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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XVI. Weitere Nachforschungen.
-- Anfang Mai 1861 besuchten die Herren Wade und Parkes den
Schauplatz der Hinrichtung und fanden, mit feuchter Erde ge-
mischt, das kurze Haar eines Europäers, welches der Farbe nach
dem des Capitän Brabazon glich, ferner ein Stück seidener Litze,
wie sie in Hong-kong für Uniformen englischer Officiere gefertigt
wird. Ein Landmann, den sie dort sprachen, sah die hauptlosen,
sonst aber unversehrten Leichen; nachher hätten Hunde, die, aus
den zerstörten Dörfern vertrieben, heerdenweise verhungernd herum-
irrten, dieselben zerfleischt; die Reste wären in eine Grube ge-
worfen und leicht mit Erde bedeckt worden.

Im Heere der Alliirten zweifelte schon deshalb Niemand am
Tode der beiden Gefangenen, weil sie auf Lord Elgins Drohung,
den Palast von Pe-kin zu verbrennen, nicht herausgegeben wurden.
Wie alle anderen Gefangenen, so hätten die Chinesen sicher auch
diese lebendig oder todt ausgeliefert. Trotzdem stellte Herr Bruce
auf Veranlassung der englischen Regierung abermals Nachforschun-
gen an: der Prinz von Kun befragte schriftlich San-ko-lin-sin und
Tsen-pao. Ersterer antwortete kurz, dass er alle Gefangenen nach
Pe-kin gesandt habe. Tsen-pao erwiederte ausweichend: wenn
am 21. September europäische Gefangene bei seinem Heere gewesen
seien, so müssten sie in der Verwirrung des Rückzuges entweder
entkommen oder von den Soldaten niedergemacht worden sein;
eine andere Möglichkeit scheine ihm nicht denkbar. -- Der Prinz
von Kun liess damals öffentlich Belohnungen, ja den Mandarinen-
knopf bieten, wenn Jemand beweisende Auskunft über das Schicksal
der Vermissten gäbe; aber Niemand meldete sich.

Nachdem Major Brabazon in Pe-kin alle Mittel erschöpft
hatte, die zu Entdeckung seines Sohnes führen konnten, vertiefte
er sich in den Wahn, dass San-ko-lin-sin ihn bei sich festhalte.
Dieser stand, Rebellen bekämpfend, in San-tun. Major Braba-
zon
suchte sich nun die Erlaubniss der chinesischen Regierung zu
persönlichen Nachforschungen im Heere San-ko-lin-sin's auszu-
wirken, musste jedoch von diesem Vorhaben abstehen, da der Prinz
und Wen-sian die Schwierigkeiten der Reise in die insurgirte Pro-
vinz für unüberwindlich erklärten.

Fesselnde Schilderungen der Tage von Tsan-kia-wan und
Pa-li-kao gab Herr de Meritens, der zweite dolmetschende Secretär
der französischen Gesandtschaft, der im Auftrag des Baron Gros
mit Herrn Parkes nach Tun-tsau ging, am Morgen der Schlacht

XVI. Weitere Nachforschungen.
— Anfang Mai 1861 besuchten die Herren Wade und Parkes den
Schauplatz der Hinrichtung und fanden, mit feuchter Erde ge-
mischt, das kurze Haar eines Europäers, welches der Farbe nach
dem des Capitän Brabazon glich, ferner ein Stück seidener Litze,
wie sie in Hong-kong für Uniformen englischer Officiere gefertigt
wird. Ein Landmann, den sie dort sprachen, sah die hauptlosen,
sonst aber unversehrten Leichen; nachher hätten Hunde, die, aus
den zerstörten Dörfern vertrieben, heerdenweise verhungernd herum-
irrten, dieselben zerfleischt; die Reste wären in eine Grube ge-
worfen und leicht mit Erde bedeckt worden.

Im Heere der Alliirten zweifelte schon deshalb Niemand am
Tode der beiden Gefangenen, weil sie auf Lord Elgins Drohung,
den Palast von Pe-kiṅ zu verbrennen, nicht herausgegeben wurden.
Wie alle anderen Gefangenen, so hätten die Chinesen sicher auch
diese lebendig oder todt ausgeliefert. Trotzdem stellte Herr Bruce
auf Veranlassung der englischen Regierung abermals Nachforschun-
gen an: der Prinz von Kuṅ befragte schriftlich Saṅ-ko-lin-sin und
Tšen-pao. Ersterer antwortete kurz, dass er alle Gefangenen nach
Pe-kiṅ gesandt habe. Tšen-pao erwiederte ausweichend: wenn
am 21. September europäische Gefangene bei seinem Heere gewesen
seien, so müssten sie in der Verwirrung des Rückzuges entweder
entkommen oder von den Soldaten niedergemacht worden sein;
eine andere Möglichkeit scheine ihm nicht denkbar. — Der Prinz
von Kuṅ liess damals öffentlich Belohnungen, ja den Mandarinen-
knopf bieten, wenn Jemand beweisende Auskunft über das Schicksal
der Vermissten gäbe; aber Niemand meldete sich.

Nachdem Major Brabazon in Pe-kiṅ alle Mittel erschöpft
hatte, die zu Entdeckung seines Sohnes führen konnten, vertiefte
er sich in den Wahn, dass Saṅ-ko-lin-sin ihn bei sich festhalte.
Dieser stand, Rebellen bekämpfend, in Šan-tuṅ. Major Braba-
zon
suchte sich nun die Erlaubniss der chinesischen Regierung zu
persönlichen Nachforschungen im Heere Saṅ-ko-lin-sin’s auszu-
wirken, musste jedoch von diesem Vorhaben abstehen, da der Prinz
und Wen-siaṅ die Schwierigkeiten der Reise in die insurgirte Pro-
vinz für unüberwindlich erklärten.

Fesselnde Schilderungen der Tage von Tšaṅ-kia-wan und
Pa-li-kao gab Herr de Méritens, der zweite dolmetschende Secretär
der französischen Gesandtschaft, der im Auftrag des Baron Gros
mit Herrn Parkes nach Tuṅ-tšau ging, am Morgen der Schlacht

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[71/0085] XVI. Weitere Nachforschungen. — Anfang Mai 1861 besuchten die Herren Wade und Parkes den Schauplatz der Hinrichtung und fanden, mit feuchter Erde ge- mischt, das kurze Haar eines Europäers, welches der Farbe nach dem des Capitän Brabazon glich, ferner ein Stück seidener Litze, wie sie in Hong-kong für Uniformen englischer Officiere gefertigt wird. Ein Landmann, den sie dort sprachen, sah die hauptlosen, sonst aber unversehrten Leichen; nachher hätten Hunde, die, aus den zerstörten Dörfern vertrieben, heerdenweise verhungernd herum- irrten, dieselben zerfleischt; die Reste wären in eine Grube ge- worfen und leicht mit Erde bedeckt worden. Im Heere der Alliirten zweifelte schon deshalb Niemand am Tode der beiden Gefangenen, weil sie auf Lord Elgins Drohung, den Palast von Pe-kiṅ zu verbrennen, nicht herausgegeben wurden. Wie alle anderen Gefangenen, so hätten die Chinesen sicher auch diese lebendig oder todt ausgeliefert. Trotzdem stellte Herr Bruce auf Veranlassung der englischen Regierung abermals Nachforschun- gen an: der Prinz von Kuṅ befragte schriftlich Saṅ-ko-lin-sin und Tšen-pao. Ersterer antwortete kurz, dass er alle Gefangenen nach Pe-kiṅ gesandt habe. Tšen-pao erwiederte ausweichend: wenn am 21. September europäische Gefangene bei seinem Heere gewesen seien, so müssten sie in der Verwirrung des Rückzuges entweder entkommen oder von den Soldaten niedergemacht worden sein; eine andere Möglichkeit scheine ihm nicht denkbar. — Der Prinz von Kuṅ liess damals öffentlich Belohnungen, ja den Mandarinen- knopf bieten, wenn Jemand beweisende Auskunft über das Schicksal der Vermissten gäbe; aber Niemand meldete sich. Nachdem Major Brabazon in Pe-kiṅ alle Mittel erschöpft hatte, die zu Entdeckung seines Sohnes führen konnten, vertiefte er sich in den Wahn, dass Saṅ-ko-lin-sin ihn bei sich festhalte. Dieser stand, Rebellen bekämpfend, in Šan-tuṅ. Major Braba- zon suchte sich nun die Erlaubniss der chinesischen Regierung zu persönlichen Nachforschungen im Heere Saṅ-ko-lin-sin’s auszu- wirken, musste jedoch von diesem Vorhaben abstehen, da der Prinz und Wen-siaṅ die Schwierigkeiten der Reise in die insurgirte Pro- vinz für unüberwindlich erklärten. Fesselnde Schilderungen der Tage von Tšaṅ-kia-wan und Pa-li-kao gab Herr de Méritens, der zweite dolmetschende Secretär der französischen Gesandtschaft, der im Auftrag des Baron Gros mit Herrn Parkes nach Tuṅ-tšau ging, am Morgen der Schlacht

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/85>, abgerufen am 30.04.2024.