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Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764.

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I Theil. Erstes Capitel.
der engen Straßen und hohen Häuser, mehr gemein ist, als den Einwoh-
nern auf dem Lande daselbst. Eben diese Farbe haben die Einwohner der
Orte auf den Küsten der Mittelländischen See, im Kirchenstaate, zu Ter-
racina, Nettuno, Ostia, u. s. w. Die Sümpfe aber, welche in Italien
eine üble und tödliche Luft verursachen, müssen in Griechenland keine schäd-
lichen Ausdünstungen gehabt haben: denn Ambracia, zum Exempel, wel-
ches eine sehr wohlgebauete und berühmte Stadt war, lag 1) mitten in
Sümpfen, und hatte nur einen einzigen Zugang.

G.
Besonderer
Beweis der-
selben.

Der begreiflichste Beweis von der vorzüglichen Form der Griechen
und aller heutigen Levantiner ist, daß sich gar keine gepletschte Nasen unter
ihnen finden, welches die größte Verunstaltung des Gesichts ist. Sca-
liger 2) hat dieses von den Juden bemerket; ja die Juden in Portugall
müssen mehrentheils Habichts-Nasen haben; daher dergleichen Nase da-
selbst eine Jüdische Nase genennet wird. Vesalius 3) merket an, daß die
Köpfe der Griechen und der Türken ein schöneres Oval haben, als der
Deutschen und Niederländer. Es ist auch hier in Erwegung zu ziehen,
daß die Blattern in allen warmen Ländern weniger gefährlich sind, als in
kalten Ländern, wo es epidemische Seuchen sind, und wie die Pest wüten.
Daher wird man in Italien unter tausend kaum zehen Personen, mit un-
vermerklichen wenigen Spuren von Blattern bezeichnet finden; den alten
Griechen aber war dieses Uebel unbekannt.

Eben
1) Polyb. L. 4. p. 326 B.
2) in Scaligeran.
3) de corp. hum. fabr. L. 1. c. 5. p. 23.

I Theil. Erſtes Capitel.
der engen Straßen und hohen Haͤuſer, mehr gemein iſt, als den Einwoh-
nern auf dem Lande daſelbſt. Eben dieſe Farbe haben die Einwohner der
Orte auf den Kuͤſten der Mittellaͤndiſchen See, im Kirchenſtaate, zu Ter-
racina, Nettuno, Oſtia, u. ſ. w. Die Suͤmpfe aber, welche in Italien
eine uͤble und toͤdliche Luft verurſachen, muͤſſen in Griechenland keine ſchaͤd-
lichen Ausduͤnſtungen gehabt haben: denn Ambracia, zum Exempel, wel-
ches eine ſehr wohlgebauete und beruͤhmte Stadt war, lag 1) mitten in
Suͤmpfen, und hatte nur einen einzigen Zugang.

G.
Beſonderer
Beweis der-
ſelben.

Der begreiflichſte Beweis von der vorzuͤglichen Form der Griechen
und aller heutigen Levantiner iſt, daß ſich gar keine gepletſchte Naſen unter
ihnen finden, welches die groͤßte Verunſtaltung des Geſichts iſt. Sca-
liger 2) hat dieſes von den Juden bemerket; ja die Juden in Portugall
muͤſſen mehrentheils Habichts-Naſen haben; daher dergleichen Naſe da-
ſelbſt eine Juͤdiſche Naſe genennet wird. Veſalius 3) merket an, daß die
Koͤpfe der Griechen und der Tuͤrken ein ſchoͤneres Oval haben, als der
Deutſchen und Niederlaͤnder. Es iſt auch hier in Erwegung zu ziehen,
daß die Blattern in allen warmen Laͤndern weniger gefaͤhrlich ſind, als in
kalten Laͤndern, wo es epidemiſche Seuchen ſind, und wie die Peſt wuͤten.
Daher wird man in Italien unter tauſend kaum zehen Perſonen, mit un-
vermerklichen wenigen Spuren von Blattern bezeichnet finden; den alten
Griechen aber war dieſes Uebel unbekannt.

Eben
1) Polyb. L. 4. p. 326 B.
2) in Scaligeran.
3) de corp. hum. fabr. L. 1. c. 5. p. 23.
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[24/0074] I Theil. Erſtes Capitel. der engen Straßen und hohen Haͤuſer, mehr gemein iſt, als den Einwoh- nern auf dem Lande daſelbſt. Eben dieſe Farbe haben die Einwohner der Orte auf den Kuͤſten der Mittellaͤndiſchen See, im Kirchenſtaate, zu Ter- racina, Nettuno, Oſtia, u. ſ. w. Die Suͤmpfe aber, welche in Italien eine uͤble und toͤdliche Luft verurſachen, muͤſſen in Griechenland keine ſchaͤd- lichen Ausduͤnſtungen gehabt haben: denn Ambracia, zum Exempel, wel- ches eine ſehr wohlgebauete und beruͤhmte Stadt war, lag 1) mitten in Suͤmpfen, und hatte nur einen einzigen Zugang. Der begreiflichſte Beweis von der vorzuͤglichen Form der Griechen und aller heutigen Levantiner iſt, daß ſich gar keine gepletſchte Naſen unter ihnen finden, welches die groͤßte Verunſtaltung des Geſichts iſt. Sca- liger 2) hat dieſes von den Juden bemerket; ja die Juden in Portugall muͤſſen mehrentheils Habichts-Naſen haben; daher dergleichen Naſe da- ſelbſt eine Juͤdiſche Naſe genennet wird. Veſalius 3) merket an, daß die Koͤpfe der Griechen und der Tuͤrken ein ſchoͤneres Oval haben, als der Deutſchen und Niederlaͤnder. Es iſt auch hier in Erwegung zu ziehen, daß die Blattern in allen warmen Laͤndern weniger gefaͤhrlich ſind, als in kalten Laͤndern, wo es epidemiſche Seuchen ſind, und wie die Peſt wuͤten. Daher wird man in Italien unter tauſend kaum zehen Perſonen, mit un- vermerklichen wenigen Spuren von Blattern bezeichnet finden; den alten Griechen aber war dieſes Uebel unbekannt. Eben 1) Polyb. L. 4. p. 326 B. 2) in Scaligeran. 3) de corp. hum. fabr. L. 1. c. 5. p. 23.

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Zitationshilfe: Winckelmann, Johann Joachim: Geschichte der Kunst des Alterthums. Bd. 1. Dresden, 1764, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/winckelmann_kunstgeschichte01_1764/74>, abgerufen am 26.04.2024.