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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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Von der Kunst unter den Griechen.

Es ist hier bey Gelegenheit zu merken, wie ich an einem andern Orte
angezeiget 1), daß die alten Künstler über die Bewegung der Pferde, das
ist, über die Art und Folge der Beine im Aufheben, nicht einig waren,
eben so wenig, wie es einige neuere Scribenten sind, welche diesen Punct
berühret haben. Einige behaupten 2), daß die Pferde die Beine an jeder
Seite zugleich aufheben, und so ist der Gang der vier alten Pferde zu Ve-
nedig, der Pferde des Castor und des Pollux auf dem Campidoglio, und
der Pferde des Nonius Balbus und seines Sohns zu Portici vorgestellet.
Andere halten sich überzeugt, daß die Pferde sich Diagonalisch, oder im
Creuz, bewegen 3), das ist, sie heben nach dem rechten Vorderfuße den
linken Hinterfuß auf, und dieses ist auf die Erfahrung, und auf die Gesetze
der Mechanic gegründet. Also heben die Füße das Pferd des Marcus
Aurelius, die vier Pferde an dessen Wagen in erhobner Arbeit, und die
an den Bogen des Titus stehen.

Es finden sich auch verschiedene andere Thiere Griechischer Künstler
von harten Steinen und von Marmor in Rom. In der Villa Negroni
stehet ein schöner Tiger von Basalt, auf welchem eins der schönsten Kinder
in Marmor reitet; ein Bildhauer besitzet einen großen schönen Hund von
Marmor. An dem bekannten Bocke in dem Pallaste Giustiniani ist der
Kopf, als das schönste Theil, neu.

Diese Abhandlung von der Zeichnung des Nackenden Griechischer Künst-
ler, ist hier nicht erschöpft, wie ich sehr wohl einsehe; aber ich glaube, es sey der
Faden gegeben, den man fassen, und dem man richtig nachgehen kann. Rom
ist der Ort, wo diese Betrachtungen reichlicher, als anderswo, geprüfet und an-
gewendet werden können; das richtige Urtheil aber über dieselben, und der
völlige Nutzen, ist nicht im Durchlaufen zu machen, noch zu schöpfen: denn
was anfänglich dem Sinne des Verfassers nicht gemäß scheinen möchte,
wird demselben durch öftere Betrachtung ähnlicher werden, und wird die
vieljährige Erfahrung desselben, und die reife Ueberlegung dieser Abhand-
lung bestätigen.

Von
1) Descr. des Pier. gr. du Cab. de Stosch, p. 170.
2) Borel. de motu animal. P. I. c. 20. Baldinuc. Vite de Pitt. T. 2. p. 59.
3) Magalotti Lettere.
A a 3
Von der Kunſt unter den Griechen.

Es iſt hier bey Gelegenheit zu merken, wie ich an einem andern Orte
angezeiget 1), daß die alten Kuͤnſtler uͤber die Bewegung der Pferde, das
iſt, uͤber die Art und Folge der Beine im Aufheben, nicht einig waren,
eben ſo wenig, wie es einige neuere Scribenten ſind, welche dieſen Punct
beruͤhret haben. Einige behaupten 2), daß die Pferde die Beine an jeder
Seite zugleich aufheben, und ſo iſt der Gang der vier alten Pferde zu Ve-
nedig, der Pferde des Caſtor und des Pollux auf dem Campidoglio, und
der Pferde des Nonius Balbus und ſeines Sohns zu Portici vorgeſtellet.
Andere halten ſich uͤberzeugt, daß die Pferde ſich Diagonaliſch, oder im
Creuz, bewegen 3), das iſt, ſie heben nach dem rechten Vorderfuße den
linken Hinterfuß auf, und dieſes iſt auf die Erfahrung, und auf die Geſetze
der Mechanic gegruͤndet. Alſo heben die Fuͤße das Pferd des Marcus
Aurelius, die vier Pferde an deſſen Wagen in erhobner Arbeit, und die
an den Bogen des Titus ſtehen.

Es finden ſich auch verſchiedene andere Thiere Griechiſcher Kuͤnſtler
von harten Steinen und von Marmor in Rom. In der Villa Negroni
ſtehet ein ſchoͤner Tiger von Baſalt, auf welchem eins der ſchoͤnſten Kinder
in Marmor reitet; ein Bildhauer beſitzet einen großen ſchoͤnen Hund von
Marmor. An dem bekannten Bocke in dem Pallaſte Giuſtiniani iſt der
Kopf, als das ſchoͤnſte Theil, neu.

Dieſe Abhandlung von der Zeichnung des Nackenden Griechiſcher Kuͤnſt-
ler, iſt hier nicht erſchoͤpft, wie ich ſehr wohl einſehe; aber ich glaube, es ſey der
Faden gegeben, den man faſſen, und dem man richtig nachgehen kann. Rom
iſt der Ort, wo dieſe Betrachtungen reichlicher, als anderswo, gepruͤfet und an-
gewendet werden koͤnnen; das richtige Urtheil aber uͤber dieſelben, und der
voͤllige Nutzen, iſt nicht im Durchlaufen zu machen, noch zu ſchoͤpfen: denn
was anfaͤnglich dem Sinne des Verfaſſers nicht gemaͤß ſcheinen moͤchte,
wird demſelben durch oͤftere Betrachtung aͤhnlicher werden, und wird die
vieljaͤhrige Erfahrung deſſelben, und die reife Ueberlegung dieſer Abhand-
lung beſtaͤtigen.

Von
1) Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 170.
2) Borel. de motu animal. P. I. c. 20. Baldinuc. Vite de Pitt. T. 2. p. 59.
3) Magalotti Lettere.
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[189/0239] Von der Kunſt unter den Griechen. Es iſt hier bey Gelegenheit zu merken, wie ich an einem andern Orte angezeiget 1), daß die alten Kuͤnſtler uͤber die Bewegung der Pferde, das iſt, uͤber die Art und Folge der Beine im Aufheben, nicht einig waren, eben ſo wenig, wie es einige neuere Scribenten ſind, welche dieſen Punct beruͤhret haben. Einige behaupten 2), daß die Pferde die Beine an jeder Seite zugleich aufheben, und ſo iſt der Gang der vier alten Pferde zu Ve- nedig, der Pferde des Caſtor und des Pollux auf dem Campidoglio, und der Pferde des Nonius Balbus und ſeines Sohns zu Portici vorgeſtellet. Andere halten ſich uͤberzeugt, daß die Pferde ſich Diagonaliſch, oder im Creuz, bewegen 3), das iſt, ſie heben nach dem rechten Vorderfuße den linken Hinterfuß auf, und dieſes iſt auf die Erfahrung, und auf die Geſetze der Mechanic gegruͤndet. Alſo heben die Fuͤße das Pferd des Marcus Aurelius, die vier Pferde an deſſen Wagen in erhobner Arbeit, und die an den Bogen des Titus ſtehen. Es finden ſich auch verſchiedene andere Thiere Griechiſcher Kuͤnſtler von harten Steinen und von Marmor in Rom. In der Villa Negroni ſtehet ein ſchoͤner Tiger von Baſalt, auf welchem eins der ſchoͤnſten Kinder in Marmor reitet; ein Bildhauer beſitzet einen großen ſchoͤnen Hund von Marmor. An dem bekannten Bocke in dem Pallaſte Giuſtiniani iſt der Kopf, als das ſchoͤnſte Theil, neu. Dieſe Abhandlung von der Zeichnung des Nackenden Griechiſcher Kuͤnſt- ler, iſt hier nicht erſchoͤpft, wie ich ſehr wohl einſehe; aber ich glaube, es ſey der Faden gegeben, den man faſſen, und dem man richtig nachgehen kann. Rom iſt der Ort, wo dieſe Betrachtungen reichlicher, als anderswo, gepruͤfet und an- gewendet werden koͤnnen; das richtige Urtheil aber uͤber dieſelben, und der voͤllige Nutzen, iſt nicht im Durchlaufen zu machen, noch zu ſchoͤpfen: denn was anfaͤnglich dem Sinne des Verfaſſers nicht gemaͤß ſcheinen moͤchte, wird demſelben durch oͤftere Betrachtung aͤhnlicher werden, und wird die vieljaͤhrige Erfahrung deſſelben, und die reife Ueberlegung dieſer Abhand- lung beſtaͤtigen. Von 1) Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 170. 2) Borel. de motu animal. P. I. c. 20. Baldinuc. Vite de Pitt. T. 2. p. 59. 3) Magalotti Lettere. A a 3

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/239>, abgerufen am 27.04.2024.