Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seidel, Samuel: Schlaf wohl!. 2. Aufl. Lauban, 1733.

Bild:
<< vorherige Seite
Wohl aber gegenfalls, auf meinem Sterbe-Küssen,
Sich unter Deiner Hand mein brechend Auge schlüssen!
So schertzten wir gar offt aus bänglich-froher Brust,
Und allzeit blieb ein Kuß das Siegel keuscher Lust;
Doch vielmahl stund Dir gar das Auge voller Zähren,
Als sagte mir Dein Hertz: Wie lange wird es währen?
So nimmt mich Dir der Tod, so wird das Band getrennt,
Das die Zufriedenheit ihr höchstes Gut genennt.
Ach, sprachst Du: Glück und Lust sind leichte Spinne-Weben:
Wer weiß, läßt mich der Tod mein Hochzeit-Fest erleben? (c)
Wie gieng mir das durchs Hertz? Doch faßte sich mein Geist,
Und wenn die Liebe sonst was Bitter-Süsses heißt:
So glaubt auch ich zugleich, mein bittres Mißvergnügen
Jn stiller Süßigkeit der Hoffnung zu besiegen.
Ein Kuß, ein Blick von Dir riß alle Furcht dahin,
Du meine Lust im Harm, Du meine Böttnerin,
Jch blieb bey meinem Trost, ich stützte mein Vertrauen,
Durch Dich mir auf der Welt ein Himmelreich zu bauen.
Wie offt vergaß ich mein, so bald ich Dein gedacht!
So stark war gegen Dich der Liebe reine Macht:
Drum wurden Furcht und Gram zu Hoffnung, Ruh und Glücke,
Die Tage Stunden gleich, die Stunden Augenblicke.
So offt mein Tage-Werk vergnügt zu Ende gieng,
So flog mein froher Fuß, daß Dich mein Arm umfieng,
So schien sich Wunsch und Lust beständig zu verneuern,
Als hätt ich stets bey Dir ein Freuden-Fest zu feyern.
Wie
(c) So sagte die Wohlseelige insonderheit, da Sie am ersten Oster-
Feyertage sich zwar zu klagen anfieng, gleichwohl aber Jhr neu verfer-
tigtes Braut-Kleid zum ersten mahl anzog. Denn da Sie von etli-
chen der Umstehenden, die über Vermuthen einige Thränen an Jhr
merkten, gefraget wurde, warum Sie weinte, und warum Sie sich
nicht vielmehr als eine Braut auf Jhr Hochzeit-Fest freuete? sprach
Sie mit hertzlicher Wehmuth: Wer weiß, ob ich meine Hochzeit
erlebe?
B
Wohl aber gegenfalls, auf meinem Sterbe-Kuͤſſen,
Sich unter Deiner Hand mein brechend Auge ſchluͤſſen!
So ſchertzten wir gar offt aus baͤnglich-froher Bruſt,
Und allzeit blieb ein Kuß das Siegel keuſcher Luſt;
Doch vielmahl ſtund Dir gar das Auge voller Zaͤhren,
Als ſagte mir Dein Hertz: Wie lange wird es waͤhren?
So nimmt mich Dir der Tod, ſo wird das Band getrennt,
Das die Zufriedenheit ihr hoͤchſtes Gut genennt.
Ach, ſprachſt Du: Gluͤck und Luſt ſind leichte Spinne-Weben:
Wer weiß, laͤßt mich der Tod mein Hochzeit-Feſt erleben? (c)
Wie gieng mir das durchs Hertz? Doch faßte ſich mein Geiſt,
Und wenn die Liebe ſonſt was Bitter-Suͤſſes heißt:
So glaubt auch ich zugleich, mein bittres Mißvergnuͤgen
Jn ſtiller Suͤßigkeit der Hoffnung zu beſiegen.
Ein Kuß, ein Blick von Dir riß alle Furcht dahin,
Du meine Luſt im Harm, Du meine Boͤttnerin,
Jch blieb bey meinem Troſt, ich ſtuͤtzte mein Vertrauen,
Durch Dich mir auf der Welt ein Himmelreich zu bauen.
Wie offt vergaß ich mein, ſo bald ich Dein gedacht!
So ſtark war gegen Dich der Liebe reine Macht:
Drum wurden Furcht und Gram zu Hoffnung, Ruh und Gluͤcke,
Die Tage Stunden gleich, die Stunden Augenblicke.
So offt mein Tage-Werk vergnuͤgt zu Ende gieng,
So flog mein froher Fuß, daß Dich mein Arm umfieng,
So ſchien ſich Wunſch und Luſt beſtaͤndig zu verneuern,
Als haͤtt ich ſtets bey Dir ein Freuden-Feſt zu feyern.
Wie
(c) So ſagte die Wohlſeelige inſonderheit, da Sie am erſten Oſter-
Feyertage ſich zwar zu klagen anfieng, gleichwohl aber Jhr neu verfer-
tigtes Braut-Kleid zum erſten mahl anzog. Denn da Sie von etli-
chen der Umſtehenden, die uͤber Vermuthen einige Thraͤnen an Jhr
merkten, gefraget wurde, warum Sie weinte, und warum Sie ſich
nicht vielmehr als eine Braut auf Jhr Hochzeit-Feſt freuete? ſprach
Sie mit hertzlicher Wehmuth: Wer weiß, ob ich meine Hochzeit
erlebe?
B
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="fsEpicedia" n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0009" n="[9]"/>
          <l>Wohl aber gegenfalls, auf meinem Sterbe-Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
          <l>Sich unter Deiner Hand mein brechend Auge &#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en!</l><lb/>
          <l>So &#x017F;chertzten wir gar offt aus ba&#x0364;nglich-froher Bru&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>Und allzeit blieb ein Kuß das Siegel keu&#x017F;cher Lu&#x017F;t;</l><lb/>
          <l>Doch vielmahl &#x017F;tund Dir gar das Auge voller Za&#x0364;hren,</l><lb/>
          <l>Als &#x017F;agte mir Dein Hertz: Wie lange wird es wa&#x0364;hren?</l><lb/>
          <l>So nimmt mich Dir der Tod, &#x017F;o wird das Band getrennt,</l><lb/>
          <l>Das die Zufriedenheit ihr ho&#x0364;ch&#x017F;tes Gut genennt.</l><lb/>
          <l>Ach, &#x017F;prach&#x017F;t Du: Glu&#x0364;ck und Lu&#x017F;t &#x017F;ind leichte Spinne-Weben:</l><lb/>
          <l>Wer weiß, la&#x0364;ßt mich der Tod mein Hochzeit-Fe&#x017F;t erleben<hi rendition="#i">?</hi> <note place="foot" n="(c)">So &#x017F;agte die <hi rendition="#fr">Wohl&#x017F;eelige</hi> in&#x017F;onderheit, da Sie am er&#x017F;ten O&#x017F;ter-<lb/>
Feyertage &#x017F;ich zwar zu klagen anfieng, gleichwohl aber Jhr neu verfer-<lb/>
tigtes Braut-Kleid zum er&#x017F;ten mahl anzog. Denn da Sie von etli-<lb/>
chen der Um&#x017F;tehenden, die u&#x0364;ber Vermuthen einige Thra&#x0364;nen an Jhr<lb/>
merkten, gefraget wurde, warum Sie weinte, und warum Sie &#x017F;ich<lb/>
nicht vielmehr als eine Braut auf Jhr Hochzeit-Fe&#x017F;t freuete? &#x017F;prach<lb/>
Sie mit hertzlicher Wehmuth: <hi rendition="#fr">Wer weiß, ob ich meine Hochzeit<lb/>
erlebe?</hi></note></l>
        </lg><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>Wie gieng mir das durchs Hertz? Doch faßte &#x017F;ich mein Gei&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>Und wenn die Liebe &#x017F;on&#x017F;t was Bitter-Su&#x0364;&#x017F;&#x017F;es heißt:</l><lb/>
          <l>So glaubt auch ich zugleich, mein bittres Mißvergnu&#x0364;gen</l><lb/>
          <l>Jn &#x017F;tiller Su&#x0364;ßigkeit der Hoffnung zu be&#x017F;iegen.</l><lb/>
          <l>Ein Kuß, ein Blick von Dir riß alle Furcht dahin,</l><lb/>
          <l>Du meine Lu&#x017F;t im Harm, Du meine <hi rendition="#fr">Bo&#x0364;ttnerin,</hi></l><lb/>
          <l>Jch blieb bey meinem Tro&#x017F;t, ich &#x017F;tu&#x0364;tzte mein Vertrauen,</l><lb/>
          <l>Durch Dich mir auf der Welt ein Himmelreich zu bauen.</l><lb/>
          <l>Wie offt vergaß ich mein, &#x017F;o bald ich Dein gedacht!</l><lb/>
          <l>So &#x017F;tark war gegen Dich der Liebe reine Macht:</l><lb/>
          <l>Drum wurden Furcht und Gram zu Hoffnung, Ruh und Glu&#x0364;cke,</l><lb/>
          <l>Die Tage Stunden gleich, die Stunden Augenblicke.</l><lb/>
          <l>So offt mein Tage-Werk vergnu&#x0364;gt zu Ende gieng,</l><lb/>
          <l>So flog mein froher Fuß, daß Dich mein Arm umfieng,</l><lb/>
          <l>So &#x017F;chien &#x017F;ich Wun&#x017F;ch und Lu&#x017F;t be&#x017F;ta&#x0364;ndig zu verneuern,</l><lb/>
          <l>Als ha&#x0364;tt ich &#x017F;tets bey Dir ein Freuden-Fe&#x017F;t zu feyern.</l><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">B</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Wie</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[9]/0009] Wohl aber gegenfalls, auf meinem Sterbe-Kuͤſſen, Sich unter Deiner Hand mein brechend Auge ſchluͤſſen! So ſchertzten wir gar offt aus baͤnglich-froher Bruſt, Und allzeit blieb ein Kuß das Siegel keuſcher Luſt; Doch vielmahl ſtund Dir gar das Auge voller Zaͤhren, Als ſagte mir Dein Hertz: Wie lange wird es waͤhren? So nimmt mich Dir der Tod, ſo wird das Band getrennt, Das die Zufriedenheit ihr hoͤchſtes Gut genennt. Ach, ſprachſt Du: Gluͤck und Luſt ſind leichte Spinne-Weben: Wer weiß, laͤßt mich der Tod mein Hochzeit-Feſt erleben? (c) Wie gieng mir das durchs Hertz? Doch faßte ſich mein Geiſt, Und wenn die Liebe ſonſt was Bitter-Suͤſſes heißt: So glaubt auch ich zugleich, mein bittres Mißvergnuͤgen Jn ſtiller Suͤßigkeit der Hoffnung zu beſiegen. Ein Kuß, ein Blick von Dir riß alle Furcht dahin, Du meine Luſt im Harm, Du meine Boͤttnerin, Jch blieb bey meinem Troſt, ich ſtuͤtzte mein Vertrauen, Durch Dich mir auf der Welt ein Himmelreich zu bauen. Wie offt vergaß ich mein, ſo bald ich Dein gedacht! So ſtark war gegen Dich der Liebe reine Macht: Drum wurden Furcht und Gram zu Hoffnung, Ruh und Gluͤcke, Die Tage Stunden gleich, die Stunden Augenblicke. So offt mein Tage-Werk vergnuͤgt zu Ende gieng, So flog mein froher Fuß, daß Dich mein Arm umfieng, So ſchien ſich Wunſch und Luſt beſtaͤndig zu verneuern, Als haͤtt ich ſtets bey Dir ein Freuden-Feſt zu feyern. Wie (c) So ſagte die Wohlſeelige inſonderheit, da Sie am erſten Oſter- Feyertage ſich zwar zu klagen anfieng, gleichwohl aber Jhr neu verfer- tigtes Braut-Kleid zum erſten mahl anzog. Denn da Sie von etli- chen der Umſtehenden, die uͤber Vermuthen einige Thraͤnen an Jhr merkten, gefraget wurde, warum Sie weinte, und warum Sie ſich nicht vielmehr als eine Braut auf Jhr Hochzeit-Feſt freuete? ſprach Sie mit hertzlicher Wehmuth: Wer weiß, ob ich meine Hochzeit erlebe? B

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/542452
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/542452/9
Zitationshilfe: Seidel, Samuel: Schlaf wohl!. 2. Aufl. Lauban, 1733, S. [9]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/542452/9>, abgerufen am 29.04.2024.