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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Aegyptern etc.

Dieses sind die drey Absätze dieses zweyten Stücks von dem Stil der
Aegyptischen Kunst: der erste von dem ältesten Stil, der andere von dem
folgenden und spätern Stil, und der dritte von den Nachahmungen
Aegyptischer Werke.



Das dritte Stück des zweyten Abschnittes dieses Capitels, betrifftIII.
Das Mecha-
nische Theil
der Aegypti-
schen Kunst.

das Mechanische Theil derselben, und zwar erstlich die Ausarbeitung ihrer
Werke, und zweytens die Materie, in welcher sie gearbeitet sind.

In Absicht der Ausarbeitung berichtet Diodorus 1), daß die Aegy-A.
Von Ausar-
beitung ihrer
Werke.

ptischen Bildhauer den noch unbearbeiteten Stein, nach dem sie ihre fest-
gesetzte Maaß auf denselben getragen, auf dessen Mittel von einander ge-
säget, und daß sich zween Meister in die Arbeit einer Figur getheilet.
Nach eben der Art sollen Telecles und Theodorus aus Samos, eine Sta-
tue des Apollo von Holz, zu Samos in Griechenland, gemachet haben;
Telecles die eine Hälfte zu Ephesus, Theodorus die andere Hälfte zu Samos.
Diese Statue war unter der Hüfte bis an die Schaam herunter, auf ihr
Mittel getheilet, und hernach wiederum an diesem Orte zusammengesetzet,
so daß beyde Stücke vollkommen aufeinander passeten 2). So und nicht
anders kann der Geschichtschreiber verstanden werden. Denn ist es glaub-
lich, wie es alle Uebersetzer nehmen, daß die Statue von dem Wirbel bis
auf die Schaam getheilet gewesen, so wie Jupiter 3), nach der Fabel, das
erste Geschlecht doppelter Menschen von oben mitten durch geschnitten?

Die
1) Lib. 1. ad fin.
2) Man lese an statt kata ten orophen, kkta ten osphun, und bedenke, daß kata nie-
mals von einer Bewegung von etwas an, sondern vom Verhältnisse und von Folge
gebrauchet wird. Rhodomanus und Wesselings Muthmassung auf keruphen kann gar
nicht statt finden; die alte Lesart orophen kommt der wahrscheinlichen Richtigkeit näher.
(+) Aristot. Hist. Anim. L. 1. p. 19. l. 4. ed. Sylburg. Ekhomena touton gaster kai
osphus, kai aidoion kai iskhion. conf. Herodot. L. 2. p. 66. l. 14.
3) Plato Conviv. p. 190. D.
H 3
Von der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc.

Dieſes ſind die drey Abſaͤtze dieſes zweyten Stuͤcks von dem Stil der
Aegyptiſchen Kunſt: der erſte von dem aͤlteſten Stil, der andere von dem
folgenden und ſpaͤtern Stil, und der dritte von den Nachahmungen
Aegyptiſcher Werke.



Das dritte Stuͤck des zweyten Abſchnittes dieſes Capitels, betrifftIII.
Das Mecha-
niſche Theil
der Aegypti-
ſchen Kunſt.

das Mechaniſche Theil derſelben, und zwar erſtlich die Ausarbeitung ihrer
Werke, und zweytens die Materie, in welcher ſie gearbeitet ſind.

In Abſicht der Ausarbeitung berichtet Diodorus 1), daß die Aegy-A.
Von Ausar-
beitung ihrer
Werke.

ptiſchen Bildhauer den noch unbearbeiteten Stein, nach dem ſie ihre feſt-
geſetzte Maaß auf denſelben getragen, auf deſſen Mittel von einander ge-
ſaͤget, und daß ſich zween Meiſter in die Arbeit einer Figur getheilet.
Nach eben der Art ſollen Telecles und Theodorus aus Samos, eine Sta-
tue des Apollo von Holz, zu Samos in Griechenland, gemachet haben;
Telecles die eine Haͤlfte zu Epheſus, Theodorus die andere Haͤlfte zu Samos.
Dieſe Statue war unter der Huͤfte bis an die Schaam herunter, auf ihr
Mittel getheilet, und hernach wiederum an dieſem Orte zuſammengeſetzet,
ſo daß beyde Stuͤcke vollkommen aufeinander paſſeten 2). So und nicht
anders kann der Geſchichtſchreiber verſtanden werden. Denn iſt es glaub-
lich, wie es alle Ueberſetzer nehmen, daß die Statue von dem Wirbel bis
auf die Schaam getheilet geweſen, ſo wie Jupiter 3), nach der Fabel, das
erſte Geſchlecht doppelter Menſchen von oben mitten durch geſchnitten?

Die
1) Lib. 1. ad fin.
2) Man leſe an ſtatt κατὰ τὴν ὀροφὴν, κκτὰ τὴν ὀσφὺν, und bedenke, daß κατὰ nie-
mals von einer Bewegung von etwas an, ſondern vom Verhaͤltniſſe und von Folge
gebrauchet wird. Rhodomanus und Weſſelings Muthmaſſung auf κερυφὴν kann gar
nicht ſtatt finden; die alte Leſart ὀροφὴν kommt der wahrſcheinlichen Richtigkeit naͤher.
(†) Ariſtot. Hiſt. Anim. L. 1. p. 19. l. 4. ed. Sylburg. Ἐχόμενα τούτων γαϛὴρ καὶ
ὀσφὺς, καὶ αἰδοῖον καὶ ἰσχίον. conf. Herodot. L. 2. p. 66. l. 14.
3) Plato Conviv. p. 190. D.
H 3
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[61/0111] Von der Kunſt unter den Aegyptern ꝛc. Dieſes ſind die drey Abſaͤtze dieſes zweyten Stuͤcks von dem Stil der Aegyptiſchen Kunſt: der erſte von dem aͤlteſten Stil, der andere von dem folgenden und ſpaͤtern Stil, und der dritte von den Nachahmungen Aegyptiſcher Werke. Das dritte Stuͤck des zweyten Abſchnittes dieſes Capitels, betrifft das Mechaniſche Theil derſelben, und zwar erſtlich die Ausarbeitung ihrer Werke, und zweytens die Materie, in welcher ſie gearbeitet ſind. III. Das Mecha- niſche Theil der Aegypti- ſchen Kunſt. In Abſicht der Ausarbeitung berichtet Diodorus 1), daß die Aegy- ptiſchen Bildhauer den noch unbearbeiteten Stein, nach dem ſie ihre feſt- geſetzte Maaß auf denſelben getragen, auf deſſen Mittel von einander ge- ſaͤget, und daß ſich zween Meiſter in die Arbeit einer Figur getheilet. Nach eben der Art ſollen Telecles und Theodorus aus Samos, eine Sta- tue des Apollo von Holz, zu Samos in Griechenland, gemachet haben; Telecles die eine Haͤlfte zu Epheſus, Theodorus die andere Haͤlfte zu Samos. Dieſe Statue war unter der Huͤfte bis an die Schaam herunter, auf ihr Mittel getheilet, und hernach wiederum an dieſem Orte zuſammengeſetzet, ſo daß beyde Stuͤcke vollkommen aufeinander paſſeten 2). So und nicht anders kann der Geſchichtſchreiber verſtanden werden. Denn iſt es glaub- lich, wie es alle Ueberſetzer nehmen, daß die Statue von dem Wirbel bis auf die Schaam getheilet geweſen, ſo wie Jupiter 3), nach der Fabel, das erſte Geſchlecht doppelter Menſchen von oben mitten durch geſchnitten? Die A. Von Ausar- beitung ihrer Werke. 1) Lib. 1. ad fin. 2) Man leſe an ſtatt κατὰ τὴν ὀροφὴν, κκτὰ τὴν ὀσφὺν, und bedenke, daß κατὰ nie- mals von einer Bewegung von etwas an, ſondern vom Verhaͤltniſſe und von Folge gebrauchet wird. Rhodomanus und Weſſelings Muthmaſſung auf κερυφὴν kann gar nicht ſtatt finden; die alte Leſart ὀροφὴν kommt der wahrſcheinlichen Richtigkeit naͤher. ⁽†⁾ Ariſtot. Hiſt. Anim. L. 1. p. 19. l. 4. ed. Sylburg. Ἐχόμενα τούτων γαϛὴρ καὶ ὀσφὺς, καὶ αἰδοῖον καὶ ἰσχίον. conf. Herodot. L. 2. p. 66. l. 14. 3) Plato Conviv. p. 190. D. H 3

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/111>, abgerufen am 26.04.2024.