Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

examinirt habe über die Großthaten der Römer und
Griechen, wenn er dächte welchen schmutzigen Lebenspfad
sie wandern müßten, "Zieh Schimmel zieh, im Koth bis
an die Knie," ja da mag einer noch so ein weißer
Schimmel sein, er muß im Morast stecken bleiben; und
das ganze Lehrgebäude ist blos wie Fabelwerk, alles
lehrt man durch Exempel, aber große Thaten die zeigt
man nur wie die Chimära aus dem Bilderbuch, da dreht
jedermann um und läßt sie stehen ohne weitere Ge¬
brauchsanweisung. Diese Bemerkungen sind alle aus
Gesprächen mit dem Voigt, der mir gern seine Weisheit
bringt aus dem Grund weil ihn kein Mensch sonst an¬
hört, er sagte ich bin jedermann langweilig, aber ich
kann Ihnen versichern die Leute sagen Sie wären auch
langweilig; er sagte: aus einem Kind sollte lauter Weis¬
heit hervorblühen, daß alles Denken freudige Religion
in ihm würde ohne ihm das Kreuzschlagen zu lehren, oder
Heiden und Christen zu unterscheiden, und seine Seele
müßte aufblühen am Lebensstamm ohne zu fragen nach
Gutem und Bösem. -- Weißt Du was, -- heut hat sich
das zarte Kind in der Thür den Finger sehr arg ge¬
klemmt, und die Kurprinzeß war sehr erschrocken, und
ganz hinfällig geworden, denn es hat ihm sehr arg weh
gethan, mich hats auch geängstigt, es hatte Fieber, jetzt

examinirt habe über die Großthaten der Römer und
Griechen, wenn er dächte welchen ſchmutzigen Lebenspfad
ſie wandern müßten, „Zieh Schimmel zieh, im Koth bis
an die Knie,“ ja da mag einer noch ſo ein weißer
Schimmel ſein, er muß im Moraſt ſtecken bleiben; und
das ganze Lehrgebäude iſt blos wie Fabelwerk, alles
lehrt man durch Exempel, aber große Thaten die zeigt
man nur wie die Chimära aus dem Bilderbuch, da dreht
jedermann um und läßt ſie ſtehen ohne weitere Ge¬
brauchsanweiſung. Dieſe Bemerkungen ſind alle aus
Geſprächen mit dem Voigt, der mir gern ſeine Weisheit
bringt aus dem Grund weil ihn kein Menſch ſonſt an¬
hört, er ſagte ich bin jedermann langweilig, aber ich
kann Ihnen verſichern die Leute ſagen Sie wären auch
langweilig; er ſagte: aus einem Kind ſollte lauter Weis¬
heit hervorblühen, daß alles Denken freudige Religion
in ihm würde ohne ihm das Kreuzſchlagen zu lehren, oder
Heiden und Chriſten zu unterſcheiden, und ſeine Seele
müßte aufblühen am Lebensſtamm ohne zu fragen nach
Gutem und Böſem. — Weißt Du was, — heut hat ſich
das zarte Kind in der Thür den Finger ſehr arg ge¬
klemmt, und die Kurprinzeß war ſehr erſchrocken, und
ganz hinfällig geworden, denn es hat ihm ſehr arg weh
gethan, mich hats auch geängſtigt, es hatte Fieber, jetzt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0086" n="70"/>
examinirt habe über die Großthaten der Römer und<lb/>
Griechen, wenn er dächte welchen &#x017F;chmutzigen Lebenspfad<lb/>
&#x017F;ie wandern müßten, &#x201E;Zieh Schimmel zieh, im Koth bis<lb/>
an die Knie,&#x201C; ja da mag einer noch &#x017F;o ein weißer<lb/>
Schimmel &#x017F;ein, er muß im Mora&#x017F;t &#x017F;tecken bleiben; und<lb/>
das ganze Lehrgebäude i&#x017F;t blos wie Fabelwerk, alles<lb/>
lehrt man durch Exempel, aber große Thaten die zeigt<lb/>
man nur wie die Chimära aus dem Bilderbuch, da dreht<lb/>
jedermann um und läßt &#x017F;ie &#x017F;tehen ohne weitere Ge¬<lb/>
brauchsanwei&#x017F;ung. Die&#x017F;e Bemerkungen &#x017F;ind alle aus<lb/>
Ge&#x017F;prächen mit dem Voigt, der mir gern &#x017F;eine Weisheit<lb/>
bringt aus dem Grund weil ihn kein Men&#x017F;ch &#x017F;on&#x017F;t an¬<lb/>
hört, er &#x017F;agte ich bin jedermann langweilig, aber ich<lb/>
kann Ihnen ver&#x017F;ichern die Leute &#x017F;agen Sie wären auch<lb/>
langweilig; er &#x017F;agte: aus einem Kind &#x017F;ollte lauter Weis¬<lb/>
heit hervorblühen, daß alles Denken freudige Religion<lb/>
in ihm würde ohne ihm das Kreuz&#x017F;chlagen zu lehren, oder<lb/>
Heiden und Chri&#x017F;ten zu unter&#x017F;cheiden, und &#x017F;eine Seele<lb/>
müßte aufblühen am Lebens&#x017F;tamm ohne zu fragen nach<lb/>
Gutem und Bö&#x017F;em. &#x2014; Weißt Du was, &#x2014; heut hat &#x017F;ich<lb/>
das zarte Kind in der Thür den Finger &#x017F;ehr arg ge¬<lb/>
klemmt, und die Kurprinzeß war &#x017F;ehr er&#x017F;chrocken, und<lb/>
ganz hinfällig geworden, denn es hat ihm &#x017F;ehr arg weh<lb/>
gethan, mich hats auch geäng&#x017F;tigt, es hatte Fieber, jetzt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0086] examinirt habe über die Großthaten der Römer und Griechen, wenn er dächte welchen ſchmutzigen Lebenspfad ſie wandern müßten, „Zieh Schimmel zieh, im Koth bis an die Knie,“ ja da mag einer noch ſo ein weißer Schimmel ſein, er muß im Moraſt ſtecken bleiben; und das ganze Lehrgebäude iſt blos wie Fabelwerk, alles lehrt man durch Exempel, aber große Thaten die zeigt man nur wie die Chimära aus dem Bilderbuch, da dreht jedermann um und läßt ſie ſtehen ohne weitere Ge¬ brauchsanweiſung. Dieſe Bemerkungen ſind alle aus Geſprächen mit dem Voigt, der mir gern ſeine Weisheit bringt aus dem Grund weil ihn kein Menſch ſonſt an¬ hört, er ſagte ich bin jedermann langweilig, aber ich kann Ihnen verſichern die Leute ſagen Sie wären auch langweilig; er ſagte: aus einem Kind ſollte lauter Weis¬ heit hervorblühen, daß alles Denken freudige Religion in ihm würde ohne ihm das Kreuzſchlagen zu lehren, oder Heiden und Chriſten zu unterſcheiden, und ſeine Seele müßte aufblühen am Lebensſtamm ohne zu fragen nach Gutem und Böſem. — Weißt Du was, — heut hat ſich das zarte Kind in der Thür den Finger ſehr arg ge¬ klemmt, und die Kurprinzeß war ſehr erſchrocken, und ganz hinfällig geworden, denn es hat ihm ſehr arg weh gethan, mich hats auch geängſtigt, es hatte Fieber, jetzt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/86
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/86>, abgerufen am 01.11.2024.