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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743.

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Von den poetischen Zeiten
einer Gesellschaft Zuhörer abgesungen haben. Die
Mundart deren sich die Poeten des XIII. Jahrhun-
dert bedient haben, ist durchgehends die Schwä-
bische, welche damahls auch die Sachsen vor die
beste erkennt und gebraucht haben.

Von einem solchen Gedichte aus dem drey-
zehnden Jahrhundert hat der Zufall ein paar
Hundert Zeilen auf einem zerrissenen Pergament
geschonet, welches mir ungefehr in die Hände ge-
fallen ist. Jch halte diese Schrift beynahe gleich
alt mit dem Dichter. Der Jnnhalt ist von der
schönen Meliure, welcher die grössesten Fürsten
von Europa und Asia aufwarteten, und Hoff-
nung hatten, daß sie einen von ihnen zu ihrem
Gemahl erwehlen würde. Vor allen andern schmei-
chelten sich, ihre Gunst zu haben, der Soldan aus
Persien, und Partenopier, ein Fürst aus dem
Stamme der Könige von Kerlingen. Dieser
letztere hatte sich insgeheim vom Hofe verlohren.
Jn unserm Fragmento findet er sich unbekannter
Weise wieder ein, einem Turniere, der unter den
Mauren der Stadt Schifdiere sollte gehalten wer-
den, beyzuwohnen. Unweit denselben, in einem
anmuthigen Thal, begegnet ihm Gaudin, ein christ-
licher Ritter, mit welchem er Freundschaft ma-
chet, und auf den Turnierplatz reitet. Sie fan-
den auf einer Ebene zwischen der Stadt und dem
Meere alles von Christen und Saracenen wim-
meln. Diese werden durch einander gemischet,
so daß kein Unterschied unter ihnen gehalten ward,
hernach werden sie in zwey gantze Theile getheilt.
Der König von Kerlingen hatte gegen Meliu-

ren

Von den poetiſchen Zeiten
einer Geſellſchaft Zuhoͤrer abgeſungen haben. Die
Mundart deren ſich die Poeten des XIII. Jahrhun-
dert bedient haben, iſt durchgehends die Schwaͤ-
biſche, welche damahls auch die Sachſen vor die
beſte erkennt und gebraucht haben.

Von einem ſolchen Gedichte aus dem drey-
zehnden Jahrhundert hat der Zufall ein paar
Hundert Zeilen auf einem zerriſſenen Pergament
geſchonet, welches mir ungefehr in die Haͤnde ge-
fallen iſt. Jch halte dieſe Schrift beynahe gleich
alt mit dem Dichter. Der Jnnhalt iſt von der
ſchoͤnen Meliure, welcher die groͤſſeſten Fuͤrſten
von Europa und Aſia aufwarteten, und Hoff-
nung hatten, daß ſie einen von ihnen zu ihrem
Gemahl erwehlen wuͤrde. Vor allen andern ſchmei-
chelten ſich, ihre Gunſt zu haben, der Soldan aus
Perſien, und Partenopier, ein Fuͤrſt aus dem
Stamme der Koͤnige von Kerlingen. Dieſer
letztere hatte ſich insgeheim vom Hofe verlohren.
Jn unſerm Fragmento findet er ſich unbekannter
Weiſe wieder ein, einem Turniere, der unter den
Mauren der Stadt Schifdiere ſollte gehalten wer-
den, beyzuwohnen. Unweit denſelben, in einem
anmuthigen Thal, begegnet ihm Gaudin, ein chriſt-
licher Ritter, mit welchem er Freundſchaft ma-
chet, und auf den Turnierplatz reitet. Sie fan-
den auf einer Ebene zwiſchen der Stadt und dem
Meere alles von Chriſten und Saracenen wim-
meln. Dieſe werden durch einander gemiſchet,
ſo daß kein Unterſchied unter ihnen gehalten ward,
hernach werden ſie in zwey gantze Theile getheilt.
Der Koͤnig von Kerlingen hatte gegen Meliu-

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[36/0036] Von den poetiſchen Zeiten einer Geſellſchaft Zuhoͤrer abgeſungen haben. Die Mundart deren ſich die Poeten des XIII. Jahrhun- dert bedient haben, iſt durchgehends die Schwaͤ- biſche, welche damahls auch die Sachſen vor die beſte erkennt und gebraucht haben. Von einem ſolchen Gedichte aus dem drey- zehnden Jahrhundert hat der Zufall ein paar Hundert Zeilen auf einem zerriſſenen Pergament geſchonet, welches mir ungefehr in die Haͤnde ge- fallen iſt. Jch halte dieſe Schrift beynahe gleich alt mit dem Dichter. Der Jnnhalt iſt von der ſchoͤnen Meliure, welcher die groͤſſeſten Fuͤrſten von Europa und Aſia aufwarteten, und Hoff- nung hatten, daß ſie einen von ihnen zu ihrem Gemahl erwehlen wuͤrde. Vor allen andern ſchmei- chelten ſich, ihre Gunſt zu haben, der Soldan aus Perſien, und Partenopier, ein Fuͤrſt aus dem Stamme der Koͤnige von Kerlingen. Dieſer letztere hatte ſich insgeheim vom Hofe verlohren. Jn unſerm Fragmento findet er ſich unbekannter Weiſe wieder ein, einem Turniere, der unter den Mauren der Stadt Schifdiere ſollte gehalten wer- den, beyzuwohnen. Unweit denſelben, in einem anmuthigen Thal, begegnet ihm Gaudin, ein chriſt- licher Ritter, mit welchem er Freundſchaft ma- chet, und auf den Turnierplatz reitet. Sie fan- den auf einer Ebene zwiſchen der Stadt und dem Meere alles von Chriſten und Saracenen wim- meln. Dieſe werden durch einander gemiſchet, ſo daß kein Unterſchied unter ihnen gehalten ward, hernach werden ſie in zwey gantze Theile getheilt. Der Koͤnig von Kerlingen hatte gegen Meliu- ren

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 7. Zürich, 1743, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung07_1743/36>, abgerufen am 30.04.2024.