leicht fehl greifen, auch wenn man den allgemeinen Grundsatz "Animalisches fordert Vegetabilisches" festhält. So wurde mir öfter Stockfisch mit Spargel und Muskatblüthe vorgesetzt. Mir schien jedoch jedesmal sowohl der zarte Spargel, als die feinere höhere Muskatblüthe für den populären Stockfisch sich nicht zu eignen, und Kartoffelschnitte als vegetabilischer Gegensatz und geröstete kleingewürfelte wenige Zwiebelstückchen zur Würze in diesem Falle viel zusagender.
In ärmeren Gebirgsgegenden erhielt ich nicht selten zu Kalbsbraten gedörrte gekochte Zwetschchen. Obgleich damit die Nothwendigkeit des Gegensatzes anerkannt ist, konnte ich doch niemals diese Wahl billigen. So wurde mir auch in Gast- häusern kleiner, entlegener Orte, z. B. in Jean Paul's Ge- burtsort, Kohl mit gerösteten Brodschnitten vorgesetzt, die einmal, an einem Sonntag, in Eiern gebacken waren. Auf diese Weise suchte man, trotz hinderlicher Dürftigkeit, ohne sich zum bestimmt animalischen Gegensatz erheben zu können, doch die antithetische Forderung einigermaßen zu erfüllen.
Ehe wir nun zu zusammengesetzteren Gegensätzen über- gehen, mag ferner noch davon die Rede sein, ob man diese Gegensätze gleichzeitig und je zugleich, oder vielmehr successiv, abwechselnd und je einzeln für sich essen solle. Sind sie, was vorausgesetzt wird, gut gewählt, so mögen sie zwar immerhin gleichzeitig gekaut werden, man wird wohl auch dadurch ganz neue eigenthümliche Geschmäcke entdecken. Doch wäre dabei nicht außer Acht zu lassen, daß man nicht von beiden Gegen- sätzen gleich große Mengen, sondern je immer von dem Einen mehr als von dem Andern zu nehmen habe, um das Spezi- fische doch nicht zu sehr zu verwischen. Dieß gilt natürlich zunächst von geschieden aufgetragenen gegensätzlichen Speisen. Denn wo die Kochkunst selbst jene Vereinbarung der Gegensätze schon vermittelt und vorgebildet hat, versteht sich auch das
leicht fehl greifen, auch wenn man den allgemeinen Grundſatz „Animaliſches fordert Vegetabiliſches“ feſthaͤlt. So wurde mir oͤfter Stockfiſch mit Spargel und Muskatbluͤthe vorgeſetzt. Mir ſchien jedoch jedesmal ſowohl der zarte Spargel, als die feinere hoͤhere Muskatbluͤthe fuͤr den populaͤren Stockfiſch ſich nicht zu eignen, und Kartoffelſchnitte als vegetabiliſcher Gegenſatz und geroͤſtete kleingewuͤrfelte wenige Zwiebelſtuͤckchen zur Wuͤrze in dieſem Falle viel zuſagender.
In aͤrmeren Gebirgsgegenden erhielt ich nicht ſelten zu Kalbsbraten gedoͤrrte gekochte Zwetſchchen. Obgleich damit die Nothwendigkeit des Gegenſatzes anerkannt iſt, konnte ich doch niemals dieſe Wahl billigen. So wurde mir auch in Gaſt- haͤuſern kleiner, entlegener Orte, z. B. in Jean Paul’s Ge- burtsort, Kohl mit geroͤſteten Brodſchnitten vorgeſetzt, die einmal, an einem Sonntag, in Eiern gebacken waren. Auf dieſe Weiſe ſuchte man, trotz hinderlicher Duͤrftigkeit, ohne ſich zum beſtimmt animaliſchen Gegenſatz erheben zu koͤnnen, doch die antithetiſche Forderung einigermaßen zu erfuͤllen.
Ehe wir nun zu zuſammengeſetzteren Gegenſaͤtzen uͤber- gehen, mag ferner noch davon die Rede ſein, ob man dieſe Gegenſaͤtze gleichzeitig und je zugleich, oder vielmehr ſucceſſiv, abwechſelnd und je einzeln fuͤr ſich eſſen ſolle. Sind ſie, was vorausgeſetzt wird, gut gewaͤhlt, ſo moͤgen ſie zwar immerhin gleichzeitig gekaut werden, man wird wohl auch dadurch ganz neue eigenthuͤmliche Geſchmaͤcke entdecken. Doch waͤre dabei nicht außer Acht zu laſſen, daß man nicht von beiden Gegen- ſaͤtzen gleich große Mengen, ſondern je immer von dem Einen mehr als von dem Andern zu nehmen habe, um das Spezi- fiſche doch nicht zu ſehr zu verwiſchen. Dieß gilt natuͤrlich zunaͤchſt von geſchieden aufgetragenen gegenſaͤtzlichen Speiſen. Denn wo die Kochkunſt ſelbſt jene Vereinbarung der Gegenſaͤtze ſchon vermittelt und vorgebildet hat, verſteht ſich auch das
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leicht fehl greifen, auch wenn man den allgemeinen Grundſatz
„Animaliſches fordert Vegetabiliſches“ feſthaͤlt. So wurde mir
oͤfter Stockfiſch mit Spargel und Muskatbluͤthe vorgeſetzt. Mir
ſchien jedoch jedesmal ſowohl der zarte Spargel, als die feinere
hoͤhere Muskatbluͤthe fuͤr den populaͤren Stockfiſch ſich nicht zu
eignen, und Kartoffelſchnitte als vegetabiliſcher Gegenſatz und
geroͤſtete kleingewuͤrfelte wenige Zwiebelſtuͤckchen zur Wuͤrze in
dieſem Falle viel zuſagender.
In aͤrmeren Gebirgsgegenden erhielt ich nicht ſelten zu
Kalbsbraten gedoͤrrte gekochte Zwetſchchen. Obgleich damit die
Nothwendigkeit des Gegenſatzes anerkannt iſt, konnte ich doch
niemals dieſe Wahl billigen. So wurde mir auch in Gaſt-
haͤuſern kleiner, entlegener Orte, z. B. in Jean Paul’s Ge-
burtsort, Kohl mit geroͤſteten Brodſchnitten vorgeſetzt, die
einmal, an einem Sonntag, in Eiern gebacken waren. Auf
dieſe Weiſe ſuchte man, trotz hinderlicher Duͤrftigkeit, ohne ſich
zum beſtimmt animaliſchen Gegenſatz erheben zu koͤnnen, doch
die antithetiſche Forderung einigermaßen zu erfuͤllen.
Ehe wir nun zu zuſammengeſetzteren Gegenſaͤtzen uͤber-
gehen, mag ferner noch davon die Rede ſein, ob man dieſe
Gegenſaͤtze gleichzeitig und je zugleich, oder vielmehr ſucceſſiv,
abwechſelnd und je einzeln fuͤr ſich eſſen ſolle. Sind ſie, was
vorausgeſetzt wird, gut gewaͤhlt, ſo moͤgen ſie zwar immerhin
gleichzeitig gekaut werden, man wird wohl auch dadurch ganz
neue eigenthuͤmliche Geſchmaͤcke entdecken. Doch waͤre dabei
nicht außer Acht zu laſſen, daß man nicht von beiden Gegen-
ſaͤtzen gleich große Mengen, ſondern je immer von dem Einen
mehr als von dem Andern zu nehmen habe, um das Spezi-
fiſche doch nicht zu ſehr zu verwiſchen. Dieß gilt natuͤrlich
zunaͤchſt von geſchieden aufgetragenen gegenſaͤtzlichen Speiſen.
Denn wo die Kochkunſt ſelbſt jene Vereinbarung der Gegenſaͤtze
ſchon vermittelt und vorgebildet hat, verſteht ſich auch das
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/169>, abgerufen am 14.06.2024.
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