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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839.

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schreckhaft floh, wie das scheue Wild des Gebirges. So ver-
lebte ich drei bange Tage.

Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer sandi-
gen Ebene, welche die Sonne beschien, und saß auf Felsen-
trümmern in ihrem Strahl, denn ich liebte jetzt, ihren lang'
entbehrten Anblick zu genießen. Ich nährte still mein Herz
mit seiner Verzweiflung. Da schreckte mich ein leises Geräusch
auf, ich warf, zur Flucht bereit, den Blick um mich her, ich
sah Niemand: aber es kam auf dem sonnigen Sande an mir
vorbei geglitten ein Menschenschatten, dem meinigen nicht
unähnlich, welcher, allein daher wandelnd, von seinem Herrn
abgekommen zu sein schien.

Da erwachte in mir ein mächtiger Trieb: Schatten, dacht'
ich, suchst du deinen Herrn? der will ich sein. Und ich sprang
hinzu, mich seiner zu bemächtigen; ich dachte nämlich, daß,
wenn es mir glückte, in seine Spur zu treten, so, daß er mir
an die Füße käme, er wohl daran hängen bleiben würde, und
sich mit der Zeit an mich gewöhnen.

[Abbildung]

ſchreckhaft floh, wie das ſcheue Wild des Gebirges. So ver-
lebte ich drei bange Tage.

Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer ſandi-
gen Ebene, welche die Sonne beſchien, und ſaß auf Felſen-
trümmern in ihrem Strahl, denn ich liebte jetzt, ihren lang’
entbehrten Anblick zu genießen. Ich nährte ſtill mein Herz
mit ſeiner Verzweiflung. Da ſchreckte mich ein leiſes Geräuſch
auf, ich warf, zur Flucht bereit, den Blick um mich her, ich
ſah Niemand: aber es kam auf dem ſonnigen Sande an mir
vorbei geglitten ein Menſchenſchatten, dem meinigen nicht
unähnlich, welcher, allein daher wandelnd, von ſeinem Herrn
abgekommen zu ſein ſchien.

Da erwachte in mir ein mächtiger Trieb: Schatten, dacht’
ich, ſuchſt du deinen Herrn? der will ich ſein. Und ich ſprang
hinzu, mich ſeiner zu bemächtigen; ich dachte nämlich, daß,
wenn es mir glückte, in ſeine Spur zu treten, ſo, daß er mir
an die Füße käme, er wohl daran hängen bleiben würde, und
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[45/0063] ſchreckhaft floh, wie das ſcheue Wild des Gebirges. So ver- lebte ich drei bange Tage. Ich befand mich am Morgen des vierten auf einer ſandi- gen Ebene, welche die Sonne beſchien, und ſaß auf Felſen- trümmern in ihrem Strahl, denn ich liebte jetzt, ihren lang’ entbehrten Anblick zu genießen. Ich nährte ſtill mein Herz mit ſeiner Verzweiflung. Da ſchreckte mich ein leiſes Geräuſch auf, ich warf, zur Flucht bereit, den Blick um mich her, ich ſah Niemand: aber es kam auf dem ſonnigen Sande an mir vorbei geglitten ein Menſchenſchatten, dem meinigen nicht unähnlich, welcher, allein daher wandelnd, von ſeinem Herrn abgekommen zu ſein ſchien. Da erwachte in mir ein mächtiger Trieb: Schatten, dacht’ ich, ſuchſt du deinen Herrn? der will ich ſein. Und ich ſprang hinzu, mich ſeiner zu bemächtigen; ich dachte nämlich, daß, wenn es mir glückte, in ſeine Spur zu treten, ſo, daß er mir an die Füße käme, er wohl daran hängen bleiben würde, und ſich mit der Zeit an mich gewöhnen. [Abbildung]

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte. Nürnberg, 1839, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/Yw_7531_1/63>, abgerufen am 26.04.2024.