſt zu benützen vermag, Platz zu machen. Die zweite Form des
äſthetiſchen Kontraſts nun, das Komiſche, hat allerdings ſeit den Anfängen
der Aeſthetik in der neueren Zeit die Aufmerkſamkeit in hohem Grade in
Anſpruch genommen; einzelne treffende Gedanken, wie ſchon der glückliche
Wurf des Ariſtoteles, liefern gediegene Bauſteine, allein Bedeutendes
und Zuſammenhängendes konnte erſt geleiſtet werden in der neueſten Zeit,
denn wie die Komödie in der Poeſie, ſo iſt der Begriff des Komiſchen die
letzte und höchſte Frucht in der Aeſthetik. Jean Paul, der hier ſo
fruchtbare Vorarbeit geliefert hat, ſteht nach der Grundlage ſeiner ganzen
geiſtigen Stimmung zwar auf dem ſubjectiv idealiſtiſchen Boden Kant’s
und Fichte’s, aber er iſt als Humoriſt ebenſo realiſtiſch, oder richtiger,
er befindet ſich mitten in dem unverſöhnten Widerſpruch beider Stand-
punkte. Indem die Philoſophie Schelling’s und Hegel’s dieſen
Widerſpruch begreift und löst, wird eine methodiſche Durcharbeitung des
Begriffes möglich, allein Hegel iſt hier noch zu ſubſtantiell wie in der
Staatslehre und wird ungerecht gegen den Humor. Die freie Fort-
bewegung ſeiner Schule hatte die Aufgabe, hier die letzte Hand anzulegen;
Ruge’s und Weiße’s Verdienſte ſind bekannt und ſo faßt ſich die
Spitze des Begriffs mit der Spitze der in der Zeitfolge letzten hiſtoriſchen
Bewegungen zuſammen.

Obwohl nun im zweiten und dritten Theile des Syſtems, die von
der Wirklichkeit des Schönen handeln, ein ſolches Entſprechen gar nicht
mehr zu verfolgen iſt, ſo laſſen ſich doch im Einzelnen wenigſtens gewiſſe
Andeutungen eines Parallelismus aufzeigen. Dabei fällt der erſte Ab-
ſchnitt des zweiten Theils, die Lehre von der Naturſchönheit, ſogleich
weg. Dieſe iſt noch am wenigſten angebaut und gibt ganz ein Bild des
Zurückbleibens der Philoſophie hinter ihrer Aufgabe, die Naturwiſſen-
ſchaften zu durchdringen. Hegel bietet treffliche Anfänge, iſt aber äußerſt
unvollſtändig. Der zweite Abſchnitt dagegen, die ſubjective Wirklichkeit
des Schönen als Phantaſie, verdankt der ſubjectiven Philoſophie Kant’s,
die hier freilich über ihre Grenzen vordrang, gewiſſe unvergleichlich
treffende Gedanken über das Genie, die für immer Bahn gebrochen haben.
Die Phantaſie breitet ſich aus zur Phantaſie der Völker; eben an die
Kantiſche Schule hängt ſich hier die Epochemachende Entdeckung des
Gegenſatzes zwiſchen klaſſiſch und romantiſch; Schiller’s und der
Schlegel Verdienſte finden hier ihre Stelle. Der dritte Theil enthält

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[40/0054] Tragiſchen, um der neueren ſpeculativen Philoſophie, welche hier allein die hinreichend gerüſtete iſt und die erwähnten Winke des Ariſtoteles erſt zu benützen vermag, Platz zu machen. Die zweite Form des äſthetiſchen Kontraſts nun, das Komiſche, hat allerdings ſeit den Anfängen der Aeſthetik in der neueren Zeit die Aufmerkſamkeit in hohem Grade in Anſpruch genommen; einzelne treffende Gedanken, wie ſchon der glückliche Wurf des Ariſtoteles, liefern gediegene Bauſteine, allein Bedeutendes und Zuſammenhängendes konnte erſt geleiſtet werden in der neueſten Zeit, denn wie die Komödie in der Poeſie, ſo iſt der Begriff des Komiſchen die letzte und höchſte Frucht in der Aeſthetik. Jean Paul, der hier ſo fruchtbare Vorarbeit geliefert hat, ſteht nach der Grundlage ſeiner ganzen geiſtigen Stimmung zwar auf dem ſubjectiv idealiſtiſchen Boden Kant’s und Fichte’s, aber er iſt als Humoriſt ebenſo realiſtiſch, oder richtiger, er befindet ſich mitten in dem unverſöhnten Widerſpruch beider Stand- punkte. Indem die Philoſophie Schelling’s und Hegel’s dieſen Widerſpruch begreift und löst, wird eine methodiſche Durcharbeitung des Begriffes möglich, allein Hegel iſt hier noch zu ſubſtantiell wie in der Staatslehre und wird ungerecht gegen den Humor. Die freie Fort- bewegung ſeiner Schule hatte die Aufgabe, hier die letzte Hand anzulegen; Ruge’s und Weiße’s Verdienſte ſind bekannt und ſo faßt ſich die Spitze des Begriffs mit der Spitze der in der Zeitfolge letzten hiſtoriſchen Bewegungen zuſammen. Obwohl nun im zweiten und dritten Theile des Syſtems, die von der Wirklichkeit des Schönen handeln, ein ſolches Entſprechen gar nicht mehr zu verfolgen iſt, ſo laſſen ſich doch im Einzelnen wenigſtens gewiſſe Andeutungen eines Parallelismus aufzeigen. Dabei fällt der erſte Ab- ſchnitt des zweiten Theils, die Lehre von der Naturſchönheit, ſogleich weg. Dieſe iſt noch am wenigſten angebaut und gibt ganz ein Bild des Zurückbleibens der Philoſophie hinter ihrer Aufgabe, die Naturwiſſen- ſchaften zu durchdringen. Hegel bietet treffliche Anfänge, iſt aber äußerſt unvollſtändig. Der zweite Abſchnitt dagegen, die ſubjective Wirklichkeit des Schönen als Phantaſie, verdankt der ſubjectiven Philoſophie Kant’s, die hier freilich über ihre Grenzen vordrang, gewiſſe unvergleichlich treffende Gedanken über das Genie, die für immer Bahn gebrochen haben. Die Phantaſie breitet ſich aus zur Phantaſie der Völker; eben an die Kantiſche Schule hängt ſich hier die Epochemachende Entdeckung des Gegenſatzes zwiſchen klaſſiſch und romantiſch; Schiller’s und der Schlegel Verdienſte finden hier ihre Stelle. Der dritte Theil enthält

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/54>, abgerufen am 26.04.2024.