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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 1. Die Dreitheilung.
Gesetzbuch vorkommenden Nebenstrafen sind dabei nicht in Betracht ge-
zogen worden. In der Kommission der zweiten Kammer gab dieser
Umstand zu umfassenden Erörterungen Anlaß, indem von einer Seite
darauf gedrungen wurde, daß in Beziehung auf die Ehrenstrafen eine
allgemeine Vorschrift aufgenommen werde, welche es ausspreche, daß,
abgesehen von der Art und dem Maaße der Hauptstrafe, jede Handlung,
welche mit dem Verluste der bürgerlichen Ehre oder einzelner bürger-
lichen Ehrenrechte (der politischen Rechte) bedroht ist, unbedingt als ein
Verbrechen, und jede Handlung, welche mit Untersagung der Ausübung
der bürgerlichen Ehrenrechte auf Zeit bedroht ist, unbedingt als ein
Vergehen zu behandeln sei. Zur Unterstützung dieses Vorschlags ward
namentlich angeführt: in dem Verlust oder der Schmälerung der bür-
gerlichen Ehre liege für den ehrenhaften Mann ein größeres Strafübel,
als in den -- vielleicht mäßigen -- Freiheits- oder Geldstrafen. Dieses
Bewußtsein, diese Auffassung müsse die Gesetzgebung kräftigen und ver-
breiten, aber nicht abstumpfen oder schwächen. Das Letztere thue sie
aber, wenigstens scheinbar, wenn sie die Frage, ob eine Handlung zu
den Verbrechen oder zu den Vergehen gehöre, lediglich von der etwas
längeren oder kürzeren Dauer der Freiheitsstrafe abhängig mache, und
dabei den Umstand, ob mit dieser Strafe eine Entziehung oder Schmä-
lerung der bürgerlichen Ehre verbunden sei, als einen gleichgültigen
ganz außer Acht lasse. Zwar sei thatsächlich in dem vorliegenden Ent-
wurf das Princip befolgt, welches man ausgesprochen wünsche; aber
es sei eben nicht einerlei, ob sich etwas als die im Gesetzbuch befolgte
Regel oder als einen leitenden Grundsatz hinstelle, zu dem sich der Ge-
setzgeber ausdrücklich bekannt habe. Von besonderer Wichtigkeit sei das
für etwa zu erlassende Spezialgesetze, in denen man später nicht so leicht
ein ausdrücklich ausgesprochenes Princip verletzen werde, wenn auch die
Neigung dazu vorhanden sei, und für die einzelnen Strafgesetze, welche
wenigstens vorläufig noch neben dem Strafgesetzbuch fortbestehen sollten.

Diesen Gründen ward aber von anderer Seite entgegengehalten,
daß es überflüssig und für den Richter irreführend sei, wenn ein Grund-
satz, der sich nach dem Gesetzbuch von selbst verstehe, mit besonderem
Nachdruck noch besonders hervorgehoben werde. Der Verlust der Ehre
trete, abgesehen von der Todesstrafe, eben nur als Folge der Zucht-
hausstrafe ein, und auch der einzige Fall, in dem einzelne politische
Ehrenrechte abgesprochen werden könnten (§. 63.), sei durch die Haupt-
strafe schon als ein Verbrechen qualifizirt. Die zeitige Untersagung der
Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte komme aber nur bei Vergehen
vor. Das Princip also, welches man ausdrücklich aufgestellt haben

Beseler Kommentar. 5

§. 1. Die Dreitheilung.
Geſetzbuch vorkommenden Nebenſtrafen ſind dabei nicht in Betracht ge-
zogen worden. In der Kommiſſion der zweiten Kammer gab dieſer
Umſtand zu umfaſſenden Erörterungen Anlaß, indem von einer Seite
darauf gedrungen wurde, daß in Beziehung auf die Ehrenſtrafen eine
allgemeine Vorſchrift aufgenommen werde, welche es ausſpreche, daß,
abgeſehen von der Art und dem Maaße der Hauptſtrafe, jede Handlung,
welche mit dem Verluſte der bürgerlichen Ehre oder einzelner bürger-
lichen Ehrenrechte (der politiſchen Rechte) bedroht iſt, unbedingt als ein
Verbrechen, und jede Handlung, welche mit Unterſagung der Ausübung
der bürgerlichen Ehrenrechte auf Zeit bedroht iſt, unbedingt als ein
Vergehen zu behandeln ſei. Zur Unterſtützung dieſes Vorſchlags ward
namentlich angeführt: in dem Verluſt oder der Schmälerung der bür-
gerlichen Ehre liege für den ehrenhaften Mann ein größeres Strafübel,
als in den — vielleicht mäßigen — Freiheits- oder Geldſtrafen. Dieſes
Bewußtſein, dieſe Auffaſſung müſſe die Geſetzgebung kräftigen und ver-
breiten, aber nicht abſtumpfen oder ſchwächen. Das Letztere thue ſie
aber, wenigſtens ſcheinbar, wenn ſie die Frage, ob eine Handlung zu
den Verbrechen oder zu den Vergehen gehöre, lediglich von der etwas
längeren oder kürzeren Dauer der Freiheitsſtrafe abhängig mache, und
dabei den Umſtand, ob mit dieſer Strafe eine Entziehung oder Schmä-
lerung der bürgerlichen Ehre verbunden ſei, als einen gleichgültigen
ganz außer Acht laſſe. Zwar ſei thatſächlich in dem vorliegenden Ent-
wurf das Princip befolgt, welches man ausgeſprochen wünſche; aber
es ſei eben nicht einerlei, ob ſich etwas als die im Geſetzbuch befolgte
Regel oder als einen leitenden Grundſatz hinſtelle, zu dem ſich der Ge-
ſetzgeber ausdrücklich bekannt habe. Von beſonderer Wichtigkeit ſei das
für etwa zu erlaſſende Spezialgeſetze, in denen man ſpäter nicht ſo leicht
ein ausdrücklich ausgeſprochenes Princip verletzen werde, wenn auch die
Neigung dazu vorhanden ſei, und für die einzelnen Strafgeſetze, welche
wenigſtens vorläufig noch neben dem Strafgeſetzbuch fortbeſtehen ſollten.

Dieſen Gründen ward aber von anderer Seite entgegengehalten,
daß es überflüſſig und für den Richter irreführend ſei, wenn ein Grund-
ſatz, der ſich nach dem Geſetzbuch von ſelbſt verſtehe, mit beſonderem
Nachdruck noch beſonders hervorgehoben werde. Der Verluſt der Ehre
trete, abgeſehen von der Todesſtrafe, eben nur als Folge der Zucht-
hausſtrafe ein, und auch der einzige Fall, in dem einzelne politiſche
Ehrenrechte abgeſprochen werden könnten (§. 63.), ſei durch die Haupt-
ſtrafe ſchon als ein Verbrechen qualifizirt. Die zeitige Unterſagung der
Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte komme aber nur bei Vergehen
vor. Das Princip alſo, welches man ausdrücklich aufgeſtellt haben

Beſeler Kommentar. 5
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[65/0075] §. 1. Die Dreitheilung. Geſetzbuch vorkommenden Nebenſtrafen ſind dabei nicht in Betracht ge- zogen worden. In der Kommiſſion der zweiten Kammer gab dieſer Umſtand zu umfaſſenden Erörterungen Anlaß, indem von einer Seite darauf gedrungen wurde, daß in Beziehung auf die Ehrenſtrafen eine allgemeine Vorſchrift aufgenommen werde, welche es ausſpreche, daß, abgeſehen von der Art und dem Maaße der Hauptſtrafe, jede Handlung, welche mit dem Verluſte der bürgerlichen Ehre oder einzelner bürger- lichen Ehrenrechte (der politiſchen Rechte) bedroht iſt, unbedingt als ein Verbrechen, und jede Handlung, welche mit Unterſagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Zeit bedroht iſt, unbedingt als ein Vergehen zu behandeln ſei. Zur Unterſtützung dieſes Vorſchlags ward namentlich angeführt: in dem Verluſt oder der Schmälerung der bür- gerlichen Ehre liege für den ehrenhaften Mann ein größeres Strafübel, als in den — vielleicht mäßigen — Freiheits- oder Geldſtrafen. Dieſes Bewußtſein, dieſe Auffaſſung müſſe die Geſetzgebung kräftigen und ver- breiten, aber nicht abſtumpfen oder ſchwächen. Das Letztere thue ſie aber, wenigſtens ſcheinbar, wenn ſie die Frage, ob eine Handlung zu den Verbrechen oder zu den Vergehen gehöre, lediglich von der etwas längeren oder kürzeren Dauer der Freiheitsſtrafe abhängig mache, und dabei den Umſtand, ob mit dieſer Strafe eine Entziehung oder Schmä- lerung der bürgerlichen Ehre verbunden ſei, als einen gleichgültigen ganz außer Acht laſſe. Zwar ſei thatſächlich in dem vorliegenden Ent- wurf das Princip befolgt, welches man ausgeſprochen wünſche; aber es ſei eben nicht einerlei, ob ſich etwas als die im Geſetzbuch befolgte Regel oder als einen leitenden Grundſatz hinſtelle, zu dem ſich der Ge- ſetzgeber ausdrücklich bekannt habe. Von beſonderer Wichtigkeit ſei das für etwa zu erlaſſende Spezialgeſetze, in denen man ſpäter nicht ſo leicht ein ausdrücklich ausgeſprochenes Princip verletzen werde, wenn auch die Neigung dazu vorhanden ſei, und für die einzelnen Strafgeſetze, welche wenigſtens vorläufig noch neben dem Strafgeſetzbuch fortbeſtehen ſollten. Dieſen Gründen ward aber von anderer Seite entgegengehalten, daß es überflüſſig und für den Richter irreführend ſei, wenn ein Grund- ſatz, der ſich nach dem Geſetzbuch von ſelbſt verſtehe, mit beſonderem Nachdruck noch beſonders hervorgehoben werde. Der Verluſt der Ehre trete, abgeſehen von der Todesſtrafe, eben nur als Folge der Zucht- hausſtrafe ein, und auch der einzige Fall, in dem einzelne politiſche Ehrenrechte abgeſprochen werden könnten (§. 63.), ſei durch die Haupt- ſtrafe ſchon als ein Verbrechen qualifizirt. Die zeitige Unterſagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte komme aber nur bei Vergehen vor. Das Princip alſo, welches man ausdrücklich aufgeſtellt haben Beſeler Kommentar. 5

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/75>, abgerufen am 30.04.2024.