der Pfarrhelfer von Spiringen im Schächenthal (Tells Heimaths- Thal) liest dort den zahlreich versammelten Sennen die Messe. Gleichen Ursprunges ist das Kirchlein mit dem Kloster "Maria zum Schnee" am Rigi. Dann steckt ganz hinten im Kalfeuserthal des St. Galler Oberlandes die reizend, zwischen zahlreichen Fels¬ sturztrümmern gelegene kleine Kapelle St. Martin, -- und im Martell-Thale (Vintschgau, Tyrol) steht einsam die Kapelle "Maria- Schmelz", ursprünglich für die Ofenknechte des eingegangenen Schmelzwerkes gebaut; jetzt kommt im Sommer allsonntäglich der Kaplan von Thal hierher.
Der originellste Tempel dieser Art ist das "Wildkirchli" im Appenzeller Lande. Eine Felsenhöhle an hoher, senkrechter Berg¬ wand (unter der schönen Ebenalp), in die sich, wäre sie nicht von den Altvätern zu einer Stätte der Gottes-Verehrung geweiht, der Gaisbub mit seiner Herde vor dem Gewittersturme flüchten würde, giebt die Hallen des Gotteshauses ab, -- schlicht, kunstlos, ein Naturgewölbe, wie es aus der Hand der gestaltenden Schöpfung hervorging. Kein Marmoraltar, kein Gebilde von Künstlerhand trägt die geweihten Geräthe; -- ein schlichter Schragen, von des Zimmerers Beil bearbeitet, versieht den Dienst, -- der Altar ist mit einem Teppich verhangen, und neben frisch gepflückten Alpen¬ rosen in den Vasen flackern die Kerzen im Zugwinde gegen die Tiefe der Höhle, das Marterkreuz andampfend, vor dem die Menge in den Staub sinkt. Das "Wildkirchli" ist dem heiligen Michael geweiht, und alljährlich am Schutzengel-Fest hält ein Kapuziner droben Gottesdienst. Da liegt das Volk auf den Knieen, schlägt reuig an die Brust und murmelt seine Gebete. Ob die Einkehr in des Gemüthes Tiefen ihm wohl erschlossen ist? Ob es nach seiner Weise Selbstschau hält in dem Herz-erschütternden, alle Quellen der Seele öffnenden Augenblicke? Das Weihrauchfaß dampft; mechanisch, dienstbeflissen, unberührt von der Gewalt des Gott-geweihten Augenblickes, schwingt es der ministrirende Knabe,
Sennenleben in den Alpen.
der Pfarrhelfer von Spiringen im Schächenthal (Tells Heimaths- Thal) lieſt dort den zahlreich verſammelten Sennen die Meſſe. Gleichen Urſprunges iſt das Kirchlein mit dem Kloſter „Maria zum Schnee“ am Rigi. Dann ſteckt ganz hinten im Kalfeuſerthal des St. Galler Oberlandes die reizend, zwiſchen zahlreichen Fels¬ ſturztrümmern gelegene kleine Kapelle St. Martin, — und im Martell-Thale (Vintſchgau, Tyrol) ſteht einſam die Kapelle „Maria- Schmelz“, urſprünglich für die Ofenknechte des eingegangenen Schmelzwerkes gebaut; jetzt kommt im Sommer allſonntäglich der Kaplan von Thal hierher.
Der originellſte Tempel dieſer Art iſt das „Wildkirchli“ im Appenzeller Lande. Eine Felſenhöhle an hoher, ſenkrechter Berg¬ wand (unter der ſchönen Ebenalp), in die ſich, wäre ſie nicht von den Altvätern zu einer Stätte der Gottes-Verehrung geweiht, der Gaisbub mit ſeiner Herde vor dem Gewitterſturme flüchten würde, giebt die Hallen des Gotteshauſes ab, — ſchlicht, kunſtlos, ein Naturgewölbe, wie es aus der Hand der geſtaltenden Schöpfung hervorging. Kein Marmoraltar, kein Gebilde von Künſtlerhand trägt die geweihten Geräthe; — ein ſchlichter Schragen, von des Zimmerers Beil bearbeitet, verſieht den Dienſt, — der Altar iſt mit einem Teppich verhangen, und neben friſch gepflückten Alpen¬ roſen in den Vaſen flackern die Kerzen im Zugwinde gegen die Tiefe der Höhle, das Marterkreuz andampfend, vor dem die Menge in den Staub ſinkt. Das „Wildkirchli“ iſt dem heiligen Michael geweiht, und alljährlich am Schutzengel-Feſt hält ein Kapuziner droben Gottesdienſt. Da liegt das Volk auf den Knieen, ſchlägt reuig an die Bruſt und murmelt ſeine Gebete. Ob die Einkehr in des Gemüthes Tiefen ihm wohl erſchloſſen iſt? Ob es nach ſeiner Weiſe Selbſtſchau hält in dem Herz-erſchütternden, alle Quellen der Seele öffnenden Augenblicke? Das Weihrauchfaß dampft; mechaniſch, dienſtbefliſſen, unberührt von der Gewalt des Gott-geweihten Augenblickes, ſchwingt es der miniſtrirende Knabe,
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Sennenleben in den Alpen.
der Pfarrhelfer von Spiringen im Schächenthal (Tells Heimaths-
Thal) lieſt dort den zahlreich verſammelten Sennen die Meſſe.
Gleichen Urſprunges iſt das Kirchlein mit dem Kloſter „Maria
zum Schnee“ am Rigi. Dann ſteckt ganz hinten im Kalfeuſerthal
des St. Galler Oberlandes die reizend, zwiſchen zahlreichen Fels¬
ſturztrümmern gelegene kleine Kapelle St. Martin, — und im
Martell-Thale (Vintſchgau, Tyrol) ſteht einſam die Kapelle „Maria-
Schmelz“, urſprünglich für die Ofenknechte des eingegangenen
Schmelzwerkes gebaut; jetzt kommt im Sommer allſonntäglich der
Kaplan von Thal hierher.
Der originellſte Tempel dieſer Art iſt das „Wildkirchli“ im
Appenzeller Lande. Eine Felſenhöhle an hoher, ſenkrechter Berg¬
wand (unter der ſchönen Ebenalp), in die ſich, wäre ſie nicht von
den Altvätern zu einer Stätte der Gottes-Verehrung geweiht, der
Gaisbub mit ſeiner Herde vor dem Gewitterſturme flüchten würde,
giebt die Hallen des Gotteshauſes ab, — ſchlicht, kunſtlos, ein
Naturgewölbe, wie es aus der Hand der geſtaltenden Schöpfung
hervorging. Kein Marmoraltar, kein Gebilde von Künſtlerhand
trägt die geweihten Geräthe; — ein ſchlichter Schragen, von des
Zimmerers Beil bearbeitet, verſieht den Dienſt, — der Altar iſt
mit einem Teppich verhangen, und neben friſch gepflückten Alpen¬
roſen in den Vaſen flackern die Kerzen im Zugwinde gegen die
Tiefe der Höhle, das Marterkreuz andampfend, vor dem die Menge
in den Staub ſinkt. Das „Wildkirchli“ iſt dem heiligen Michael
geweiht, und alljährlich am Schutzengel-Feſt hält ein Kapuziner
droben Gottesdienſt. Da liegt das Volk auf den Knieen, ſchlägt
reuig an die Bruſt und murmelt ſeine Gebete. Ob die Einkehr
in des Gemüthes Tiefen ihm wohl erſchloſſen iſt? Ob es nach
ſeiner Weiſe Selbſtſchau hält in dem Herz-erſchütternden, alle
Quellen der Seele öffnenden Augenblicke? Das Weihrauchfaß
dampft; mechaniſch, dienſtbefliſſen, unberührt von der Gewalt des
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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/384>, abgerufen am 14.06.2024.
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