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Allgemeine Zeitung. Nr. 179. Augsburg, 27. Juni 1840.

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vorzüglich erhebt eine Partei ächter alter Türken das Haupt, und hat bereits die beiden mächtigsten der Gegner, Chosrew Pascha und Halil Pascha, aus dem Staatsdienst verdrängt und in deren Stellen Männer ihrer eignen Partei eingesetzt. Mehrfache Veränderungen in demselben Sinne unter den Würdenträgern zweiter und dritter Classe stehen gewiß nächstens bevor. Es ist natürlich, daß diese Fremdlinge in ihren höchsten und hohen Stellungen den Türken von altem Schrot und Korn eine unangenehme Erscheinung waren, um so mehr, als man allgemein überzeugt ist, daß Chosrew Pascha in seinen verschiedenen Verwaltungen, namentlich eine Reihe von Jahren als Kriegsminister und seit einem Jahre als Großwessier, für Land und Volk nichts Ersprießliches geleistet hat. Die Unfähigkeit Chosrew Pascha's selbst und seiner Creaturen war gewiß ein wichtiger Grund sie daraus zu entfernen. Vielleicht hat man es vermocht, den jungen Großherrn von jener Unfähigkeit zu überzeugen; vielleicht hat man aber auch nur auf die große Macht Chosrew Pascha's und der Seinigen hingewiesen und dem Herrscher davor Besorgnisse erregt: denn der Fremdling mißbraucht allerdings seine Macht gegen seinen Herrn schon eher, als der in dem Glauben an das ächte Chalifat der Familie Othman geborne und erzogene Osmane. - Inwiefern der Vicekönig von Aegypten, ebenfalls ein Türke von altem Stamm, zur Absetzung Chosrew Pascha's, seines langjährigen Feindes, mitgewirkt habe, läßt sich wohl schwer durchschauen: das bleibt aber gewiß, daß Chosrew Pascha nicht direct durch Mehemed Ali, sondern vielmehr unmittelbar von der bezeichneten mächtigen Partei im Lande selbst gestürzt wurde. Die Sympathien und Relationen dieser Partei mit Mehemed Ali sind vor der Hand noch sehr zweifelhaft. Wahr ist es allerdings, daß Mehemed Ali der einzige Türke ist, zu dem fast alle seine Glaubensgenossen ein großes Vertrauen haben würden, wenn er an die Spitze der Geschäfte gestellt werden könnte: denn sie sagen mit Recht, er sey größer und fähiger als alle ihre übrigen Paschas; aber als langjähriger Feind seines Kaisers und Herrn besitzt er doch die Zuneigung seiner Glaubensgenossen nur in geringem Grade. Man wird sich erinnern, daß Mehemed Ali im vorigen Jahre als Friedensbedingung unter Anderm die Absetzung Chosrew Pascha's verlangte; man wird glauben, daß, nachdem die Absetzung jetzt erfolgt, der Frieden nahe sey. Ich bin nicht dieser Meinung: die Beibehaltung Chosrew Pascha's als Großwessier war für Mehemed Ali schon längst kein Anstoß mehr. Auch scheint es, als würde die hohe Pforte, wenn sie sich jetzt zu einem Frieden ohne Vermittlung der europäischen Großmächte entschließen wollte, eine zu große Schwäche ihrem Feinde gegenüber an den Tag legen. Wenn also das Friedenswerk durch Chosrew Pascha's Entfernung seinem Ziele näher gerückt seyn sollte, so ist dieß wohl nur insofern der Fall, als jetzt zwischen den hiesigen Machthabern und dem Vicekönig kein persönlicher Haß mehr obwaltet. Durch die Quiescirung Chosrew und Halil Pascha's sind also zwei Männer aus dem Triumvirat beseitigt (der dritte ist Reschid Pascha, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten), welches Sultan Mahmud auf seinem Sterbebette gleichsam als Vormundschaft für seinen jungen Sohn und Nachfolger eingesetzt hatte. Viele werden es vielleicht bedauern, daß der junge Kaiser (er hat höchstens 18 Jahre) die Verordnungen seines Vaters so bald aufgehoben hat. Ich kann diesem Bedauern nicht beistimmen, sondern schließe mich der Meinung der Türken von altem Stamm an, weil auch ich nicht finden kann, daß dieß Triumvirat irgend wohlthätig gewirkt habe. Außerdem ist die Meinung ziemlich verbreitet, daß keineswegs Sultan Mahmud jenes Triumvirat eingesetzt habe, sondern daß Chosrew Pascha aus eigner Machtvollkommenheit sich selbst zum Großwessier (ein damals nicht besetzter Posten) und seinen Adoptivsohn Halil Pascha (der, obgleich Schwiegersohn Sultan Mahmuds, dennoch seit Jahr und Tag bei demselben in Ungnade und außer Function gewesen war) zum Seraskier ernannt habe. Diesen beiden hat sich denn Reschid Pascha angeschlossen. Ich kann mich nicht überzeugen, daß die Veränderungen im Innern der Verwaltung seit zehn Monaten, deren Seele Reschid Pascha ist, für das Land segensreich seyn werden; doch wird Reschid Pascha in seinem Posten verbleiben, denn er ist ein mächtiges Mitglied der jetzt siegreichen Partei. Die Freunde der Türkei werden aus dem Umstand, daß gegenwärtig das Staatsruder aus der Hand einer unfähigen Partei in die einer andern übergegangen ist, vielleicht die Hoffnung schöpfen, daß die türkische Regierung nun einen rüstigen Schritt vorwärts thun werde; sie werden sich täuschen. Man wird vergeblich erwarten, daß aus dieser Nation ein Regenerator seines Volks, ein wahrhaft großer Mann hervorgehe. Das ist für jetzt ganz unmöglich, denn zu einem Mann, befähigt Volk und Staat zu lenken, würden nicht allein ausgezeichnete angeborne intellectuelle Eigenschaften erforderlich seyn, sondern diese müßten auch noch durch große wissenschaftliche Bildung getragen werden. Letztere ist aber in einem Lande, wo die Wissenschaft allgemein so darnieder liegt, beinahe unmöglich. Zwar hege ich nicht den fatalistischen Glauben, als müßte die Türkei nothwendig und unaufhaltsamen Schrittes ihrem Untergang entgegengehen; mir scheint vielmehr noch immer die Möglichkeit vorhanden, daß aus den Türken dereinst ein tüchtiges Volk werde, aber aus sich selbst werden sie einen Umschwung zum Guten schwerlich bewirken. Nur wenn europäische Intelligenz ihnen aufrichtig zu Hülfe kommen wollte; wenn sie sich nöthigenfalls mit Gewalt der Waffen aufdrängte, könnte allerdings das Volk allmählich regenerirt werden. Ob man dieses Mittel anwenden wird, anwenden kann, ist allerdings sehr zu bezweifeln. Die gegenwärtigen Machthaber werden also activ nicht mehr Gutes bewirken als ihre Vorgänger, aber sie werden sich dadurch vortheilhaft von jenen unterscheiden, daß sie nicht ihren Privatinteressen das Wohl des Staats opfern. Sie werden vielmehr das Wohl des Staats aufrichtig wünschen, und es geschehen lassen, wo sich ein glücklicher Zufall statt ihrer einmal thätig erweist. Welche Wirkungen kann man am Ende von Männern erwarten, die sofort an die Spitze eines Verwaltungszweiges gestellt werden, ohne daß sie jemals zuvor in demselben thätig gewesen sind! So diente der neue Seraskier (Kriegsminister) niemals zuvor im Militär. Will es nun der Zufall, daß dieser Mann einem militärischen Charlatan in die Hände fällt, so kann seine Verwaltung nimmermehr eine wohlthätige werden. - Die quiescirten Paschas, Chosrew und Halil, bewohnen ihre Landsitze am Ufer des Bosporus, und leben, der hiesigen Sitte gemäß, sehr eingezogen und ohne ihre Wohnungen zu verlassen.

vorzüglich erhebt eine Partei ächter alter Türken das Haupt, und hat bereits die beiden mächtigsten der Gegner, Chosrew Pascha und Halil Pascha, aus dem Staatsdienst verdrängt und in deren Stellen Männer ihrer eignen Partei eingesetzt. Mehrfache Veränderungen in demselben Sinne unter den Würdenträgern zweiter und dritter Classe stehen gewiß nächstens bevor. Es ist natürlich, daß diese Fremdlinge in ihren höchsten und hohen Stellungen den Türken von altem Schrot und Korn eine unangenehme Erscheinung waren, um so mehr, als man allgemein überzeugt ist, daß Chosrew Pascha in seinen verschiedenen Verwaltungen, namentlich eine Reihe von Jahren als Kriegsminister und seit einem Jahre als Großwessier, für Land und Volk nichts Ersprießliches geleistet hat. Die Unfähigkeit Chosrew Pascha's selbst und seiner Creaturen war gewiß ein wichtiger Grund sie daraus zu entfernen. Vielleicht hat man es vermocht, den jungen Großherrn von jener Unfähigkeit zu überzeugen; vielleicht hat man aber auch nur auf die große Macht Chosrew Pascha's und der Seinigen hingewiesen und dem Herrscher davor Besorgnisse erregt: denn der Fremdling mißbraucht allerdings seine Macht gegen seinen Herrn schon eher, als der in dem Glauben an das ächte Chalifat der Familie Othman geborne und erzogene Osmane. – Inwiefern der Vicekönig von Aegypten, ebenfalls ein Türke von altem Stamm, zur Absetzung Chosrew Pascha's, seines langjährigen Feindes, mitgewirkt habe, läßt sich wohl schwer durchschauen: das bleibt aber gewiß, daß Chosrew Pascha nicht direct durch Mehemed Ali, sondern vielmehr unmittelbar von der bezeichneten mächtigen Partei im Lande selbst gestürzt wurde. Die Sympathien und Relationen dieser Partei mit Mehemed Ali sind vor der Hand noch sehr zweifelhaft. Wahr ist es allerdings, daß Mehemed Ali der einzige Türke ist, zu dem fast alle seine Glaubensgenossen ein großes Vertrauen haben würden, wenn er an die Spitze der Geschäfte gestellt werden könnte: denn sie sagen mit Recht, er sey größer und fähiger als alle ihre übrigen Paschas; aber als langjähriger Feind seines Kaisers und Herrn besitzt er doch die Zuneigung seiner Glaubensgenossen nur in geringem Grade. Man wird sich erinnern, daß Mehemed Ali im vorigen Jahre als Friedensbedingung unter Anderm die Absetzung Chosrew Pascha's verlangte; man wird glauben, daß, nachdem die Absetzung jetzt erfolgt, der Frieden nahe sey. Ich bin nicht dieser Meinung: die Beibehaltung Chosrew Pascha's als Großwessier war für Mehemed Ali schon längst kein Anstoß mehr. Auch scheint es, als würde die hohe Pforte, wenn sie sich jetzt zu einem Frieden ohne Vermittlung der europäischen Großmächte entschließen wollte, eine zu große Schwäche ihrem Feinde gegenüber an den Tag legen. Wenn also das Friedenswerk durch Chosrew Pascha's Entfernung seinem Ziele näher gerückt seyn sollte, so ist dieß wohl nur insofern der Fall, als jetzt zwischen den hiesigen Machthabern und dem Vicekönig kein persönlicher Haß mehr obwaltet. Durch die Quiescirung Chosrew und Halil Pascha's sind also zwei Männer aus dem Triumvirat beseitigt (der dritte ist Reschid Pascha, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten), welches Sultan Mahmud auf seinem Sterbebette gleichsam als Vormundschaft für seinen jungen Sohn und Nachfolger eingesetzt hatte. Viele werden es vielleicht bedauern, daß der junge Kaiser (er hat höchstens 18 Jahre) die Verordnungen seines Vaters so bald aufgehoben hat. Ich kann diesem Bedauern nicht beistimmen, sondern schließe mich der Meinung der Türken von altem Stamm an, weil auch ich nicht finden kann, daß dieß Triumvirat irgend wohlthätig gewirkt habe. Außerdem ist die Meinung ziemlich verbreitet, daß keineswegs Sultan Mahmud jenes Triumvirat eingesetzt habe, sondern daß Chosrew Pascha aus eigner Machtvollkommenheit sich selbst zum Großwessier (ein damals nicht besetzter Posten) und seinen Adoptivsohn Halil Pascha (der, obgleich Schwiegersohn Sultan Mahmuds, dennoch seit Jahr und Tag bei demselben in Ungnade und außer Function gewesen war) zum Seraskier ernannt habe. Diesen beiden hat sich denn Reschid Pascha angeschlossen. Ich kann mich nicht überzeugen, daß die Veränderungen im Innern der Verwaltung seit zehn Monaten, deren Seele Reschid Pascha ist, für das Land segensreich seyn werden; doch wird Reschid Pascha in seinem Posten verbleiben, denn er ist ein mächtiges Mitglied der jetzt siegreichen Partei. Die Freunde der Türkei werden aus dem Umstand, daß gegenwärtig das Staatsruder aus der Hand einer unfähigen Partei in die einer andern übergegangen ist, vielleicht die Hoffnung schöpfen, daß die türkische Regierung nun einen rüstigen Schritt vorwärts thun werde; sie werden sich täuschen. Man wird vergeblich erwarten, daß aus dieser Nation ein Regenerator seines Volks, ein wahrhaft großer Mann hervorgehe. Das ist für jetzt ganz unmöglich, denn zu einem Mann, befähigt Volk und Staat zu lenken, würden nicht allein ausgezeichnete angeborne intellectuelle Eigenschaften erforderlich seyn, sondern diese müßten auch noch durch große wissenschaftliche Bildung getragen werden. Letztere ist aber in einem Lande, wo die Wissenschaft allgemein so darnieder liegt, beinahe unmöglich. Zwar hege ich nicht den fatalistischen Glauben, als müßte die Türkei nothwendig und unaufhaltsamen Schrittes ihrem Untergang entgegengehen; mir scheint vielmehr noch immer die Möglichkeit vorhanden, daß aus den Türken dereinst ein tüchtiges Volk werde, aber aus sich selbst werden sie einen Umschwung zum Guten schwerlich bewirken. Nur wenn europäische Intelligenz ihnen aufrichtig zu Hülfe kommen wollte; wenn sie sich nöthigenfalls mit Gewalt der Waffen aufdrängte, könnte allerdings das Volk allmählich regenerirt werden. Ob man dieses Mittel anwenden wird, anwenden kann, ist allerdings sehr zu bezweifeln. Die gegenwärtigen Machthaber werden also activ nicht mehr Gutes bewirken als ihre Vorgänger, aber sie werden sich dadurch vortheilhaft von jenen unterscheiden, daß sie nicht ihren Privatinteressen das Wohl des Staats opfern. Sie werden vielmehr das Wohl des Staats aufrichtig wünschen, und es geschehen lassen, wo sich ein glücklicher Zufall statt ihrer einmal thätig erweist. Welche Wirkungen kann man am Ende von Männern erwarten, die sofort an die Spitze eines Verwaltungszweiges gestellt werden, ohne daß sie jemals zuvor in demselben thätig gewesen sind! So diente der neue Seraskier (Kriegsminister) niemals zuvor im Militär. Will es nun der Zufall, daß dieser Mann einem militärischen Charlatan in die Hände fällt, so kann seine Verwaltung nimmermehr eine wohlthätige werden. – Die quiescirten Paschas, Chosrew und Halil, bewohnen ihre Landsitze am Ufer des Bosporus, und leben, der hiesigen Sitte gemäß, sehr eingezogen und ohne ihre Wohnungen zu verlassen.

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vorzüglich erhebt eine Partei ächter alter Türken das Haupt, und hat bereits die beiden mächtigsten der Gegner, Chosrew Pascha und Halil Pascha, aus dem Staatsdienst verdrängt und in deren Stellen Männer ihrer eignen Partei eingesetzt. Mehrfache Veränderungen in demselben Sinne unter den Würdenträgern zweiter und dritter Classe stehen gewiß nächstens bevor. Es ist natürlich, daß diese Fremdlinge in ihren höchsten und hohen Stellungen den Türken von altem Schrot und Korn eine unangenehme Erscheinung waren, um so mehr, als man allgemein überzeugt ist, daß Chosrew Pascha in seinen verschiedenen Verwaltungen, namentlich eine Reihe von Jahren als Kriegsminister und seit einem Jahre als Großwessier, für Land und Volk nichts Ersprießliches geleistet hat. Die Unfähigkeit Chosrew Pascha's selbst und seiner Creaturen war gewiß ein wichtiger Grund sie daraus zu entfernen. Vielleicht hat man es vermocht, den jungen Großherrn von jener Unfähigkeit zu überzeugen; vielleicht hat man aber auch nur auf die große Macht Chosrew Pascha's und der Seinigen hingewiesen und dem Herrscher davor Besorgnisse erregt: denn der Fremdling mißbraucht allerdings seine Macht gegen seinen Herrn schon eher, als der in dem Glauben an das ächte Chalifat der Familie Othman geborne und erzogene Osmane. &#x2013; Inwiefern der Vicekönig von Aegypten, ebenfalls ein Türke von altem Stamm, zur Absetzung Chosrew Pascha's, seines langjährigen Feindes, mitgewirkt habe, läßt sich wohl schwer durchschauen: das bleibt aber gewiß, daß Chosrew Pascha nicht direct durch Mehemed Ali, sondern vielmehr unmittelbar von der bezeichneten mächtigen Partei im Lande selbst gestürzt wurde. Die Sympathien und Relationen dieser Partei mit Mehemed Ali sind vor der Hand noch sehr zweifelhaft. Wahr ist es allerdings, daß Mehemed Ali der einzige Türke ist, zu dem fast alle seine Glaubensgenossen ein großes Vertrauen haben würden, wenn er an die Spitze der Geschäfte gestellt werden könnte: denn sie sagen mit Recht, er sey größer und fähiger als alle ihre übrigen Paschas; aber als langjähriger Feind seines Kaisers und Herrn besitzt er doch die <hi rendition="#g">Zuneigung</hi> seiner Glaubensgenossen nur in geringem Grade. Man wird sich erinnern, daß Mehemed Ali im vorigen Jahre als Friedensbedingung unter Anderm die Absetzung Chosrew Pascha's verlangte; man wird glauben, daß, nachdem die Absetzung jetzt erfolgt, der Frieden nahe sey. Ich bin nicht dieser Meinung: die Beibehaltung Chosrew Pascha's als Großwessier war für Mehemed Ali schon längst kein Anstoß mehr. Auch scheint es, als würde die hohe Pforte, wenn sie sich jetzt zu einem Frieden ohne Vermittlung der europäischen Großmächte entschließen wollte, eine zu große Schwäche ihrem Feinde gegenüber an den Tag legen. Wenn also das Friedenswerk durch Chosrew Pascha's Entfernung seinem Ziele näher gerückt seyn sollte, so ist dieß wohl nur insofern der Fall, als jetzt zwischen den hiesigen Machthabern und dem Vicekönig kein persönlicher Haß mehr obwaltet. Durch die Quiescirung Chosrew und Halil Pascha's sind also zwei Männer aus dem Triumvirat beseitigt (der dritte ist Reschid Pascha, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten), welches Sultan Mahmud auf seinem Sterbebette gleichsam als Vormundschaft für seinen jungen Sohn und Nachfolger eingesetzt hatte. Viele werden es vielleicht bedauern, daß der junge Kaiser (er hat höchstens 18 Jahre) die Verordnungen seines Vaters so bald aufgehoben hat. Ich kann diesem Bedauern nicht beistimmen, sondern schließe mich der Meinung der Türken von altem Stamm an, weil auch ich nicht finden kann, daß dieß Triumvirat irgend wohlthätig gewirkt habe. Außerdem ist die Meinung ziemlich verbreitet, daß keineswegs Sultan Mahmud jenes Triumvirat eingesetzt habe, sondern daß Chosrew Pascha aus eigner Machtvollkommenheit sich selbst zum Großwessier (ein damals nicht besetzter Posten) und seinen Adoptivsohn Halil Pascha (der, obgleich Schwiegersohn Sultan Mahmuds, dennoch seit Jahr und Tag bei demselben in Ungnade und außer Function gewesen war) zum Seraskier ernannt habe. Diesen beiden hat sich denn Reschid Pascha angeschlossen. Ich kann mich nicht überzeugen, daß die Veränderungen im Innern der Verwaltung seit zehn Monaten, deren Seele Reschid Pascha ist, für das Land segensreich seyn werden; doch wird Reschid Pascha in seinem Posten verbleiben, denn er ist ein mächtiges Mitglied der jetzt siegreichen Partei. Die Freunde der Türkei werden aus dem Umstand, daß gegenwärtig das Staatsruder aus der Hand einer unfähigen Partei in die einer andern übergegangen ist, vielleicht die Hoffnung schöpfen, daß die türkische Regierung nun einen rüstigen Schritt vorwärts thun werde; sie werden sich täuschen. Man wird vergeblich erwarten, daß aus dieser Nation ein Regenerator seines Volks, ein wahrhaft großer Mann hervorgehe. Das ist für jetzt ganz unmöglich, denn zu einem Mann, befähigt Volk und Staat zu lenken, würden nicht allein ausgezeichnete angeborne intellectuelle Eigenschaften erforderlich seyn, sondern diese müßten auch noch durch große wissenschaftliche Bildung getragen werden. Letztere ist aber in einem Lande, wo die Wissenschaft allgemein so darnieder liegt, beinahe unmöglich. Zwar hege ich nicht den fatalistischen Glauben, als müßte die Türkei nothwendig und unaufhaltsamen Schrittes ihrem Untergang entgegengehen; mir scheint vielmehr noch immer die Möglichkeit vorhanden, daß aus den Türken dereinst ein tüchtiges Volk werde, aber aus sich selbst werden sie einen Umschwung zum Guten schwerlich bewirken. Nur wenn europäische Intelligenz ihnen aufrichtig zu Hülfe kommen wollte; wenn sie sich nöthigenfalls mit Gewalt der Waffen aufdrängte, könnte allerdings das Volk allmählich regenerirt werden. Ob man dieses Mittel anwenden wird, anwenden kann, ist allerdings sehr zu bezweifeln. Die gegenwärtigen Machthaber werden also activ nicht mehr Gutes bewirken als ihre Vorgänger, aber sie werden sich dadurch vortheilhaft von jenen unterscheiden, daß sie nicht ihren Privatinteressen das Wohl des Staats opfern. Sie werden vielmehr das Wohl des Staats aufrichtig wünschen, und es geschehen lassen, wo sich ein glücklicher Zufall statt ihrer einmal thätig erweist. Welche Wirkungen kann man am Ende von Männern erwarten, die sofort an die Spitze eines Verwaltungszweiges gestellt werden, ohne daß sie jemals zuvor in demselben thätig gewesen sind! So diente der neue Seraskier (Kriegsminister) niemals zuvor im Militär. Will es nun der Zufall, daß dieser Mann einem militärischen Charlatan in die Hände fällt, so kann seine Verwaltung nimmermehr eine wohlthätige werden. &#x2013; Die quiescirten Paschas, Chosrew und Halil, bewohnen ihre Landsitze am Ufer des Bosporus, und leben, der hiesigen Sitte gemäß, sehr eingezogen und ohne ihre Wohnungen zu verlassen.</p><lb/>
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[1432/0008] vorzüglich erhebt eine Partei ächter alter Türken das Haupt, und hat bereits die beiden mächtigsten der Gegner, Chosrew Pascha und Halil Pascha, aus dem Staatsdienst verdrängt und in deren Stellen Männer ihrer eignen Partei eingesetzt. Mehrfache Veränderungen in demselben Sinne unter den Würdenträgern zweiter und dritter Classe stehen gewiß nächstens bevor. Es ist natürlich, daß diese Fremdlinge in ihren höchsten und hohen Stellungen den Türken von altem Schrot und Korn eine unangenehme Erscheinung waren, um so mehr, als man allgemein überzeugt ist, daß Chosrew Pascha in seinen verschiedenen Verwaltungen, namentlich eine Reihe von Jahren als Kriegsminister und seit einem Jahre als Großwessier, für Land und Volk nichts Ersprießliches geleistet hat. Die Unfähigkeit Chosrew Pascha's selbst und seiner Creaturen war gewiß ein wichtiger Grund sie daraus zu entfernen. Vielleicht hat man es vermocht, den jungen Großherrn von jener Unfähigkeit zu überzeugen; vielleicht hat man aber auch nur auf die große Macht Chosrew Pascha's und der Seinigen hingewiesen und dem Herrscher davor Besorgnisse erregt: denn der Fremdling mißbraucht allerdings seine Macht gegen seinen Herrn schon eher, als der in dem Glauben an das ächte Chalifat der Familie Othman geborne und erzogene Osmane. – Inwiefern der Vicekönig von Aegypten, ebenfalls ein Türke von altem Stamm, zur Absetzung Chosrew Pascha's, seines langjährigen Feindes, mitgewirkt habe, läßt sich wohl schwer durchschauen: das bleibt aber gewiß, daß Chosrew Pascha nicht direct durch Mehemed Ali, sondern vielmehr unmittelbar von der bezeichneten mächtigen Partei im Lande selbst gestürzt wurde. Die Sympathien und Relationen dieser Partei mit Mehemed Ali sind vor der Hand noch sehr zweifelhaft. Wahr ist es allerdings, daß Mehemed Ali der einzige Türke ist, zu dem fast alle seine Glaubensgenossen ein großes Vertrauen haben würden, wenn er an die Spitze der Geschäfte gestellt werden könnte: denn sie sagen mit Recht, er sey größer und fähiger als alle ihre übrigen Paschas; aber als langjähriger Feind seines Kaisers und Herrn besitzt er doch die Zuneigung seiner Glaubensgenossen nur in geringem Grade. Man wird sich erinnern, daß Mehemed Ali im vorigen Jahre als Friedensbedingung unter Anderm die Absetzung Chosrew Pascha's verlangte; man wird glauben, daß, nachdem die Absetzung jetzt erfolgt, der Frieden nahe sey. Ich bin nicht dieser Meinung: die Beibehaltung Chosrew Pascha's als Großwessier war für Mehemed Ali schon längst kein Anstoß mehr. Auch scheint es, als würde die hohe Pforte, wenn sie sich jetzt zu einem Frieden ohne Vermittlung der europäischen Großmächte entschließen wollte, eine zu große Schwäche ihrem Feinde gegenüber an den Tag legen. Wenn also das Friedenswerk durch Chosrew Pascha's Entfernung seinem Ziele näher gerückt seyn sollte, so ist dieß wohl nur insofern der Fall, als jetzt zwischen den hiesigen Machthabern und dem Vicekönig kein persönlicher Haß mehr obwaltet. Durch die Quiescirung Chosrew und Halil Pascha's sind also zwei Männer aus dem Triumvirat beseitigt (der dritte ist Reschid Pascha, der Minister der auswärtigen Angelegenheiten), welches Sultan Mahmud auf seinem Sterbebette gleichsam als Vormundschaft für seinen jungen Sohn und Nachfolger eingesetzt hatte. Viele werden es vielleicht bedauern, daß der junge Kaiser (er hat höchstens 18 Jahre) die Verordnungen seines Vaters so bald aufgehoben hat. Ich kann diesem Bedauern nicht beistimmen, sondern schließe mich der Meinung der Türken von altem Stamm an, weil auch ich nicht finden kann, daß dieß Triumvirat irgend wohlthätig gewirkt habe. Außerdem ist die Meinung ziemlich verbreitet, daß keineswegs Sultan Mahmud jenes Triumvirat eingesetzt habe, sondern daß Chosrew Pascha aus eigner Machtvollkommenheit sich selbst zum Großwessier (ein damals nicht besetzter Posten) und seinen Adoptivsohn Halil Pascha (der, obgleich Schwiegersohn Sultan Mahmuds, dennoch seit Jahr und Tag bei demselben in Ungnade und außer Function gewesen war) zum Seraskier ernannt habe. Diesen beiden hat sich denn Reschid Pascha angeschlossen. Ich kann mich nicht überzeugen, daß die Veränderungen im Innern der Verwaltung seit zehn Monaten, deren Seele Reschid Pascha ist, für das Land segensreich seyn werden; doch wird Reschid Pascha in seinem Posten verbleiben, denn er ist ein mächtiges Mitglied der jetzt siegreichen Partei. Die Freunde der Türkei werden aus dem Umstand, daß gegenwärtig das Staatsruder aus der Hand einer unfähigen Partei in die einer andern übergegangen ist, vielleicht die Hoffnung schöpfen, daß die türkische Regierung nun einen rüstigen Schritt vorwärts thun werde; sie werden sich täuschen. Man wird vergeblich erwarten, daß aus dieser Nation ein Regenerator seines Volks, ein wahrhaft großer Mann hervorgehe. Das ist für jetzt ganz unmöglich, denn zu einem Mann, befähigt Volk und Staat zu lenken, würden nicht allein ausgezeichnete angeborne intellectuelle Eigenschaften erforderlich seyn, sondern diese müßten auch noch durch große wissenschaftliche Bildung getragen werden. Letztere ist aber in einem Lande, wo die Wissenschaft allgemein so darnieder liegt, beinahe unmöglich. Zwar hege ich nicht den fatalistischen Glauben, als müßte die Türkei nothwendig und unaufhaltsamen Schrittes ihrem Untergang entgegengehen; mir scheint vielmehr noch immer die Möglichkeit vorhanden, daß aus den Türken dereinst ein tüchtiges Volk werde, aber aus sich selbst werden sie einen Umschwung zum Guten schwerlich bewirken. Nur wenn europäische Intelligenz ihnen aufrichtig zu Hülfe kommen wollte; wenn sie sich nöthigenfalls mit Gewalt der Waffen aufdrängte, könnte allerdings das Volk allmählich regenerirt werden. Ob man dieses Mittel anwenden wird, anwenden kann, ist allerdings sehr zu bezweifeln. Die gegenwärtigen Machthaber werden also activ nicht mehr Gutes bewirken als ihre Vorgänger, aber sie werden sich dadurch vortheilhaft von jenen unterscheiden, daß sie nicht ihren Privatinteressen das Wohl des Staats opfern. Sie werden vielmehr das Wohl des Staats aufrichtig wünschen, und es geschehen lassen, wo sich ein glücklicher Zufall statt ihrer einmal thätig erweist. Welche Wirkungen kann man am Ende von Männern erwarten, die sofort an die Spitze eines Verwaltungszweiges gestellt werden, ohne daß sie jemals zuvor in demselben thätig gewesen sind! So diente der neue Seraskier (Kriegsminister) niemals zuvor im Militär. Will es nun der Zufall, daß dieser Mann einem militärischen Charlatan in die Hände fällt, so kann seine Verwaltung nimmermehr eine wohlthätige werden. – Die quiescirten Paschas, Chosrew und Halil, bewohnen ihre Landsitze am Ufer des Bosporus, und leben, der hiesigen Sitte gemäß, sehr eingezogen und ohne ihre Wohnungen zu verlassen.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 179. Augsburg, 27. Juni 1840, S. 1432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_179_18400627/8>, abgerufen am 30.04.2024.