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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.
Anzahl 1) der Siege, Statuen gesetzet, sondern auch zugleich in ihrem
Vaterlande 2), und diese Ehre wiederfuhr auch andern verdienten Bür-
gern. Dionysius 3) redet von den Statuen der Bürger zu Cuma in
Italien, welche Aristodemus, der Tyrann dieser Stadt, in der zwey und
siebenzigsten Olympias, aus dem Tempel, wo sie standen, wegnehmen und
an unsaubere Orte werfen ließ. Einigen Siegern der Olympischen Spiele
aus den ersten Zeiten, da die Künste noch nicht blüheten, wurden lange
nach ihrem Tode, ihr Andenken zu erhalten, Statuen aufgerichtet, wie
einem Oibotas 4), aus der Sechsten Olympias, diese Ehre allererst in
der Achtzigsten wiederfuhr. Es ist besonders, daß sich jemand seine Sta-
tue machen lassen, ehe er den Sieg erhielt 5); so gewiß war derselbe.
Ja zu Aegium, in Achaja, war einem Sieger 6) eine besondere Halle,
oder verdeckter Gang, von seiner Stadt gebauet, um sich daselbst im Rin-
gen zu üben.

C.
Die aus der
Freyheit ge-
bildete Den-
kungsart.

Durch die Freyheit erhob sich, wie ein edler Zweig aus einem ge-
sunden Stamme, das Denken des ganzen Volks. Denn wie der Geist
eines zum Denken gewöhnten Menschen sich höher zu erheben pflegt im
weiten Felde, oder auf einem offenen Gange, auf der Höhe eines Ge-
bäudes, als in einer niedrigen Kammer, und in jedem eingeschränkten Orte,
so muß auch die Art zu denken unter den freyen Griechen gegen die Begrif-
fe beherrschter Völker sehr verschieden gewesen seyn. Herodotus zeiget 7),
daß die Freyheit allein der Grund gewesen von der Macht und Hoheit,
zu welcher Athen gelanget ist, da diese Stadt vorher, wenn sie einen
Herrn über sich erkennen müssen, ihren Nachbarn nicht gewachsen seyn

können.
1) Pausan. L. 6. p. 459. l. 12
2) Plutarch. Apophth. p. 314. ed. H. Steph. Pausan. L. 7. p. 595. l. 27.
3) Ant. Rom. L. 7. p. 408. l. 24.
4) Id. L. 6. p. 458. l. 5.
5) Ibid. p. 471. l. 29.
6) Pausan. L. 7. p. 582. l. 25.
7) L. 5. p. 199. l. 13.

I Theil. Viertes Capitel.
Anzahl 1) der Siege, Statuen geſetzet, ſondern auch zugleich in ihrem
Vaterlande 2), und dieſe Ehre wiederfuhr auch andern verdienten Buͤr-
gern. Dionyſius 3) redet von den Statuen der Buͤrger zu Cuma in
Italien, welche Ariſtodemus, der Tyrann dieſer Stadt, in der zwey und
ſiebenzigſten Olympias, aus dem Tempel, wo ſie ſtanden, wegnehmen und
an unſaubere Orte werfen ließ. Einigen Siegern der Olympiſchen Spiele
aus den erſten Zeiten, da die Kuͤnſte noch nicht bluͤheten, wurden lange
nach ihrem Tode, ihr Andenken zu erhalten, Statuen aufgerichtet, wie
einem Oibotas 4), aus der Sechſten Olympias, dieſe Ehre allererſt in
der Achtzigſten wiederfuhr. Es iſt beſonders, daß ſich jemand ſeine Sta-
tue machen laſſen, ehe er den Sieg erhielt 5); ſo gewiß war derſelbe.
Ja zu Aegium, in Achaja, war einem Sieger 6) eine beſondere Halle,
oder verdeckter Gang, von ſeiner Stadt gebauet, um ſich daſelbſt im Rin-
gen zu uͤben.

C.
Die aus der
Freyheit ge-
bildete Den-
kungsart.

Durch die Freyheit erhob ſich, wie ein edler Zweig aus einem ge-
ſunden Stamme, das Denken des ganzen Volks. Denn wie der Geiſt
eines zum Denken gewoͤhnten Menſchen ſich hoͤher zu erheben pflegt im
weiten Felde, oder auf einem offenen Gange, auf der Hoͤhe eines Ge-
baͤudes, als in einer niedrigen Kammer, und in jedem eingeſchraͤnkten Orte,
ſo muß auch die Art zu denken unter den freyen Griechen gegen die Begrif-
fe beherrſchter Voͤlker ſehr verſchieden geweſen ſeyn. Herodotus zeiget 7),
daß die Freyheit allein der Grund geweſen von der Macht und Hoheit,
zu welcher Athen gelanget iſt, da dieſe Stadt vorher, wenn ſie einen
Herrn uͤber ſich erkennen muͤſſen, ihren Nachbarn nicht gewachſen ſeyn

koͤnnen.
1) Pauſan. L. 6. p. 459. l. 12
2) Plutarch. Apophth. p. 314. ed. H. Steph. Pauſan. L. 7. p. 595. l. 27.
3) Ant. Rom. L. 7. p. 408. l. 24.
4) Id. L. 6. p. 458. l. 5.
5) Ibid. p. 471. l. 29.
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[132/0182] I Theil. Viertes Capitel. Anzahl 1) der Siege, Statuen geſetzet, ſondern auch zugleich in ihrem Vaterlande 2), und dieſe Ehre wiederfuhr auch andern verdienten Buͤr- gern. Dionyſius 3) redet von den Statuen der Buͤrger zu Cuma in Italien, welche Ariſtodemus, der Tyrann dieſer Stadt, in der zwey und ſiebenzigſten Olympias, aus dem Tempel, wo ſie ſtanden, wegnehmen und an unſaubere Orte werfen ließ. Einigen Siegern der Olympiſchen Spiele aus den erſten Zeiten, da die Kuͤnſte noch nicht bluͤheten, wurden lange nach ihrem Tode, ihr Andenken zu erhalten, Statuen aufgerichtet, wie einem Oibotas 4), aus der Sechſten Olympias, dieſe Ehre allererſt in der Achtzigſten wiederfuhr. Es iſt beſonders, daß ſich jemand ſeine Sta- tue machen laſſen, ehe er den Sieg erhielt 5); ſo gewiß war derſelbe. Ja zu Aegium, in Achaja, war einem Sieger 6) eine beſondere Halle, oder verdeckter Gang, von ſeiner Stadt gebauet, um ſich daſelbſt im Rin- gen zu uͤben. Durch die Freyheit erhob ſich, wie ein edler Zweig aus einem ge- ſunden Stamme, das Denken des ganzen Volks. Denn wie der Geiſt eines zum Denken gewoͤhnten Menſchen ſich hoͤher zu erheben pflegt im weiten Felde, oder auf einem offenen Gange, auf der Hoͤhe eines Ge- baͤudes, als in einer niedrigen Kammer, und in jedem eingeſchraͤnkten Orte, ſo muß auch die Art zu denken unter den freyen Griechen gegen die Begrif- fe beherrſchter Voͤlker ſehr verſchieden geweſen ſeyn. Herodotus zeiget 7), daß die Freyheit allein der Grund geweſen von der Macht und Hoheit, zu welcher Athen gelanget iſt, da dieſe Stadt vorher, wenn ſie einen Herrn uͤber ſich erkennen muͤſſen, ihren Nachbarn nicht gewachſen ſeyn koͤnnen. 1) Pauſan. L. 6. p. 459. l. 12 2) Plutarch. Apophth. p. 314. ed. H. Steph. Pauſan. L. 7. p. 595. l. 27. 3) Ant. Rom. L. 7. p. 408. l. 24. 4) Id. L. 6. p. 458. l. 5. 5) Ibid. p. 471. l. 29. 6) Pauſan. L. 7. p. 582. l. 25. 7) L. 5. p. 199. l. 13.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/182>, abgerufen am 27.04.2024.