Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.schung! Am andern Tag mußte ich abreisen, ohne Aussicht "Doch den entfloh'nen Augenblick Bringt keine Reu', kein Gram zurück." Wie für die schönen Künste und die Lebenskunst, so gilt auch Frankreich wird in Beziehung auf Koch- und Eßkunst be- Der Engländer, bei dem, wie Byron sagt, die Quanti- ſchung! Am andern Tag mußte ich abreiſen, ohne Ausſicht „Doch den entfloh’nen Augenblick Bringt keine Reu’, kein Gram zuruͤck.“ Wie fuͤr die ſchoͤnen Kuͤnſte und die Lebenskunſt, ſo gilt auch Frankreich wird in Beziehung auf Koch- und Eßkunſt be- Der Englaͤnder, bei dem, wie Byron ſagt, die Quanti- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0078" n="64"/> ſchung! Am andern Tag mußte ich abreiſen, ohne Ausſicht<lb/> zur Wiederkehr. Ich durchzog die Schweiz nach allen Rich-<lb/> tungen, fragend und forſchend; — niemals wieder fand ich mei-<lb/> nem Urbilde nur entfernt Aehnliches. Wie der Dichter <hi rendition="#g">Ernſt<lb/> Wagner</hi> mit unvergeßlicher Sehnſucht noch im Mannesalter<lb/> einer einzigen uͤberreifen Birne gedenkt, die er als Knabe hoch<lb/> in den Zweigen des Baumes ſich ſchauckelnd, gegeſſen, und<lb/> dergleichen unbeſchreiblichen Wohlgeſchmack er nie wieder fand,<lb/> ſo ging es mir mit dem in Genf genoſſenen Emmenthaler.</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Doch den entfloh’nen Augenblick</l><lb/> <l>Bringt keine Reu’, kein Gram zuruͤck.“</l> </lg><lb/> <p>Wie fuͤr die ſchoͤnen Kuͤnſte und die Lebenskunſt, ſo gilt auch<lb/> fuͤr die Eßluſt das Erfaſſen des Momentes, das Feſthalten<lb/> gluͤcklicher Aper<hi rendition="#aq">ç</hi>us.</p><lb/> <p>Frankreich wird in Beziehung auf Koch- und Eßkunſt be-<lb/> ſonders von Englaͤndern und Deutſchen auf das Schiefſte beur-<lb/> theilt. Geſchieht dieß von Englaͤndern, ſo hat es ſeinen guten<lb/> Grund. Was aber berechtigt denn die Deutſchen, dasjenige<lb/> zu tadeln, was ſie gleichwohl ſo eifrig befliſſen ſind, auf das<lb/> Genaueſte nachzuahmen?</p><lb/> <p>Der Englaͤnder, bei dem, wie <hi rendition="#g">Byron</hi> ſagt, die Quanti-<lb/> taͤt blos zur Qualitaͤt verdickt iſt, der Englaͤnder hat ſeinen ei-<lb/> genthuͤmlich nationalen Styl, ſeine Schule, wenn auch nicht in<lb/> der Malerei, doch in der Koch- und Eßkunſt. Er ſchaut von<lb/> der edlen, wohlhaͤbigen Simplicitaͤt ſeiner großen kraͤftigen<lb/> Roaſtbeefs, Kalbs- und Lammsbraten, ſeiner ausgiebigen<lb/> Puddings und maſſenhaften Schildkroͤtenſuppen ſtolz auf die<lb/> franzoͤſiſchen Froſchſchenkel und mageren Suppen, auf das<lb/> Land herab, wo Kopfſalat als ein eigentliches Gericht fuͤr ſich<lb/> gilt. Trotz alledem aber ſagt, wie ſchon <hi rendition="#g">Lichtenberg</hi> bemerkt,<lb/> ein Franzoͤſiſcher Koch bei der großen Welt in London ſehr<lb/> viel und faſt ſo viel als die große Welt ſelbſt.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [64/0078]
ſchung! Am andern Tag mußte ich abreiſen, ohne Ausſicht
zur Wiederkehr. Ich durchzog die Schweiz nach allen Rich-
tungen, fragend und forſchend; — niemals wieder fand ich mei-
nem Urbilde nur entfernt Aehnliches. Wie der Dichter Ernſt
Wagner mit unvergeßlicher Sehnſucht noch im Mannesalter
einer einzigen uͤberreifen Birne gedenkt, die er als Knabe hoch
in den Zweigen des Baumes ſich ſchauckelnd, gegeſſen, und
dergleichen unbeſchreiblichen Wohlgeſchmack er nie wieder fand,
ſo ging es mir mit dem in Genf genoſſenen Emmenthaler.
„Doch den entfloh’nen Augenblick
Bringt keine Reu’, kein Gram zuruͤck.“
Wie fuͤr die ſchoͤnen Kuͤnſte und die Lebenskunſt, ſo gilt auch
fuͤr die Eßluſt das Erfaſſen des Momentes, das Feſthalten
gluͤcklicher Aperçus.
Frankreich wird in Beziehung auf Koch- und Eßkunſt be-
ſonders von Englaͤndern und Deutſchen auf das Schiefſte beur-
theilt. Geſchieht dieß von Englaͤndern, ſo hat es ſeinen guten
Grund. Was aber berechtigt denn die Deutſchen, dasjenige
zu tadeln, was ſie gleichwohl ſo eifrig befliſſen ſind, auf das
Genaueſte nachzuahmen?
Der Englaͤnder, bei dem, wie Byron ſagt, die Quanti-
taͤt blos zur Qualitaͤt verdickt iſt, der Englaͤnder hat ſeinen ei-
genthuͤmlich nationalen Styl, ſeine Schule, wenn auch nicht in
der Malerei, doch in der Koch- und Eßkunſt. Er ſchaut von
der edlen, wohlhaͤbigen Simplicitaͤt ſeiner großen kraͤftigen
Roaſtbeefs, Kalbs- und Lammsbraten, ſeiner ausgiebigen
Puddings und maſſenhaften Schildkroͤtenſuppen ſtolz auf die
franzoͤſiſchen Froſchſchenkel und mageren Suppen, auf das
Land herab, wo Kopfſalat als ein eigentliches Gericht fuͤr ſich
gilt. Trotz alledem aber ſagt, wie ſchon Lichtenberg bemerkt,
ein Franzoͤſiſcher Koch bei der großen Welt in London ſehr
viel und faſt ſo viel als die große Welt ſelbſt.
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