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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864.

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Die japanische Staatsverfassung.
unsere Kenntniss dieses Systems auch heute sehr unvollständig: die
Jesuiten, unter deren Augen sich seine Anfänge entwickelten und
die umständliche Berichte von allen äusseren Ereignissen geben,
sagen nur wenig über die innere Einrichtung des Reiches. Seit der
Ausweisung der Fremden hüllte sich die Regierung grundsätzlich in
tiefes Geheimniss, und auch jetzt ist es schwer etwas Zuverlässiges
zu erfahren. Die besten Nachrichten verdankt man noch immer den
auf Desima eingeschlossenen Beamten der holländischen Factorei.

Der Abgott der Japaner ist die Thatkraft. Kämpfer hat
durchaus Recht, wenn er die Regierungsform einen ganz unein-
geschränkten, ungebundenen Despotismus nennt. Die Kuanbak's
in ihrer Blüthezeit, Yori-tomo, die Regenten von Kamakura, die
Siogun's von Miako, Nobunanga, Taiko-sama, Jyeyas und seine
Nachfolger sind vom Volke wie von den Grossen als unbedingte
Gebieter anerkannt worden, so lange ihre Kraft den Verhältnissen
gewachsen war, und haben sogar die Mikado's nach Willkühr ein-
und abgesetzt. Es gab ausser dem höchsten Range des Mikado
und dem daraus hergeleiteten Privilegium der Titelverleihung that-
sächlich kein den Siogun beschränkendes Recht; sein Willen war
das höchste Gesetz, denn die Hoheitsrechte der Grossen sind nur
nominell, so lange der Siogun die Kraft hat, den von Jyeyas
eingerichteten Organismus in Gang zu erhalten und zu handhaben:
standen sie doch unter beständiger Controlle, und mussten jeden
Augenblick gewärtig sein von der mächtigen Hand ihres Oberherrn
erdrückt zu werden 105). Darüber kann nach den vorhandenen Zeug-
nissen kein Zweifel sein. Die Daimio's regieren ihre Territorien
als absolute Souveräne, sind aber dem Siogun, der im Namen des
Mikado herrscht, für Alles was dort vorgeht verantwortlich; er
lässt sie durch seine Aufpasser bewachen und hat die Macht sie zu
bestrafen, zu vernichten. Ihr Recht der unumschränkten Gewalt

105) Caron, welcher unter den Niederländern des siebzehnten Jahrhunderts viel-
leicht die genaueste Kenntniss der japanischen Zustände hatte, sagt vom Siogun:
"Dero Majestät von Japan wird getituliret Kaiser, weil Könige und Fürsten unter
seinem Gehorsam sind; und er ein solcher Herr, der ganz freie Gewalt hat; als
eigenthümlicher Herr über das ganze Land und hat die Macht (gleichwie zu meiner
Zeit etlich mal beschehen ist) die grösten Könige und Herren, bisweilen um geringer
Ursachen und Missethaten halben, aus ihren Ländern ins Elend zu vertreiben, auf
Inseln zu bannen, und mit dem Tode zu straffen, ihre Länder, Schätze, Reichthümer
und Einkommen anderen, die es nach seinem Urtheil besser verdienen zu schenken."
Fr. Caron's Wahrhaftige Beschreibung u. s. w. deutsch von Merklein. Nürnberg 1672.

Die japanische Staatsverfassung.
unsere Kenntniss dieses Systems auch heute sehr unvollständig: die
Jesuiten, unter deren Augen sich seine Anfänge entwickelten und
die umständliche Berichte von allen äusseren Ereignissen geben,
sagen nur wenig über die innere Einrichtung des Reiches. Seit der
Ausweisung der Fremden hüllte sich die Regierung grundsätzlich in
tiefes Geheimniss, und auch jetzt ist es schwer etwas Zuverlässiges
zu erfahren. Die besten Nachrichten verdankt man noch immer den
auf Desima eingeschlossenen Beamten der holländischen Factorei.

Der Abgott der Japaner ist die Thatkraft. Kämpfer hat
durchaus Recht, wenn er die Regierungsform einen ganz unein-
geschränkten, ungebundenen Despotismus nennt. Die Kuanbak’s
in ihrer Blüthezeit, Yori-tomo, die Regenten von Kamakura, die
Siogun’s von Miako, Nobunaṅga, Taïko-sama, Jyeyas und seine
Nachfolger sind vom Volke wie von den Grossen als unbedingte
Gebieter anerkannt worden, so lange ihre Kraft den Verhältnissen
gewachsen war, und haben sogar die Mikado’s nach Willkühr ein-
und abgesetzt. Es gab ausser dem höchsten Range des Mikado
und dem daraus hergeleiteten Privilegium der Titelverleihung that-
sächlich kein den Siogun beschränkendes Recht; sein Willen war
das höchste Gesetz, denn die Hoheitsrechte der Grossen sind nur
nominell, so lange der Siogun die Kraft hat, den von Jyeyas
eingerichteten Organismus in Gang zu erhalten und zu handhaben:
standen sie doch unter beständiger Controlle, und mussten jeden
Augenblick gewärtig sein von der mächtigen Hand ihres Oberherrn
erdrückt zu werden 105). Darüber kann nach den vorhandenen Zeug-
nissen kein Zweifel sein. Die Daïmio’s regieren ihre Territorien
als absolute Souveräne, sind aber dem Siogun, der im Namen des
Mikado herrscht, für Alles was dort vorgeht verantwortlich; er
lässt sie durch seine Aufpasser bewachen und hat die Macht sie zu
bestrafen, zu vernichten. Ihr Recht der unumschränkten Gewalt

105) Caron, welcher unter den Niederländern des siebzehnten Jahrhunderts viel-
leicht die genaueste Kenntniss der japanischen Zustände hatte, sagt vom Siogun:
»Dero Majestät von Japan wird getituliret Kaiser, weil Könige und Fürsten unter
seinem Gehorsam sind; und er ein solcher Herr, der ganz freie Gewalt hat; als
eigenthümlicher Herr über das ganze Land und hat die Macht (gleichwie zu meiner
Zeit etlich mal beschehen ist) die grösten Könige und Herren, bisweilen um geringer
Ursachen und Missethaten halben, aus ihren Ländern ins Elend zu vertreiben, auf
Inseln zu bannen, und mit dem Tode zu straffen, ihre Länder, Schätze, Reichthümer
und Einkommen anderen, die es nach seinem Urtheil besser verdienen zu schenken.«
Fr. Caron’s Wahrhaftige Beschreibung u. s. w. deutsch von Merklein. Nürnberg 1672.
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[107/0137] Die japanische Staatsverfassung. unsere Kenntniss dieses Systems auch heute sehr unvollständig: die Jesuiten, unter deren Augen sich seine Anfänge entwickelten und die umständliche Berichte von allen äusseren Ereignissen geben, sagen nur wenig über die innere Einrichtung des Reiches. Seit der Ausweisung der Fremden hüllte sich die Regierung grundsätzlich in tiefes Geheimniss, und auch jetzt ist es schwer etwas Zuverlässiges zu erfahren. Die besten Nachrichten verdankt man noch immer den auf Desima eingeschlossenen Beamten der holländischen Factorei. Der Abgott der Japaner ist die Thatkraft. Kämpfer hat durchaus Recht, wenn er die Regierungsform einen ganz unein- geschränkten, ungebundenen Despotismus nennt. Die Kuanbak’s in ihrer Blüthezeit, Yori-tomo, die Regenten von Kamakura, die Siogun’s von Miako, Nobunaṅga, Taïko-sama, Jyeyas und seine Nachfolger sind vom Volke wie von den Grossen als unbedingte Gebieter anerkannt worden, so lange ihre Kraft den Verhältnissen gewachsen war, und haben sogar die Mikado’s nach Willkühr ein- und abgesetzt. Es gab ausser dem höchsten Range des Mikado und dem daraus hergeleiteten Privilegium der Titelverleihung that- sächlich kein den Siogun beschränkendes Recht; sein Willen war das höchste Gesetz, denn die Hoheitsrechte der Grossen sind nur nominell, so lange der Siogun die Kraft hat, den von Jyeyas eingerichteten Organismus in Gang zu erhalten und zu handhaben: standen sie doch unter beständiger Controlle, und mussten jeden Augenblick gewärtig sein von der mächtigen Hand ihres Oberherrn erdrückt zu werden 105). Darüber kann nach den vorhandenen Zeug- nissen kein Zweifel sein. Die Daïmio’s regieren ihre Territorien als absolute Souveräne, sind aber dem Siogun, der im Namen des Mikado herrscht, für Alles was dort vorgeht verantwortlich; er lässt sie durch seine Aufpasser bewachen und hat die Macht sie zu bestrafen, zu vernichten. Ihr Recht der unumschränkten Gewalt 105) Caron, welcher unter den Niederländern des siebzehnten Jahrhunderts viel- leicht die genaueste Kenntniss der japanischen Zustände hatte, sagt vom Siogun: »Dero Majestät von Japan wird getituliret Kaiser, weil Könige und Fürsten unter seinem Gehorsam sind; und er ein solcher Herr, der ganz freie Gewalt hat; als eigenthümlicher Herr über das ganze Land und hat die Macht (gleichwie zu meiner Zeit etlich mal beschehen ist) die grösten Könige und Herren, bisweilen um geringer Ursachen und Missethaten halben, aus ihren Ländern ins Elend zu vertreiben, auf Inseln zu bannen, und mit dem Tode zu straffen, ihre Länder, Schätze, Reichthümer und Einkommen anderen, die es nach seinem Urtheil besser verdienen zu schenken.« Fr. Caron’s Wahrhaftige Beschreibung u. s. w. deutsch von Merklein. Nürnberg 1672.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 1. Berlin, 1864, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien01_1864/137>, abgerufen am 30.04.2024.