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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
Viertes Capitel.
IV. Das Land.

1. Das Volk ist die persönliche Grundlage des States.
Das Land ist die dingliche Beziehung desselben. Erst wenn
das Volk ein Land erworben hat, wenn ein Statsgebiet hinzu-
gekommen ist, hat der Stat die erforderliche Festigkeit erlangt.

Der Theil der Erdoberfläche, welcher von dem Volke be-
setzt und von dem State beherrscht wird, heiszt Land oder
Statsgebiet. Die Grösze desselben wird ähnlich wie die Bil-
dung des Volks durch geschichtliche Vorgänge bestimmt.

Die Ausdehnung eines Landes scheint zunächst unerheb-
lich für die rechtliche Existenz der verschiedenen Staten. Es
hat nämlich zu allen Zeiten grosze und kleine Fürstenthümer
und grosze und kleine Republiken gegeben; und die einen wie
die andern haben gleichmäszig ihr persönliches Recht und
eine gewisse Gleichstellung behauptet. Auch ist es sicherlich
verkehrt, ein bestimmtes Normalmasz eines Statsgebiets,
welches der regelrechte Stat erreichen müsse und nicht über-
schreiten dürfe, aufsuchen und fixiren zu wollen. Die Welt
hat grosze und kleine Staten blühen und hinwieder verkommen
gesehen. Gegenüber dem römischen Weltreiche erschienen
die hellenischen Städtestaten winzig klein, und dennoch nimmt
Athen neben Rom einen hohen Platz in der Weltgeschichte ein.

Trotzdem ist der Umfang eines Statsgebietes von groszem
Einflusz auf die politische Gestaltung und Bedeutung dessel-
ben und mancherlei politische Aufgaben ersten Ranges knü-
pfen sich an die Ausdehnung des Landes.

Offenbar sind die beiden nothwendigen Bestandtheile
eines jeden States Volk und Land auch bezüglich der Grösze
in einer Wechselwirkung zu einander. Es ist möglich, dasz
das Land dem Volke zu enge wird, sei es um da die nö-
thige Nahrung zu finden, sei es, weil das kleine Gebiet den

Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land.
Viertes Capitel.
IV. Das Land.

1. Das Volk ist die persönliche Grundlage des States.
Das Land ist die dingliche Beziehung desselben. Erst wenn
das Volk ein Land erworben hat, wenn ein Statsgebiet hinzu-
gekommen ist, hat der Stat die erforderliche Festigkeit erlangt.

Der Theil der Erdoberfläche, welcher von dem Volke be-
setzt und von dem State beherrscht wird, heiszt Land oder
Statsgebiet. Die Grösze desselben wird ähnlich wie die Bil-
dung des Volks durch geschichtliche Vorgänge bestimmt.

Die Ausdehnung eines Landes scheint zunächst unerheb-
lich für die rechtliche Existenz der verschiedenen Staten. Es
hat nämlich zu allen Zeiten grosze und kleine Fürstenthümer
und grosze und kleine Republiken gegeben; und die einen wie
die andern haben gleichmäszig ihr persönliches Recht und
eine gewisse Gleichstellung behauptet. Auch ist es sicherlich
verkehrt, ein bestimmtes Normalmasz eines Statsgebiets,
welches der regelrechte Stat erreichen müsse und nicht über-
schreiten dürfe, aufsuchen und fixiren zu wollen. Die Welt
hat grosze und kleine Staten blühen und hinwieder verkommen
gesehen. Gegenüber dem römischen Weltreiche erschienen
die hellenischen Städtestaten winzig klein, und dennoch nimmt
Athen neben Rom einen hohen Platz in der Weltgeschichte ein.

Trotzdem ist der Umfang eines Statsgebietes von groszem
Einflusz auf die politische Gestaltung und Bedeutung dessel-
ben und mancherlei politische Aufgaben ersten Ranges knü-
pfen sich an die Ausdehnung des Landes.

Offenbar sind die beiden nothwendigen Bestandtheile
eines jeden States Volk und Land auch bezüglich der Grösze
in einer Wechselwirkung zu einander. Es ist möglich, dasz
das Land dem Volke zu enge wird, sei es um da die nö-
thige Nahrung zu finden, sei es, weil das kleine Gebiet den

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[270/0288] Drittes Buch. Die Grundlagen des Stats etc. Das Land. Viertes Capitel. IV. Das Land. 1. Das Volk ist die persönliche Grundlage des States. Das Land ist die dingliche Beziehung desselben. Erst wenn das Volk ein Land erworben hat, wenn ein Statsgebiet hinzu- gekommen ist, hat der Stat die erforderliche Festigkeit erlangt. Der Theil der Erdoberfläche, welcher von dem Volke be- setzt und von dem State beherrscht wird, heiszt Land oder Statsgebiet. Die Grösze desselben wird ähnlich wie die Bil- dung des Volks durch geschichtliche Vorgänge bestimmt. Die Ausdehnung eines Landes scheint zunächst unerheb- lich für die rechtliche Existenz der verschiedenen Staten. Es hat nämlich zu allen Zeiten grosze und kleine Fürstenthümer und grosze und kleine Republiken gegeben; und die einen wie die andern haben gleichmäszig ihr persönliches Recht und eine gewisse Gleichstellung behauptet. Auch ist es sicherlich verkehrt, ein bestimmtes Normalmasz eines Statsgebiets, welches der regelrechte Stat erreichen müsse und nicht über- schreiten dürfe, aufsuchen und fixiren zu wollen. Die Welt hat grosze und kleine Staten blühen und hinwieder verkommen gesehen. Gegenüber dem römischen Weltreiche erschienen die hellenischen Städtestaten winzig klein, und dennoch nimmt Athen neben Rom einen hohen Platz in der Weltgeschichte ein. Trotzdem ist der Umfang eines Statsgebietes von groszem Einflusz auf die politische Gestaltung und Bedeutung dessel- ben und mancherlei politische Aufgaben ersten Ranges knü- pfen sich an die Ausdehnung des Landes. Offenbar sind die beiden nothwendigen Bestandtheile eines jeden States Volk und Land auch bezüglich der Grösze in einer Wechselwirkung zu einander. Es ist möglich, dasz das Land dem Volke zu enge wird, sei es um da die nö- thige Nahrung zu finden, sei es, weil das kleine Gebiet den

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/288>, abgerufen am 26.04.2024.