nicht gar zu schüchtern prüfen und tasten, sondern in Gottes Namen frisch einbeißen.
Ich hatte einen guten Freund, der, mit Ausnahme von Neunaugen, niemals einen Fisch zu essen sich getraute, so gern er auch davon gegessen hätte, aus Furcht, es möchte ihm eine Gräte im Halse stecken bleiben, und der sich später erschoß. -- So giebt's auch Leute, die niemals Schwämme essen, um ja auf keine giftigen zu stoßen, und nun alle jene beseeligenden Augenblicke für immer entbehren, welche die lieblichen goldfar- bigen Brätlinge, die zarten kleinen Eierschwämmlein, Morcheln und andere Champignons mit jungen Bohnen und Hähnchen oder sonstigen Verbindungen den Sterblichen immer gewähren können. Wenn Petersilie wohlschmecken soll, darf man keine Angst vor Schierling haben. "Vor Lerchen und Zucker, sagt Jean Paul, braucht man nicht zu warnen, wenn nicht jeder Genießende ein medizinischer Polizeibeamter werden soll, der jeder ankommenden Freude erst Reisepaß und Geburtsbrief ab- verlangt, ehe er sie einläßt. Auch wagen soll der Mensch und kühn sein, um frei zu sein." -- Selbst der trockne Arzt Zückert bemerkt ganz ruhig: "Einem gesunden Menschen rechnet man es billig als eine Kleinmüthigkeit und als eine von Einbildung und unedler Furcht geleitete Thorheit an, wenn er eine ängst- liche Wahl der Speisen anstellet." -- Schon Celsus gab auch im ersten Buche, ersten Kapitel, seines Werkes von der Heil- kunde diätetische Rathschläge im ähnlichen freien Sinne.
Noch hätte ich von dem Verhältnisse der Speisen je nach dem Geschlecht, und, da ich bisher fortwährend Männer im Auge hatte, zum schönen Geschlecht abzuhandeln. Bekanntlich war diese zartere, leichtverletzliche Hälfte von den Gastmählern der älteren Griechen und Römer ausgeschlossen. --
Rousseau macht seine Julie "un peu gourmande." Das kann nun Lord Byron nicht leiden, der es überhaupt nicht liebt, Frauen essen zu sehen. Auch Novalis sagt: Empfangen
nicht gar zu ſchuͤchtern pruͤfen und taſten, ſondern in Gottes Namen friſch einbeißen.
Ich hatte einen guten Freund, der, mit Ausnahme von Neunaugen, niemals einen Fiſch zu eſſen ſich getraute, ſo gern er auch davon gegeſſen haͤtte, aus Furcht, es moͤchte ihm eine Graͤte im Halſe ſtecken bleiben, und der ſich ſpaͤter erſchoß. — So giebt’s auch Leute, die niemals Schwaͤmme eſſen, um ja auf keine giftigen zu ſtoßen, und nun alle jene beſeeligenden Augenblicke fuͤr immer entbehren, welche die lieblichen goldfar- bigen Braͤtlinge, die zarten kleinen Eierſchwaͤmmlein, Morcheln und andere Champignons mit jungen Bohnen und Haͤhnchen oder ſonſtigen Verbindungen den Sterblichen immer gewaͤhren koͤnnen. Wenn Peterſilie wohlſchmecken ſoll, darf man keine Angſt vor Schierling haben. „Vor Lerchen und Zucker, ſagt Jean Paul, braucht man nicht zu warnen, wenn nicht jeder Genießende ein mediziniſcher Polizeibeamter werden ſoll, der jeder ankommenden Freude erſt Reiſepaß und Geburtsbrief ab- verlangt, ehe er ſie einlaͤßt. Auch wagen ſoll der Menſch und kuͤhn ſein, um frei zu ſein.“ — Selbſt der trockne Arzt Zuͤckert bemerkt ganz ruhig: „Einem geſunden Menſchen rechnet man es billig als eine Kleinmuͤthigkeit und als eine von Einbildung und unedler Furcht geleitete Thorheit an, wenn er eine aͤngſt- liche Wahl der Speiſen anſtellet.“ — Schon Celſus gab auch im erſten Buche, erſten Kapitel, ſeines Werkes von der Heil- kunde diaͤtetiſche Rathſchlaͤge im aͤhnlichen freien Sinne.
Noch haͤtte ich von dem Verhaͤltniſſe der Speiſen je nach dem Geſchlecht, und, da ich bisher fortwaͤhrend Maͤnner im Auge hatte, zum ſchoͤnen Geſchlecht abzuhandeln. Bekanntlich war dieſe zartere, leichtverletzliche Haͤlfte von den Gaſtmaͤhlern der aͤlteren Griechen und Roͤmer ausgeſchloſſen. —
Rouſſeau macht ſeine Julie „un peu gourmande.“ Das kann nun Lord Byron nicht leiden, der es uͤberhaupt nicht liebt, Frauen eſſen zu ſehen. Auch Novalis ſagt: Empfangen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0151"n="137"/>
nicht gar zu ſchuͤchtern pruͤfen und taſten, ſondern in Gottes<lb/>
Namen friſch einbeißen.</p><lb/><p>Ich hatte einen guten Freund, der, mit Ausnahme von<lb/>
Neunaugen, niemals einen Fiſch zu eſſen ſich getraute, ſo gern<lb/>
er auch davon gegeſſen haͤtte, aus Furcht, es moͤchte ihm eine<lb/>
Graͤte im Halſe ſtecken bleiben, und der ſich ſpaͤter erſchoß. —<lb/>
So giebt’s auch Leute, die niemals Schwaͤmme eſſen, um ja<lb/>
auf keine giftigen zu ſtoßen, und nun alle jene beſeeligenden<lb/>
Augenblicke fuͤr immer entbehren, welche die lieblichen goldfar-<lb/>
bigen Braͤtlinge, die zarten kleinen Eierſchwaͤmmlein, Morcheln<lb/>
und andere Champignons mit jungen Bohnen und Haͤhnchen<lb/>
oder ſonſtigen Verbindungen den Sterblichen immer gewaͤhren<lb/>
koͤnnen. Wenn Peterſilie wohlſchmecken ſoll, darf man keine<lb/>
Angſt vor Schierling haben. „Vor Lerchen und Zucker, ſagt<lb/><hirendition="#g">Jean Paul</hi>, braucht man nicht zu warnen, wenn nicht jeder<lb/>
Genießende ein mediziniſcher Polizeibeamter werden ſoll, der<lb/>
jeder ankommenden Freude erſt Reiſepaß und Geburtsbrief ab-<lb/>
verlangt, ehe er ſie einlaͤßt. Auch wagen ſoll der Menſch und<lb/>
kuͤhn ſein, um frei zu ſein.“— Selbſt der trockne Arzt <hirendition="#g">Zuͤckert</hi><lb/>
bemerkt ganz ruhig: „Einem geſunden Menſchen rechnet man es<lb/>
billig als eine Kleinmuͤthigkeit und als eine von Einbildung<lb/>
und unedler Furcht geleitete Thorheit an, wenn er eine aͤngſt-<lb/>
liche Wahl der Speiſen anſtellet.“— Schon <hirendition="#g">Celſus</hi> gab auch<lb/>
im erſten Buche, erſten Kapitel, ſeines Werkes von der Heil-<lb/>
kunde diaͤtetiſche Rathſchlaͤge im aͤhnlichen freien Sinne.</p><lb/><p>Noch haͤtte ich von dem Verhaͤltniſſe der Speiſen je nach<lb/>
dem Geſchlecht, und, da ich bisher fortwaͤhrend Maͤnner im<lb/>
Auge hatte, zum ſchoͤnen Geſchlecht abzuhandeln. Bekanntlich<lb/>
war dieſe zartere, leichtverletzliche Haͤlfte von den Gaſtmaͤhlern<lb/>
der aͤlteren Griechen und Roͤmer ausgeſchloſſen. —</p><lb/><p><hirendition="#g">Rouſſeau</hi> macht ſeine Julie <hirendition="#aq">„un peu gourmande.“</hi> Das<lb/>
kann nun Lord <hirendition="#g">Byron</hi> nicht leiden, der es uͤberhaupt nicht<lb/>
liebt, Frauen eſſen zu ſehen. Auch <hirendition="#g">Novalis</hi>ſagt: Empfangen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[137/0151]
nicht gar zu ſchuͤchtern pruͤfen und taſten, ſondern in Gottes
Namen friſch einbeißen.
Ich hatte einen guten Freund, der, mit Ausnahme von
Neunaugen, niemals einen Fiſch zu eſſen ſich getraute, ſo gern
er auch davon gegeſſen haͤtte, aus Furcht, es moͤchte ihm eine
Graͤte im Halſe ſtecken bleiben, und der ſich ſpaͤter erſchoß. —
So giebt’s auch Leute, die niemals Schwaͤmme eſſen, um ja
auf keine giftigen zu ſtoßen, und nun alle jene beſeeligenden
Augenblicke fuͤr immer entbehren, welche die lieblichen goldfar-
bigen Braͤtlinge, die zarten kleinen Eierſchwaͤmmlein, Morcheln
und andere Champignons mit jungen Bohnen und Haͤhnchen
oder ſonſtigen Verbindungen den Sterblichen immer gewaͤhren
koͤnnen. Wenn Peterſilie wohlſchmecken ſoll, darf man keine
Angſt vor Schierling haben. „Vor Lerchen und Zucker, ſagt
Jean Paul, braucht man nicht zu warnen, wenn nicht jeder
Genießende ein mediziniſcher Polizeibeamter werden ſoll, der
jeder ankommenden Freude erſt Reiſepaß und Geburtsbrief ab-
verlangt, ehe er ſie einlaͤßt. Auch wagen ſoll der Menſch und
kuͤhn ſein, um frei zu ſein.“ — Selbſt der trockne Arzt Zuͤckert
bemerkt ganz ruhig: „Einem geſunden Menſchen rechnet man es
billig als eine Kleinmuͤthigkeit und als eine von Einbildung
und unedler Furcht geleitete Thorheit an, wenn er eine aͤngſt-
liche Wahl der Speiſen anſtellet.“ — Schon Celſus gab auch
im erſten Buche, erſten Kapitel, ſeines Werkes von der Heil-
kunde diaͤtetiſche Rathſchlaͤge im aͤhnlichen freien Sinne.
Noch haͤtte ich von dem Verhaͤltniſſe der Speiſen je nach
dem Geſchlecht, und, da ich bisher fortwaͤhrend Maͤnner im
Auge hatte, zum ſchoͤnen Geſchlecht abzuhandeln. Bekanntlich
war dieſe zartere, leichtverletzliche Haͤlfte von den Gaſtmaͤhlern
der aͤlteren Griechen und Roͤmer ausgeſchloſſen. —
Rouſſeau macht ſeine Julie „un peu gourmande.“ Das
kann nun Lord Byron nicht leiden, der es uͤberhaupt nicht
liebt, Frauen eſſen zu ſehen. Auch Novalis ſagt: Empfangen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/151>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.