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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.
Diese Formen sind in ihrer jugendlichen Einheit groß, und nicht wie an
einem in kühlen Schatten gehenden Lieblinge, und welchen die Venus, wie
Ibycus sagt, auf Rosen erzogen, sondern einem edlen, und zu großen Ab-
sichten gebornen Jünglinge gemäß: daher war Apollo der schönste unter den
Göttern. Auf dieser Jugend blühet die Gesundheit, und die Stärke mel-
det sich, wie die Morgenröthe zu einem schönen Tage. Ich behaupte aber
nicht, daß alle Statuen des Apollo diese hohe Schönheit haben: denn
selbst der von unsern Künstlern so hoch geschätzte und vielmals auch in Mar-
mor copirte Apollo in der Villa Medicis ist, wenn ich es ohne Verbrechen
sagen darf, schön von Gewächs, aber in einzelnen Theilen, als an Knien
und Beinen, unter dem Vorzüglichen. Hier wünschte ich eine Schönheit be-
schreiben zu können, dergleichen schwerlich aus Menschlichem Geblüte erzeu-
get worden: es ist ein geflügelter Genius in der Villa Borghese, in der
Größe eines wohlgemachten Jünglings. Wenn die Einbildung mit dem
einzelnen Schönen in der Natur angefüllet, und mit Betrachtung der von
Gott ausfließenden und zu Gott führenden Schönheit beschäftiget, sich im
Schlafe die Erscheinung eines Engels bildete, dessen Angesicht von Gött-
lichem Lichte erleuchtet wäre, mit einer Bildung, die ein Ausfluß der Quelle
der höchsten Uebereinstimmung schien, in solcher Gestalt stelle sich der Leser
dieses schöne Bild vor. Man könnte sagen, die Natur habe diese Schön-
heit, mit Genehmhaltung Gottes, nach der Schönheit der Engel gebildet 1).

Die schöne Jugend im Apollo gehet nachdem in andern Götterngg Die Ju-
gend anderer
Götter, son-
derlich des
Mars Unrich-
tiger Begriff
eines Seriben-
ten von dessen
Bildung.

stuffenweis zu ausgeführtern Jahren, und ist Männlicher im Mercurius, und
im Mars; aber nimmermehr ist es einem Künstler des Alterthums einge-
fallen, den Mars, wie ihn der vorher getadelte Scribent haben wollte,

vorzu-
1) Dieses ist diejenige Figur, von welcher Flaminio Vacca redet: er glaubt, es sey
ein Apollo, aber mit Flügeln. Montfaucon hat denselben nach einer abscheuli-
lichen Zeichnung stechen lassen.
*) Montfauc. Diar. Ital. p. 193.
**) Antiq. expl. T. I. pl. 115. n. 6.

Von der Kunſt unter den Griechen.
Dieſe Formen ſind in ihrer jugendlichen Einheit groß, und nicht wie an
einem in kuͤhlen Schatten gehenden Lieblinge, und welchen die Venus, wie
Ibycus ſagt, auf Roſen erzogen, ſondern einem edlen, und zu großen Ab-
ſichten gebornen Juͤnglinge gemaͤß: daher war Apollo der ſchoͤnſte unter den
Goͤttern. Auf dieſer Jugend bluͤhet die Geſundheit, und die Staͤrke mel-
det ſich, wie die Morgenroͤthe zu einem ſchoͤnen Tage. Ich behaupte aber
nicht, daß alle Statuen des Apollo dieſe hohe Schoͤnheit haben: denn
ſelbſt der von unſern Kuͤnſtlern ſo hoch geſchaͤtzte und vielmals auch in Mar-
mor copirte Apollo in der Villa Medicis iſt, wenn ich es ohne Verbrechen
ſagen darf, ſchoͤn von Gewaͤchs, aber in einzelnen Theilen, als an Knien
und Beinen, unter dem Vorzuͤglichen. Hier wuͤnſchte ich eine Schoͤnheit be-
ſchreiben zu koͤnnen, dergleichen ſchwerlich aus Menſchlichem Gebluͤte erzeu-
get worden: es iſt ein gefluͤgelter Genius in der Villa Borgheſe, in der
Groͤße eines wohlgemachten Juͤnglings. Wenn die Einbildung mit dem
einzelnen Schoͤnen in der Natur angefuͤllet, und mit Betrachtung der von
Gott ausfließenden und zu Gott fuͤhrenden Schoͤnheit beſchaͤftiget, ſich im
Schlafe die Erſcheinung eines Engels bildete, deſſen Angeſicht von Goͤtt-
lichem Lichte erleuchtet waͤre, mit einer Bildung, die ein Ausfluß der Quelle
der hoͤchſten Uebereinſtimmung ſchien, in ſolcher Geſtalt ſtelle ſich der Leſer
dieſes ſchoͤne Bild vor. Man koͤnnte ſagen, die Natur habe dieſe Schoͤn-
heit, mit Genehmhaltung Gottes, nach der Schoͤnheit der Engel gebildet 1).

Die ſchoͤne Jugend im Apollo gehet nachdem in andern Goͤtternגג Die Ju-
gend anderer
Goͤtter, ſon-
derlich des
Mars Unrich-
tiger Begriff
eines Seriben-
ten von deſſen
Bildung.

ſtuffenweis zu ausgefuͤhrtern Jahren, und iſt Maͤnnlicher im Mercurius, und
im Mars; aber nimmermehr iſt es einem Kuͤnſtler des Alterthums einge-
fallen, den Mars, wie ihn der vorher getadelte Scribent haben wollte,

vorzu-
1) Dieſes iſt diejenige Figur, von welcher Flaminio Vacca redet: er glaubt, es ſey
ein Apollo, aber mit Fluͤgeln. Montfaucon hat denſelben nach einer abſcheuli-
lichen Zeichnung ſtechen laſſen.
*) Montfauc. Diar. Ital. p. 193.
**) Antiq. expl. T. I. pl. 115. n. 6.
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[159/0209] Von der Kunſt unter den Griechen. Dieſe Formen ſind in ihrer jugendlichen Einheit groß, und nicht wie an einem in kuͤhlen Schatten gehenden Lieblinge, und welchen die Venus, wie Ibycus ſagt, auf Roſen erzogen, ſondern einem edlen, und zu großen Ab- ſichten gebornen Juͤnglinge gemaͤß: daher war Apollo der ſchoͤnſte unter den Goͤttern. Auf dieſer Jugend bluͤhet die Geſundheit, und die Staͤrke mel- det ſich, wie die Morgenroͤthe zu einem ſchoͤnen Tage. Ich behaupte aber nicht, daß alle Statuen des Apollo dieſe hohe Schoͤnheit haben: denn ſelbſt der von unſern Kuͤnſtlern ſo hoch geſchaͤtzte und vielmals auch in Mar- mor copirte Apollo in der Villa Medicis iſt, wenn ich es ohne Verbrechen ſagen darf, ſchoͤn von Gewaͤchs, aber in einzelnen Theilen, als an Knien und Beinen, unter dem Vorzuͤglichen. Hier wuͤnſchte ich eine Schoͤnheit be- ſchreiben zu koͤnnen, dergleichen ſchwerlich aus Menſchlichem Gebluͤte erzeu- get worden: es iſt ein gefluͤgelter Genius in der Villa Borgheſe, in der Groͤße eines wohlgemachten Juͤnglings. Wenn die Einbildung mit dem einzelnen Schoͤnen in der Natur angefuͤllet, und mit Betrachtung der von Gott ausfließenden und zu Gott fuͤhrenden Schoͤnheit beſchaͤftiget, ſich im Schlafe die Erſcheinung eines Engels bildete, deſſen Angeſicht von Goͤtt- lichem Lichte erleuchtet waͤre, mit einer Bildung, die ein Ausfluß der Quelle der hoͤchſten Uebereinſtimmung ſchien, in ſolcher Geſtalt ſtelle ſich der Leſer dieſes ſchoͤne Bild vor. Man koͤnnte ſagen, die Natur habe dieſe Schoͤn- heit, mit Genehmhaltung Gottes, nach der Schoͤnheit der Engel gebildet 1). Die ſchoͤne Jugend im Apollo gehet nachdem in andern Goͤttern ſtuffenweis zu ausgefuͤhrtern Jahren, und iſt Maͤnnlicher im Mercurius, und im Mars; aber nimmermehr iſt es einem Kuͤnſtler des Alterthums einge- fallen, den Mars, wie ihn der vorher getadelte Scribent haben wollte, vorzu- גג Die Ju- gend anderer Goͤtter, ſon- derlich des Mars Unrich- tiger Begriff eines Seriben- ten von deſſen Bildung. 1) Dieſes iſt diejenige Figur, von welcher Flaminio Vacca redet: er glaubt, es ſey ein Apollo, aber mit Fluͤgeln. Montfaucon hat denſelben nach einer abſcheuli- lichen Zeichnung ſtechen laſſen. *⁾ Montfauc. Diar. Ital. p. 193. **⁾ Antiq. expl. T. I. pl. 115. n. 6.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/209>, abgerufen am 26.04.2024.