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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Viertes Capitel.
glio; am deutlichsten aber fand es sich an einer schönen Pallas in Lebens-
größe, von Marmor, unter den Herculanischen Statuen zu Portici, und
das Gold war in so dicken Blättern aufgelegt, daß dasselbe konnte abge-
nommen werden; es waren die abgelösten Stückgen noch vor fünf Jahren
aufgehoben.

Besagte Weiber ließen sich zuweilen die Haare abscheeren, wie die
Mutter des Theseus 1), und eine alte Frau auf einem Gemälde des Poly-
gnotus zu Delphos 2), waren, welches vermuthlich bey Wittwen ihre be-
ständige Trauer anzeigte, wie an der Clytemnestra und der Hecuba 3); auch
Kinder schnitten sich die Haare ab 4), über den Tod ihres Vaters. Auf
Münzen und auf Gemälden finden sich Weibliche, auch Göttliche Köpfe,
mit einem Netze bedecket, welche noch itzo die Tracht der Weiber in Ita-
lien, im Hause ist: es hieß eine solche Art Hauben kekruphalos, und ich
habe davon an einem andern Orte geredet 5).

Ohrgehänke haben zwar etliche Statuen, als die Venus des Praxi-
teles, getragen, wie dieses auch die Löcher an den Ohren der Töchter der
Niobe, der Mediceischen Venus, der angeführten Juno Lucina, und an
einem schönen Kopfe etwa einer Juno, von grünlichem Basalte, in der
Villa Albani, anzeigen; es sind aber nur zwo Figuren in Marmor be-
kannt, an denen die Ohrgehänke, welche rund sind, mit im Marmor ge-
arbeitet worden, ohngefähr auf eben die Art, wie dieselben an einer Aegy-
ptischen Figur sind 6). Die eine ist eine von den Caryatiden in der Villa
Negroni, die andere war in dem Eremo des Cardinals Paßionei bey den
Calmaldulensern, über Frascati; diese ist halb Lebensgröße, und nach Art

Hetru-
1) Pausan. L. 10. p. 861. l. 11.
2) Ib. p. 864. l. 27. conf. Eurip. Phoeniss. v. 375.
3) Eurip. Iphig. Aul. v. 1438. Troad. v. 279. 480. Helen. v. 1093. 1134. 1240.
4) Eurip. Elect. v. 108. 148. 241. 335. Epigr. gr. ap. Orvil. Anim. in Charit. p. 365.
5) Descr. des Pier. gr. du Cab. de Stosch, p. 417.
6) Pococke's Descr. of the East, T. 1. p. 211.

I Theil. Viertes Capitel.
glio; am deutlichſten aber fand es ſich an einer ſchoͤnen Pallas in Lebens-
groͤße, von Marmor, unter den Herculaniſchen Statuen zu Portici, und
das Gold war in ſo dicken Blaͤttern aufgelegt, daß daſſelbe konnte abge-
nommen werden; es waren die abgeloͤſten Stuͤckgen noch vor fuͤnf Jahren
aufgehoben.

Beſagte Weiber ließen ſich zuweilen die Haare abſcheeren, wie die
Mutter des Theſeus 1), und eine alte Frau auf einem Gemaͤlde des Poly-
gnotus zu Delphos 2), waren, welches vermuthlich bey Wittwen ihre be-
ſtaͤndige Trauer anzeigte, wie an der Clytemneſtra und der Hecuba 3); auch
Kinder ſchnitten ſich die Haare ab 4), uͤber den Tod ihres Vaters. Auf
Muͤnzen und auf Gemaͤlden finden ſich Weibliche, auch Goͤttliche Koͤpfe,
mit einem Netze bedecket, welche noch itzo die Tracht der Weiber in Ita-
lien, im Hauſe iſt: es hieß eine ſolche Art Hauben κεκρύφαλος, und ich
habe davon an einem andern Orte geredet 5).

Ohrgehaͤnke haben zwar etliche Statuen, als die Venus des Praxi-
teles, getragen, wie dieſes auch die Loͤcher an den Ohren der Toͤchter der
Niobe, der Mediceiſchen Venus, der angefuͤhrten Juno Lucina, und an
einem ſchoͤnen Kopfe etwa einer Juno, von gruͤnlichem Baſalte, in der
Villa Albani, anzeigen; es ſind aber nur zwo Figuren in Marmor be-
kannt, an denen die Ohrgehaͤnke, welche rund ſind, mit im Marmor ge-
arbeitet worden, ohngefaͤhr auf eben die Art, wie dieſelben an einer Aegy-
ptiſchen Figur ſind 6). Die eine iſt eine von den Caryatiden in der Villa
Negroni, die andere war in dem Eremo des Cardinals Paßionei bey den
Calmaldulenſern, uͤber Fraſcati; dieſe iſt halb Lebensgroͤße, und nach Art

Hetru-
1) Pauſan. L. 10. p. 861. l. 11.
2) Ib. p. 864. l. 27. conf. Eurip. Phoeniſſ. v. 375.
3) Eurip. Iphig. Aul. v. 1438. Troad. v. 279. 480. Helen. v. 1093. 1134. 1240.
4) Eurip. Elect. v. 108. 148. 241. 335. Epigr. gr. ap. Orvil. Anim. in Charit. p. 365.
5) Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 417.
6) Pococke’s Deſcr. of the Eaſt, T. 1. p. 211.
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[208/0258] I Theil. Viertes Capitel. glio; am deutlichſten aber fand es ſich an einer ſchoͤnen Pallas in Lebens- groͤße, von Marmor, unter den Herculaniſchen Statuen zu Portici, und das Gold war in ſo dicken Blaͤttern aufgelegt, daß daſſelbe konnte abge- nommen werden; es waren die abgeloͤſten Stuͤckgen noch vor fuͤnf Jahren aufgehoben. Beſagte Weiber ließen ſich zuweilen die Haare abſcheeren, wie die Mutter des Theſeus 1), und eine alte Frau auf einem Gemaͤlde des Poly- gnotus zu Delphos 2), waren, welches vermuthlich bey Wittwen ihre be- ſtaͤndige Trauer anzeigte, wie an der Clytemneſtra und der Hecuba 3); auch Kinder ſchnitten ſich die Haare ab 4), uͤber den Tod ihres Vaters. Auf Muͤnzen und auf Gemaͤlden finden ſich Weibliche, auch Goͤttliche Koͤpfe, mit einem Netze bedecket, welche noch itzo die Tracht der Weiber in Ita- lien, im Hauſe iſt: es hieß eine ſolche Art Hauben κεκρύφαλος, und ich habe davon an einem andern Orte geredet 5). Ohrgehaͤnke haben zwar etliche Statuen, als die Venus des Praxi- teles, getragen, wie dieſes auch die Loͤcher an den Ohren der Toͤchter der Niobe, der Mediceiſchen Venus, der angefuͤhrten Juno Lucina, und an einem ſchoͤnen Kopfe etwa einer Juno, von gruͤnlichem Baſalte, in der Villa Albani, anzeigen; es ſind aber nur zwo Figuren in Marmor be- kannt, an denen die Ohrgehaͤnke, welche rund ſind, mit im Marmor ge- arbeitet worden, ohngefaͤhr auf eben die Art, wie dieſelben an einer Aegy- ptiſchen Figur ſind 6). Die eine iſt eine von den Caryatiden in der Villa Negroni, die andere war in dem Eremo des Cardinals Paßionei bey den Calmaldulenſern, uͤber Fraſcati; dieſe iſt halb Lebensgroͤße, und nach Art Hetru- 1) Pauſan. L. 10. p. 861. l. 11. 2) Ib. p. 864. l. 27. conf. Eurip. Phoeniſſ. v. 375. 3) Eurip. Iphig. Aul. v. 1438. Troad. v. 279. 480. Helen. v. 1093. 1134. 1240. 4) Eurip. Elect. v. 108. 148. 241. 335. Epigr. gr. ap. Orvil. Anim. in Charit. p. 365. 5) Deſcr. des Pier. gr. du Cab. de Stoſch, p. 417. 6) Pococke’s Deſcr. of the Eaſt, T. 1. p. 211.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/258>, abgerufen am 26.04.2024.