Was that mein Michel in Stuttgard? Aber ich bin des Spaßes müde. In Stuttgart wurde Herr von Wangenheim, ein geistreicher und freisinni¬ ger Mann zum Deputirten gewählt. Die Regierung erkannte die Wahl nicht an wegen einer verletzten Förmlichkeit, die sie zum Vorwande eines Vorwan¬ des nahm -- Um Deputirter seyn zu können muß man im Lande wohnen; nun wohne zwar Herr von Wangenheim im Lande, aber er habe nicht erklärt daß er im Lande wohne. So ohngefähr habe ich die Sache verstanden. Der eigentliche Grund der Wider¬ setzlichkeit war aber: Oesterreich und Preußen hätten den Herrn von Wangenheim mit Zorn in der Kam¬ mer gesehen, denn er stand früher selbst hinter den Coulissen der deutschen Bundes-Komödie, und war der erste jener Gesandten, von welchen, weil sie Liebelei mit der öffentlichen Meinung trieben, und die deutschen Völklein in ihrem Traume, daß sie ein Volk werden könnten, nicht stören hal¬ fen, die Bundesversammlung epurirt wurde. Uebri¬ gens hatte Herr von Wangenheim eine Schrift gegen die Bundestags-Beschlüsse herausgegeben. Dieser von der Regierung vorgeschützte Mangel der Form wurde aber von Herrn von Wangenheim gehoben, und die Bürger nahmen sich vor, ihn zum zweitenmale zu wählen. Was thut nun Herr von Wangenheim? ganz das nehmliche was Herr von Rotteck in Frei¬
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Was that mein Michel in Stuttgard? Aber ich bin des Spaßes müde. In Stuttgart wurde Herr von Wangenheim, ein geiſtreicher und freiſinni¬ ger Mann zum Deputirten gewählt. Die Regierung erkannte die Wahl nicht an wegen einer verletzten Förmlichkeit, die ſie zum Vorwande eines Vorwan¬ des nahm — Um Deputirter ſeyn zu können muß man im Lande wohnen; nun wohne zwar Herr von Wangenheim im Lande, aber er habe nicht erklärt daß er im Lande wohne. So ohngefähr habe ich die Sache verſtanden. Der eigentliche Grund der Wider¬ ſetzlichkeit war aber: Oeſterreich und Preußen hätten den Herrn von Wangenheim mit Zorn in der Kam¬ mer geſehen, denn er ſtand früher ſelbſt hinter den Couliſſen der deutſchen Bundes-Komödie, und war der erſte jener Geſandten, von welchen, weil ſie Liebelei mit der öffentlichen Meinung trieben, und die deutſchen Völklein in ihrem Traume, daß ſie ein Volk werden könnten, nicht ſtören hal¬ fen, die Bundesverſammlung epurirt wurde. Uebri¬ gens hatte Herr von Wangenheim eine Schrift gegen die Bundestags-Beſchlüſſe herausgegeben. Dieſer von der Regierung vorgeſchützte Mangel der Form wurde aber von Herrn von Wangenheim gehoben, und die Bürger nahmen ſich vor, ihn zum zweitenmale zu wählen. Was thut nun Herr von Wangenheim? ganz das nehmliche was Herr von Rotteck in Frei¬
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Was that mein Michel in Stuttgard? Aber
ich bin des Spaßes müde. In Stuttgart wurde
Herr von Wangenheim, ein geiſtreicher und freiſinni¬
ger Mann zum Deputirten gewählt. Die Regierung
erkannte die Wahl nicht an wegen einer verletzten
Förmlichkeit, die ſie zum Vorwande eines Vorwan¬
des nahm — Um Deputirter ſeyn zu können muß
man im Lande wohnen; nun wohne zwar Herr von
Wangenheim im Lande, aber er habe nicht erklärt
daß er im Lande wohne. So ohngefähr habe ich die
Sache verſtanden. Der eigentliche Grund der Wider¬
ſetzlichkeit war aber: Oeſterreich und Preußen hätten
den Herrn von Wangenheim mit Zorn in der Kam¬
mer geſehen, denn er ſtand früher ſelbſt hinter den
Couliſſen der deutſchen Bundes-Komödie, und war
der erſte jener Geſandten, von welchen, weil ſie
Liebelei mit der öffentlichen Meinung trieben,
und die deutſchen Völklein in ihrem Traume, daß
ſie ein Volk werden könnten, nicht ſtören hal¬
fen, die Bundesverſammlung epurirt wurde. Uebri¬
gens hatte Herr von Wangenheim eine Schrift gegen
die Bundestags-Beſchlüſſe herausgegeben. Dieſer von
der Regierung vorgeſchützte Mangel der Form wurde
aber von Herrn von Wangenheim gehoben, und die
Bürger nahmen ſich vor, ihn zum zweitenmale zu
wählen. Was thut nun Herr von Wangenheim?
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/175>, abgerufen am 18.06.2024.
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