Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.den Wein des Jacobiners Villate schmecken, welcher Villate Geschworner beim Revolutionstribunal ist und ohne Unterschied jeden zur Guillotine verurtheilt, den ihm Fouquier Taineville zusendet. Bürger Villate, der sich jetzt Sempronius Gracchus zu nennen beliebt, war früher ein hungerleidender Seminarist, wofür er sich jetzt entschädigt. Er hat stets Appetit und Durst, selbst ungeheueren Blutdurst nicht ausgenommen. Vor Kurzem sagte er, als er zwanzig Menschen auf einmal zur Guillotine sandte: Die Angeklagten sind doppelt überführt, sie haben nicht nur eine Gefängnißverschwörung angezettelt, sondern auch eine gegen meinen Magen. Es ist bereits Mittag und ich habe durch sie nicht einmal zum Frühstück gelangen können. Lasset sie dafür in den Sack niesen! Ha! -- Sieh hin, das ist er, der jetzt neben Villate an das Fenster des Pavillons tritt und mit freudestrahlendem Blick auf diese gedrängt harrende Menge herabschaut! Eine stolze Freude, zu denken, daß sie auf ihn harrt. Sieh -- er trinkt -- rothen Wein! Ob ihn nicht schaudert? flüsterte leise fragend der Eine. O diese Art hat die Schauder und Regungen der Menschlichkeit längst überwunden. Er trägt eine grüne Brille, flüsterte jener wieder. Farbe der Hoffnung auf die Dictatur. -- Das Frühstück bei Sempronius Gracchus schien lange zu dauern, drunten harrte im Brande der Frühlingssonne des heißen Junitages die Menge, theils geduldig, theils auch ungeduldig. Die große Uhr im Pavillon der Einheit (früher d'Horloge) schlug zwölf -- sie schlug halb eins -- man sah jenen Mann nicht mehr im Fenster des Florapavillons; Andere waren an seine Stelle getreten, die Männer des Revolutionstribunals, hohe schwarze Hüte mit schwarzen Federn, schwarze Bekleidung, schwarze Talare, darüber breite ausgezackte und ausgenähte Kragen, farbige Bänder um die Brust mit metallenen Abzeichen, wie Brüder geheimer Ordensbündnisse -- alle Brüder eines Todesbundes, der Menschenleben hinmordete, wie des Mähers Sense die Wiesenblumen in Schwaden dahinstreckt. Es schlug ein Uhr -- immer noch harrte die Menge, die Mitglieder des Convents wurden unruhig, einer fehlte, der vorhin doch da gewesen, der Angeber, der Anordner, die Seele des Festes -- er war nicht mehr da; dort im Fenster lag von den Wein des Jacobiners Villate schmecken, welcher Villate Geschworner beim Revolutionstribunal ist und ohne Unterschied jeden zur Guillotine verurtheilt, den ihm Fouquier Taineville zusendet. Bürger Villate, der sich jetzt Sempronius Gracchus zu nennen beliebt, war früher ein hungerleidender Seminarist, wofür er sich jetzt entschädigt. Er hat stets Appetit und Durst, selbst ungeheueren Blutdurst nicht ausgenommen. Vor Kurzem sagte er, als er zwanzig Menschen auf einmal zur Guillotine sandte: Die Angeklagten sind doppelt überführt, sie haben nicht nur eine Gefängnißverschwörung angezettelt, sondern auch eine gegen meinen Magen. Es ist bereits Mittag und ich habe durch sie nicht einmal zum Frühstück gelangen können. Lasset sie dafür in den Sack niesen! Ha! — Sieh hin, das ist er, der jetzt neben Villate an das Fenster des Pavillons tritt und mit freudestrahlendem Blick auf diese gedrängt harrende Menge herabschaut! Eine stolze Freude, zu denken, daß sie auf ihn harrt. Sieh — er trinkt — rothen Wein! Ob ihn nicht schaudert? flüsterte leise fragend der Eine. O diese Art hat die Schauder und Regungen der Menschlichkeit längst überwunden. Er trägt eine grüne Brille, flüsterte jener wieder. Farbe der Hoffnung auf die Dictatur. — Das Frühstück bei Sempronius Gracchus schien lange zu dauern, drunten harrte im Brande der Frühlingssonne des heißen Junitages die Menge, theils geduldig, theils auch ungeduldig. Die große Uhr im Pavillon der Einheit (früher d’Horloge) schlug zwölf — sie schlug halb eins — man sah jenen Mann nicht mehr im Fenster des Florapavillons; Andere waren an seine Stelle getreten, die Männer des Revolutionstribunals, hohe schwarze Hüte mit schwarzen Federn, schwarze Bekleidung, schwarze Talare, darüber breite ausgezackte und ausgenähte Kragen, farbige Bänder um die Brust mit metallenen Abzeichen, wie Brüder geheimer Ordensbündnisse — alle Brüder eines Todesbundes, der Menschenleben hinmordete, wie des Mähers Sense die Wiesenblumen in Schwaden dahinstreckt. Es schlug ein Uhr — immer noch harrte die Menge, die Mitglieder des Convents wurden unruhig, einer fehlte, der vorhin doch da gewesen, der Angeber, der Anordner, die Seele des Festes — er war nicht mehr da; dort im Fenster lag von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0134" n="130"/> den Wein des Jacobiners Villate schmecken, welcher Villate Geschworner beim Revolutionstribunal ist und ohne Unterschied jeden zur Guillotine verurtheilt, den ihm Fouquier Taineville zusendet. Bürger Villate, der sich jetzt Sempronius Gracchus zu nennen beliebt, war früher ein hungerleidender Seminarist, wofür er sich jetzt entschädigt. Er hat stets Appetit und Durst, selbst ungeheueren Blutdurst nicht ausgenommen. Vor Kurzem sagte er, als er zwanzig Menschen auf einmal zur Guillotine sandte: Die Angeklagten sind doppelt überführt, sie haben nicht nur eine Gefängnißverschwörung angezettelt, sondern auch eine gegen meinen Magen. Es ist bereits Mittag und ich habe durch sie nicht einmal zum Frühstück gelangen können. Lasset sie dafür in den Sack niesen!</p> <p>Ha! — Sieh hin, das ist er, der jetzt neben Villate an das Fenster des Pavillons tritt und mit freudestrahlendem Blick auf diese gedrängt harrende Menge herabschaut! Eine stolze Freude, zu denken, daß sie auf ihn harrt. Sieh — er trinkt — rothen Wein!</p> <p>Ob ihn nicht schaudert? flüsterte leise fragend der Eine.</p> <p>O diese Art hat die Schauder und Regungen der Menschlichkeit längst überwunden.</p> <p>Er trägt eine grüne Brille, flüsterte jener wieder.</p> <p>Farbe der Hoffnung auf die Dictatur. —</p> <p>Das Frühstück bei Sempronius Gracchus schien lange zu dauern, drunten harrte im Brande der Frühlingssonne des heißen Junitages die Menge, theils geduldig, theils auch ungeduldig. Die große Uhr im Pavillon der Einheit (früher d’Horloge) schlug zwölf — sie schlug halb eins — man sah jenen Mann nicht mehr im Fenster des Florapavillons; Andere waren an seine Stelle getreten, die Männer des Revolutionstribunals, hohe schwarze Hüte mit schwarzen Federn, schwarze Bekleidung, schwarze Talare, darüber breite ausgezackte und ausgenähte Kragen, farbige Bänder um die Brust mit metallenen Abzeichen, wie Brüder geheimer Ordensbündnisse — alle Brüder eines Todesbundes, der Menschenleben hinmordete, wie des Mähers Sense die Wiesenblumen in Schwaden dahinstreckt. Es schlug ein Uhr — immer noch harrte die Menge, die Mitglieder des Convents wurden unruhig, einer fehlte, der vorhin doch da gewesen, der Angeber, der Anordner, die Seele des Festes — er war nicht mehr da; dort im Fenster lag von </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [130/0134]
den Wein des Jacobiners Villate schmecken, welcher Villate Geschworner beim Revolutionstribunal ist und ohne Unterschied jeden zur Guillotine verurtheilt, den ihm Fouquier Taineville zusendet. Bürger Villate, der sich jetzt Sempronius Gracchus zu nennen beliebt, war früher ein hungerleidender Seminarist, wofür er sich jetzt entschädigt. Er hat stets Appetit und Durst, selbst ungeheueren Blutdurst nicht ausgenommen. Vor Kurzem sagte er, als er zwanzig Menschen auf einmal zur Guillotine sandte: Die Angeklagten sind doppelt überführt, sie haben nicht nur eine Gefängnißverschwörung angezettelt, sondern auch eine gegen meinen Magen. Es ist bereits Mittag und ich habe durch sie nicht einmal zum Frühstück gelangen können. Lasset sie dafür in den Sack niesen!
Ha! — Sieh hin, das ist er, der jetzt neben Villate an das Fenster des Pavillons tritt und mit freudestrahlendem Blick auf diese gedrängt harrende Menge herabschaut! Eine stolze Freude, zu denken, daß sie auf ihn harrt. Sieh — er trinkt — rothen Wein!
Ob ihn nicht schaudert? flüsterte leise fragend der Eine.
O diese Art hat die Schauder und Regungen der Menschlichkeit längst überwunden.
Er trägt eine grüne Brille, flüsterte jener wieder.
Farbe der Hoffnung auf die Dictatur. —
Das Frühstück bei Sempronius Gracchus schien lange zu dauern, drunten harrte im Brande der Frühlingssonne des heißen Junitages die Menge, theils geduldig, theils auch ungeduldig. Die große Uhr im Pavillon der Einheit (früher d’Horloge) schlug zwölf — sie schlug halb eins — man sah jenen Mann nicht mehr im Fenster des Florapavillons; Andere waren an seine Stelle getreten, die Männer des Revolutionstribunals, hohe schwarze Hüte mit schwarzen Federn, schwarze Bekleidung, schwarze Talare, darüber breite ausgezackte und ausgenähte Kragen, farbige Bänder um die Brust mit metallenen Abzeichen, wie Brüder geheimer Ordensbündnisse — alle Brüder eines Todesbundes, der Menschenleben hinmordete, wie des Mähers Sense die Wiesenblumen in Schwaden dahinstreckt. Es schlug ein Uhr — immer noch harrte die Menge, die Mitglieder des Convents wurden unruhig, einer fehlte, der vorhin doch da gewesen, der Angeber, der Anordner, die Seele des Festes — er war nicht mehr da; dort im Fenster lag von
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/134>, abgerufen am 14.06.2024. |