Uebrigens könnte Preußen eine solche Juden¬ ordnung einführen und es würde gar nichts dabei ver¬ lieren, außer daß dann auch die Kurzsichtigsten vorher¬ sehen würden, welche Zukunft dem ganzen Volke droht. Der alleinige Unterschied bliebe dann, daß man dem jüdischen Hunde mit einem Schnitte die Ohren kurz machte, während man sie dem christlichen nur nach und nach abschneiden würde "um dem armen Viehe nicht auf einmal zu wehe zu thun," wie jener Bediente sagte. Wenn man die Preußische Regierung beurtheilen will, muß man nicht blos auf das achten, was sie thut -- denn das zeigt nur an was sie kann, sondern auch auf das, was sie spricht -- welches anzeigt was sie will. Wenn ich das Berliner politische Wochenblatt lese, weiß ich gar nicht was ich denken soll. Ich sage denken -- denn glauben Sie mir: ich drücke nie eine Empfindung aus, ehe ich von der heißen Dach¬ kammer des Gefühls, in den Eiskeller der ruhigsten Besonnenheit hinabgestiegen bin, und dort die Probe gehalten habe, ob der Kopf mit dem Herzen über¬ einstimmt. Und so oft diese Uebereinstimmung fehlt, lösche ich meine Empfindung aus. In dem Berliner Wochenblatte werden despotische Grundsätze gelehrt, die mit dem Prinzipe des Protestantismus gar nicht zu vereinigen sind. Und wenn Preußen dieses Prinzip, seine Hauptstütze, erschüttert, sinkt es zum
Uebrigens könnte Preußen eine ſolche Juden¬ ordnung einführen und es würde gar nichts dabei ver¬ lieren, außer daß dann auch die Kurzſichtigſten vorher¬ ſehen würden, welche Zukunft dem ganzen Volke droht. Der alleinige Unterſchied bliebe dann, daß man dem jüdiſchen Hunde mit einem Schnitte die Ohren kurz machte, während man ſie dem chriſtlichen nur nach und nach abſchneiden würde „um dem armen Viehe nicht auf einmal zu wehe zu thun,“ wie jener Bediente ſagte. Wenn man die Preußiſche Regierung beurtheilen will, muß man nicht blos auf das achten, was ſie thut — denn das zeigt nur an was ſie kann, ſondern auch auf das, was ſie ſpricht — welches anzeigt was ſie will. Wenn ich das Berliner politiſche Wochenblatt leſe, weiß ich gar nicht was ich denken ſoll. Ich ſage denken — denn glauben Sie mir: ich drücke nie eine Empfindung aus, ehe ich von der heißen Dach¬ kammer des Gefühls, in den Eiskeller der ruhigſten Beſonnenheit hinabgeſtiegen bin, und dort die Probe gehalten habe, ob der Kopf mit dem Herzen über¬ einſtimmt. Und ſo oft dieſe Uebereinſtimmung fehlt, löſche ich meine Empfindung aus. In dem Berliner Wochenblatte werden despotiſche Grundſätze gelehrt, die mit dem Prinzipe des Proteſtantismus gar nicht zu vereinigen ſind. Und wenn Preußen dieſes Prinzip, ſeine Hauptſtütze, erſchüttert, ſinkt es zum
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Uebrigens könnte Preußen eine ſolche Juden¬
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lieren, außer daß dann auch die Kurzſichtigſten vorher¬
ſehen würden, welche Zukunft dem ganzen Volke
droht. Der alleinige Unterſchied bliebe dann, daß
man dem jüdiſchen Hunde mit einem Schnitte die
Ohren kurz machte, während man ſie dem chriſtlichen
nur nach und nach abſchneiden würde „um dem
armen Viehe nicht auf einmal zu wehe zu thun,“ wie
jener Bediente ſagte. Wenn man die Preußiſche
Regierung beurtheilen will, muß man nicht blos
auf das achten, was ſie thut — denn das zeigt
nur an was ſie kann, ſondern auch auf das, was
ſie ſpricht — welches anzeigt was ſie will. Wenn
ich das Berliner politiſche Wochenblatt leſe,
weiß ich gar nicht was ich denken ſoll. Ich ſage
denken — denn glauben Sie mir: ich drücke nie
eine Empfindung aus, ehe ich von der heißen Dach¬
kammer des Gefühls, in den Eiskeller der ruhigſten
Beſonnenheit hinabgeſtiegen bin, und dort die Probe
gehalten habe, ob der Kopf mit dem Herzen über¬
einſtimmt. Und ſo oft dieſe Uebereinſtimmung fehlt,
löſche ich meine Empfindung aus. In dem Berliner
Wochenblatte werden despotiſche Grundſätze gelehrt,
die mit dem Prinzipe des Proteſtantismus gar nicht
zu vereinigen ſind. Und wenn Preußen dieſes
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/183>, abgerufen am 18.06.2024.
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