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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.
die weiße Farbe diejenige ist, welche die mehresten Lichtstrahlen zurückschi-
cket, folglich sich empfindlicher macht, so wird auch ein schöner Körper de-
sto schöner seyn, je weißer er ist, ja er wird nackend dadurch größer, als er
in der That ist, erscheinen, so wie wir sehen, daß alle neu in Gips geform-
te Figuren größer, als die Statuen, von welchen jene genommen sind, sich
vorstellen. Ein Mohr könnte schön heißen, wenn seine Gesichtsbildung
schön ist, und ein Reisender versichert 1), daß der tägliche Umgang mit
Mohren das widrige der Farbe benimmt, und was schön an ihnen ist,
offenbaret; so wie die Farbe des Metalls, und des schwarzen oder grünli-
chen Basalts, der Schönheit alter Köpfe nicht nachtheilig ist. Der schöne
Weibliche Kopf in der letzten Art Stein, in der Villa Albani, würde in
weißem Marmor nicht schöner erscheinen; der Kopf des ältern Scipio im
Pallaste Rospigliosi, in einem dunklern Basalte, ist schöner, als drey
andere Köpfe desselben in Marmor. Diesen Beyfall werden besagte Köpfe,
nebst andern Statuen in schwarzem Steine, auch bey Ungelehrten erlangen,
welche dieselben als Statuen ansehen. Es offenbaret sich also in uns eine
Kenntniß des Schönen auch in einer ungewöhnlichen Einkleidung dessel-
ben, und in einer der Natur unangenehmen Farbe: es ist also die Schön-
heit verschieden von der Gefälligkeit.

b. Der beja-
hende Begriff
derselben.

Dieses ist also, wie gesagt, verneinend von der Schönheit gehan-
delt, das ist, es sind die Eigenschaften, welche sie nicht hat, von derselben
abgesondert, durch Anzeige unrichtiger Begriffe von derselben; ein beja-
hender Begriff aber erfordert die Kenntniß des Wesens selbst, in welches
wir in wenig Dingen hineinzuschauen vermögend sind. Denn wir können
hier, wie in den mehresten Philosophischen Betrachtungen, nicht nach Art
der Geometrie verfahren, welche vom allgemeinen auf das besondere und
einzelne, und von dem Wesen der Dinge auf ihre Eigenschaften gehet und

schließet,
1) Carlet. Viag. v. 7.

I Theil. Viertes Capitel.
die weiße Farbe diejenige iſt, welche die mehreſten Lichtſtrahlen zuruͤckſchi-
cket, folglich ſich empfindlicher macht, ſo wird auch ein ſchoͤner Koͤrper de-
ſto ſchoͤner ſeyn, je weißer er iſt, ja er wird nackend dadurch groͤßer, als er
in der That iſt, erſcheinen, ſo wie wir ſehen, daß alle neu in Gips geform-
te Figuren groͤßer, als die Statuen, von welchen jene genommen ſind, ſich
vorſtellen. Ein Mohr koͤnnte ſchoͤn heißen, wenn ſeine Geſichtsbildung
ſchoͤn iſt, und ein Reiſender verſichert 1), daß der taͤgliche Umgang mit
Mohren das widrige der Farbe benimmt, und was ſchoͤn an ihnen iſt,
offenbaret; ſo wie die Farbe des Metalls, und des ſchwarzen oder gruͤnli-
chen Baſalts, der Schoͤnheit alter Koͤpfe nicht nachtheilig iſt. Der ſchoͤne
Weibliche Kopf in der letzten Art Stein, in der Villa Albani, wuͤrde in
weißem Marmor nicht ſchoͤner erſcheinen; der Kopf des aͤltern Scipio im
Pallaſte Roſpiglioſi, in einem dunklern Baſalte, iſt ſchoͤner, als drey
andere Koͤpfe deſſelben in Marmor. Dieſen Beyfall werden beſagte Koͤpfe,
nebſt andern Statuen in ſchwarzem Steine, auch bey Ungelehrten erlangen,
welche dieſelben als Statuen anſehen. Es offenbaret ſich alſo in uns eine
Kenntniß des Schoͤnen auch in einer ungewoͤhnlichen Einkleidung deſſel-
ben, und in einer der Natur unangenehmen Farbe: es iſt alſo die Schoͤn-
heit verſchieden von der Gefaͤlligkeit.

b. Der beja-
hende Begriff
derſelben.

Dieſes iſt alſo, wie geſagt, verneinend von der Schoͤnheit gehan-
delt, das iſt, es ſind die Eigenſchaften, welche ſie nicht hat, von derſelben
abgeſondert, durch Anzeige unrichtiger Begriffe von derſelben; ein beja-
hender Begriff aber erfordert die Kenntniß des Weſens ſelbſt, in welches
wir in wenig Dingen hineinzuſchauen vermoͤgend ſind. Denn wir koͤnnen
hier, wie in den mehreſten Philoſophiſchen Betrachtungen, nicht nach Art
der Geometrie verfahren, welche vom allgemeinen auf das beſondere und
einzelne, und von dem Weſen der Dinge auf ihre Eigenſchaften gehet und

ſchließet,
1) Carlet. Viag. v. 7.
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[148/0198] I Theil. Viertes Capitel. die weiße Farbe diejenige iſt, welche die mehreſten Lichtſtrahlen zuruͤckſchi- cket, folglich ſich empfindlicher macht, ſo wird auch ein ſchoͤner Koͤrper de- ſto ſchoͤner ſeyn, je weißer er iſt, ja er wird nackend dadurch groͤßer, als er in der That iſt, erſcheinen, ſo wie wir ſehen, daß alle neu in Gips geform- te Figuren groͤßer, als die Statuen, von welchen jene genommen ſind, ſich vorſtellen. Ein Mohr koͤnnte ſchoͤn heißen, wenn ſeine Geſichtsbildung ſchoͤn iſt, und ein Reiſender verſichert 1), daß der taͤgliche Umgang mit Mohren das widrige der Farbe benimmt, und was ſchoͤn an ihnen iſt, offenbaret; ſo wie die Farbe des Metalls, und des ſchwarzen oder gruͤnli- chen Baſalts, der Schoͤnheit alter Koͤpfe nicht nachtheilig iſt. Der ſchoͤne Weibliche Kopf in der letzten Art Stein, in der Villa Albani, wuͤrde in weißem Marmor nicht ſchoͤner erſcheinen; der Kopf des aͤltern Scipio im Pallaſte Roſpiglioſi, in einem dunklern Baſalte, iſt ſchoͤner, als drey andere Koͤpfe deſſelben in Marmor. Dieſen Beyfall werden beſagte Koͤpfe, nebſt andern Statuen in ſchwarzem Steine, auch bey Ungelehrten erlangen, welche dieſelben als Statuen anſehen. Es offenbaret ſich alſo in uns eine Kenntniß des Schoͤnen auch in einer ungewoͤhnlichen Einkleidung deſſel- ben, und in einer der Natur unangenehmen Farbe: es iſt alſo die Schoͤn- heit verſchieden von der Gefaͤlligkeit. Dieſes iſt alſo, wie geſagt, verneinend von der Schoͤnheit gehan- delt, das iſt, es ſind die Eigenſchaften, welche ſie nicht hat, von derſelben abgeſondert, durch Anzeige unrichtiger Begriffe von derſelben; ein beja- hender Begriff aber erfordert die Kenntniß des Weſens ſelbſt, in welches wir in wenig Dingen hineinzuſchauen vermoͤgend ſind. Denn wir koͤnnen hier, wie in den mehreſten Philoſophiſchen Betrachtungen, nicht nach Art der Geometrie verfahren, welche vom allgemeinen auf das beſondere und einzelne, und von dem Weſen der Dinge auf ihre Eigenſchaften gehet und ſchließet, 1) Carlet. Viag. v. 7.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/198>, abgerufen am 26.04.2024.