Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.p3b_147.001 Stoff. Der Winter mit seinen Ostwinden und seinen Schneestürmen p3b_147.002 p3b_147.018 p3b_147.023 p3b_147.026 Lösung. Von F. Freiligrath. p3b_147.030[Beginn Spaltensatz] Der Winter kommt gefahren, p3b_147.031 p3b_147.034Er treibt die Welt zu Paaren, p3b_147.032 Der Ostwind ist sein Speer, p3b_147.033 Der Schneesturm sein Gewehr Mit eisbehangner Schleppe, p3b_147.035 p3b_147.038Ein Beutefürst der Steppe, p3b_147.036 Fällt er bei Nordlichtschein p3b_147.037 Jn unsre Hürden ein. Und richtet seine Zelte, p3b_147.039 [Spaltenumbruch]
p3b_147.101Und schlägt das Land mit Kälte, p3b_147.040 Und legt ihm, der Tyrann, p3b_147.041 Wildstarre Fesseln an. Derweil bei Tag die Sonne p3b_147.102 p3b_147.105Strahlt herrlich und in Wonne, p3b_147.103 Und Nächtens ruhig brennt p3b_147.104 Und blitzt das Firmament. Venus mit prächt'gem Scheine, p3b_147.106 p3b_147.109Beinah wie eine kleine p3b_147.107 Mondsichel anzusehn, p3b_147.108 Flammt nieder ernst und schön. Und o, des duftumwallten, p3b_147.110 [Ende Spaltensatz]
Des knisternden, des kalten p3b_147.111 Frührots! Die Wolke stiebt! - p3b_147.112 Weh, daß es Arme giebt! p3b_147.001 Stoff. Der Winter mit seinen Ostwinden und seinen Schneestürmen p3b_147.002 p3b_147.018 p3b_147.023 p3b_147.026 Lösung. Von F. Freiligrath. p3b_147.030[Beginn Spaltensatz] Der Winter kommt gefahren, p3b_147.031 p3b_147.034Er treibt die Welt zu Paaren, p3b_147.032 Der Ostwind ist sein Speer, p3b_147.033 Der Schneesturm sein Gewehr Mit eisbehangner Schleppe, p3b_147.035 p3b_147.038Ein Beutefürst der Steppe, p3b_147.036 Fällt er bei Nordlichtschein p3b_147.037 Jn unsre Hürden ein. Und richtet seine Zelte, p3b_147.039 [Spaltenumbruch]
p3b_147.101Und schlägt das Land mit Kälte, p3b_147.040 Und legt ihm, der Tyrann, p3b_147.041 Wildstarre Fesseln an. Derweil bei Tag die Sonne p3b_147.102 p3b_147.105Strahlt herrlich und in Wonne, p3b_147.103 Und Nächtens ruhig brennt p3b_147.104 Und blitzt das Firmament. Venus mit prächt'gem Scheine, p3b_147.106 p3b_147.109Beinah wie eine kleine p3b_147.107 Mondsichel anzusehn, p3b_147.108 Flammt nieder ernst und schön. Und o, des duftumwallten, p3b_147.110 [Ende Spaltensatz]
Des knisternden, des kalten p3b_147.111 Frührots! Die Wolke stiebt! ─ p3b_147.112 Weh, daß es Arme giebt! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0173" n="147"/> <lb n="p3b_147.001"/> <p> <hi rendition="#et"><hi rendition="#g">Stoff.</hi> Der Winter mit seinen Ostwinden und seinen Schneestürmen <lb n="p3b_147.002"/> kommt ins Land gefahren. ‖ Bei Nordlichtschein jagt der beutegierige <lb n="p3b_147.003"/> durch unsere Steppen und fällt in unsere Hürden ein. ‖ Er legt dem <lb n="p3b_147.004"/> Lande seine Eisesfesseln an. ‖ Jhn hindert weder das Sonnenlicht bei <lb n="p3b_147.005"/> Tag, noch das blitzende Firmament bei Nacht. ‖ Venus ist wie eine <lb n="p3b_147.006"/> flammende Mondsichel anzusehen. ‖ Und das Frührot ist duftumwallt: <lb n="p3b_147.007"/> ─ wehe, daß es Arme giebt, wenn in der eisigen Kälte die Wolke <lb n="p3b_147.008"/> zerstiebt. ‖ Wehe, daß aus den Nordlichtgarben kein Korn zu dreschen <lb n="p3b_147.009"/> ist. ‖ Wehe, daß kein Obdachloser an dem ewigen Himmelsfeuer seine <lb n="p3b_147.010"/> Hände wärmen kann. ‖ Wehe, daß das Himmelsgewölbe das einzige <lb n="p3b_147.011"/> Obdach für Kranke und Hungernde ist. ‖ Wehe, daß so manche Kinder, <lb n="p3b_147.012"/> Weiber und Greise ärmer daran sind, als die Vögel. ‖ Wehe, daß <lb n="p3b_147.013"/> inmitten unseres geselligen Getriebes, inmitten von Börsen, Bällen <lb n="p3b_147.014"/> und Waffenspielen Obdachlose sich finden können. ‖ Wehe über all' <lb n="p3b_147.015"/> die alten Wunden der Menschheit. Auf, helft nach eurem Teil! ‖ <lb n="p3b_147.016"/> Ziehe hinaus, mein Lied, und erspähe warme Herzen. ‖ Singe das <lb n="p3b_147.017"/> Wort Liebe: nur die Liebe vermag die Welt zu heilen. ‖</hi> </p> <p><lb n="p3b_147.018"/> 3. Dieses für die großen Kreise des Volks bestimmte Gedicht muß volksmäßige <lb n="p3b_147.019"/> Form erhalten, also volksliedartige Verse und Strophen, ähnlich etwa <lb n="p3b_147.020"/> wie die wirksamen Volkslieder: Jnsbruck, ich muß dich lassen; Es wollt' ein <lb n="p3b_147.021"/> Jäger jagen; Jch hört' ein Sichlein rauschen; Des Pfarrers Tochter von Taubenheim; <lb n="p3b_147.022"/> Die Königskinder u. a. (Vgl. <hi rendition="#aq">II</hi>, 83. 85. 86 dieser Poetik.)</p> <p><lb n="p3b_147.023"/> 4. Diese eben genannten Volkslieder sind sämtlich aus jambischen Dreitaktern <lb n="p3b_147.024"/> aufgebaut, für welche auch der obige Stoff besonders geeignet <lb n="p3b_147.025"/> erscheint.</p> <p><lb n="p3b_147.026"/> 5. Die kleinen volksmäßigen Strophen sollen aus je zwei Reimpaaren <lb n="p3b_147.027"/> bestehen, von denen behufs Erreichung eines strophischen Charakteristikums immer <lb n="p3b_147.028"/> das zweite männlichen Abschluß haben möge.</p> <lb n="p3b_147.029"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Lösung. Von</hi> F. <hi rendition="#g">Freiligrath.</hi></hi> </p> <lb n="p3b_147.030"/> <cb type="start"/> <lg> <l>Der Winter kommt gefahren,</l> <lb n="p3b_147.031"/> <l>Er treibt die Welt zu Paaren,</l> <lb n="p3b_147.032"/> <l>Der Ostwind ist sein Speer,</l> <lb n="p3b_147.033"/> <l>Der Schneesturm sein Gewehr </l> </lg> <lb n="p3b_147.034"/> <lg> <l>Mit eisbehangner Schleppe,</l> <lb n="p3b_147.035"/> <l>Ein Beutefürst der Steppe,</l> <lb n="p3b_147.036"/> <l>Fällt er bei Nordlichtschein</l> <lb n="p3b_147.037"/> <l>Jn unsre Hürden ein. </l> </lg> <lb n="p3b_147.038"/> <lg> <l>Und richtet seine Zelte,</l> <lb n="p3b_147.039"/> <l>Und schlägt das Land mit Kälte,</l> <lb n="p3b_147.040"/> <l>Und legt ihm, der Tyrann,</l> <lb n="p3b_147.041"/> <l>Wildstarre Fesseln an.</l> </lg> <cb/> <lb n="p3b_147.101"/> <lg> <l>Derweil bei Tag die Sonne</l> <lb n="p3b_147.102"/> <l>Strahlt herrlich und in Wonne,</l> <lb n="p3b_147.103"/> <l>Und Nächtens ruhig brennt</l> <lb n="p3b_147.104"/> <l>Und blitzt das Firmament. </l> </lg> <lb n="p3b_147.105"/> <lg> <l>Venus mit prächt'gem Scheine,</l> <lb n="p3b_147.106"/> <l>Beinah wie eine kleine</l> <lb n="p3b_147.107"/> <l>Mondsichel anzusehn,</l> <lb n="p3b_147.108"/> <l>Flammt nieder ernst und schön. </l> </lg> <lb n="p3b_147.109"/> <lg> <l>Und o, des duftumwallten,</l> <lb n="p3b_147.110"/> <l>Des knisternden, des kalten</l> <lb n="p3b_147.111"/> <l>Frührots! Die Wolke stiebt! ─</l> <lb n="p3b_147.112"/> <l>Weh, daß es Arme giebt!</l> </lg> <cb type="end"/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [147/0173]
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Stoff. Der Winter mit seinen Ostwinden und seinen Schneestürmen p3b_147.002
kommt ins Land gefahren. ‖ Bei Nordlichtschein jagt der beutegierige p3b_147.003
durch unsere Steppen und fällt in unsere Hürden ein. ‖ Er legt dem p3b_147.004
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Tag, noch das blitzende Firmament bei Nacht. ‖ Venus ist wie eine p3b_147.006
flammende Mondsichel anzusehen. ‖ Und das Frührot ist duftumwallt: p3b_147.007
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zerstiebt. ‖ Wehe, daß aus den Nordlichtgarben kein Korn zu dreschen p3b_147.009
ist. ‖ Wehe, daß kein Obdachloser an dem ewigen Himmelsfeuer seine p3b_147.010
Hände wärmen kann. ‖ Wehe, daß das Himmelsgewölbe das einzige p3b_147.011
Obdach für Kranke und Hungernde ist. ‖ Wehe, daß so manche Kinder, p3b_147.012
Weiber und Greise ärmer daran sind, als die Vögel. ‖ Wehe, daß p3b_147.013
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und Waffenspielen Obdachlose sich finden können. ‖ Wehe über all' p3b_147.015
die alten Wunden der Menschheit. Auf, helft nach eurem Teil! ‖ p3b_147.016
Ziehe hinaus, mein Lied, und erspähe warme Herzen. ‖ Singe das p3b_147.017
Wort Liebe: nur die Liebe vermag die Welt zu heilen. ‖
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3. Dieses für die großen Kreise des Volks bestimmte Gedicht muß volksmäßige p3b_147.019
Form erhalten, also volksliedartige Verse und Strophen, ähnlich etwa p3b_147.020
wie die wirksamen Volkslieder: Jnsbruck, ich muß dich lassen; Es wollt' ein p3b_147.021
Jäger jagen; Jch hört' ein Sichlein rauschen; Des Pfarrers Tochter von Taubenheim; p3b_147.022
Die Königskinder u. a. (Vgl. II, 83. 85. 86 dieser Poetik.)
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4. Diese eben genannten Volkslieder sind sämtlich aus jambischen Dreitaktern p3b_147.024
aufgebaut, für welche auch der obige Stoff besonders geeignet p3b_147.025
erscheint.
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5. Die kleinen volksmäßigen Strophen sollen aus je zwei Reimpaaren p3b_147.027
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das zweite männlichen Abschluß haben möge.
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Lösung. Von F. Freiligrath.
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Der Winter kommt gefahren, p3b_147.031
Er treibt die Welt zu Paaren, p3b_147.032
Der Ostwind ist sein Speer, p3b_147.033
Der Schneesturm sein Gewehr
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Mit eisbehangner Schleppe, p3b_147.035
Ein Beutefürst der Steppe, p3b_147.036
Fällt er bei Nordlichtschein p3b_147.037
Jn unsre Hürden ein.
p3b_147.038
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Wildstarre Fesseln an.
p3b_147.101
Derweil bei Tag die Sonne p3b_147.102
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Mondsichel anzusehn, p3b_147.108
Flammt nieder ernst und schön.
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Und o, des duftumwallten, p3b_147.110
Des knisternden, des kalten p3b_147.111
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Weh, daß es Arme giebt!
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Zitationshilfe: | Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/173>, abgerufen am 14.06.2024. |