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Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.

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Gedanken, einander in Briefen das mitzuteilen, woran sie durch die Anwesenheit der andern gehindert waren. Diese Idee wurde zur That und wir verdanken ihr zwei Bände sehr interessanter, merkwürdiger Briefe Madame Rolands an die Schwestern Cannet.

Manon hatte ihren zwölften Geburtstag im Hause ihrer Grossmutter verbracht. Der Friede in diesem Hause und die Frömmigkeit der Tante Angelique entsprachen ganz besonders ihrem empfindsamen, andächtigen Gemütszustande. Jeden Morgen ging sie mit Tante Angelique in die Kirche, um die Messe zu hören. Sie hatte den geheimen Plan, sich dem Klosterleben zu weihen. Francois de Sales, einer der liebenswürdigsten Heiligen aus dem Paradiese, hatte es ihr angetan. Da sie aber das einzige Kind ihrer Eltern war, dachte sie, dass sie ihr dazu kaum ihre Einwilligung geben würden. Sie fügte sich in ihr Schicksal und wollte mit der Ausführung dieses Planes bis zu ihrer Grossjährigkeit warten.

Der Vater war wieder regelmässig zu Hause, und Manon konnte endlich zu ihrer Mutter zurückkehren. Auch daheim, wurde der fleissige Besuch der Kirche nicht unterlassen. Manon ging jeden Morgen mit ihrer Mutter in die Messe. Nachher wurden meist Besorgungen gemacht, dann kam ein Lehrer nach dem andern. Nach dem Mittagessen zog sie sich in ihre Stube zurück, um zu lesen, zu schreiben und nachzusinnen. Die langen Abende wurden zu Handarbeiten verwendet, wobei Frau Phlipon stundenlang vorlas. Von allem, was ihr vorgelesen wurde, besonders aber von dem, was sie selbst las, machte Manon regelmässig Auszüge und schrieb die Stellen, die ihr besonders gefielen, nieder. Bei all ihrem Lerneifer und der Begierde sich zu bilden, ging sie ganz und gar nicht planmässig vor, sie hatte nur ein Ziel, zu wissen und sich zu unterrichten, sie musste den Tätigkeitstrieb ihres Geistes beschäftigen, und ihre ernsten Neigungen fördern, sie bedurfte des Glückes, sie konnte es nur in der völligen Entwicklung ihrer Anlagen finden, es schien ihr, in ihrer Betätigung zu bestehen.

Gedanken, einander in Briefen das mitzuteilen, woran sie durch die Anwesenheit der andern gehindert waren. Diese Idee wurde zur That und wir verdanken ihr zwei Bände sehr interessanter, merkwürdiger Briefe Madame Rolands an die Schwestern Cannet.

Manon hatte ihren zwölften Geburtstag im Hause ihrer Grossmutter verbracht. Der Friede in diesem Hause und die Frömmigkeit der Tante Angélique entsprachen ganz besonders ihrem empfindsamen, andächtigen Gemütszustande. Jeden Morgen ging sie mit Tante Angélique in die Kirche, um die Messe zu hören. Sie hatte den geheimen Plan, sich dem Klosterleben zu weihen. François de Sales, einer der liebenswürdigsten Heiligen aus dem Paradiese, hatte es ihr angetan. Da sie aber das einzige Kind ihrer Eltern war, dachte sie, dass sie ihr dazu kaum ihre Einwilligung geben würden. Sie fügte sich in ihr Schicksal und wollte mit der Ausführung dieses Planes bis zu ihrer Grossjährigkeit warten.

Der Vater war wieder regelmässig zu Hause, und Manon konnte endlich zu ihrer Mutter zurückkehren. Auch daheim, wurde der fleissige Besuch der Kirche nicht unterlassen. Manon ging jeden Morgen mit ihrer Mutter in die Messe. Nachher wurden meist Besorgungen gemacht, dann kam ein Lehrer nach dem andern. Nach dem Mittagessen zog sie sich in ihre Stube zurück, um zu lesen, zu schreiben und nachzusinnen. Die langen Abende wurden zu Handarbeiten verwendet, wobei Frau Phlipon stundenlang vorlas. Von allem, was ihr vorgelesen wurde, besonders aber von dem, was sie selbst las, machte Manon regelmässig Auszüge und schrieb die Stellen, die ihr besonders gefielen, nieder. Bei all ihrem Lerneifer und der Begierde sich zu bilden, ging sie ganz und gar nicht planmässig vor, sie hatte nur ein Ziel, zu wissen und sich zu unterrichten, sie musste den Tätigkeitstrieb ihres Geistes beschäftigen, und ihre ernsten Neigungen fördern, sie bedurfte des Glückes, sie konnte es nur in der völligen Entwicklung ihrer Anlagen finden, es schien ihr, in ihrer Betätigung zu bestehen.

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        <p>Der Vater war wieder regelmässig zu Hause, und Manon konnte endlich zu ihrer Mutter zurückkehren. Auch daheim, wurde der fleissige Besuch der Kirche nicht unterlassen. Manon ging jeden Morgen mit ihrer Mutter in die Messe. Nachher wurden meist Besorgungen gemacht, dann kam ein Lehrer nach dem andern. Nach dem Mittagessen zog sie sich in ihre Stube zurück, um zu lesen, zu schreiben und nachzusinnen. Die langen Abende wurden zu Handarbeiten verwendet, wobei Frau Phlipon stundenlang vorlas. Von allem, was ihr vorgelesen wurde, besonders aber von dem, was sie selbst las, machte Manon regelmässig Auszüge und schrieb die Stellen, die ihr besonders gefielen, nieder. Bei all ihrem Lerneifer und der Begierde sich zu bilden, ging sie ganz und gar nicht planmässig vor, sie hatte nur ein Ziel, zu wissen und sich zu unterrichten, sie musste den Tätigkeitstrieb ihres Geistes beschäftigen, und ihre ernsten Neigungen fördern, sie bedurfte des Glückes, sie konnte es nur in der völligen Entwicklung ihrer Anlagen finden, es schien ihr, in ihrer Betätigung zu bestehen.</p>
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[70/0089] Gedanken, einander in Briefen das mitzuteilen, woran sie durch die Anwesenheit der andern gehindert waren. Diese Idee wurde zur That und wir verdanken ihr zwei Bände sehr interessanter, merkwürdiger Briefe Madame Rolands an die Schwestern Cannet. Manon hatte ihren zwölften Geburtstag im Hause ihrer Grossmutter verbracht. Der Friede in diesem Hause und die Frömmigkeit der Tante Angélique entsprachen ganz besonders ihrem empfindsamen, andächtigen Gemütszustande. Jeden Morgen ging sie mit Tante Angélique in die Kirche, um die Messe zu hören. Sie hatte den geheimen Plan, sich dem Klosterleben zu weihen. François de Sales, einer der liebenswürdigsten Heiligen aus dem Paradiese, hatte es ihr angetan. Da sie aber das einzige Kind ihrer Eltern war, dachte sie, dass sie ihr dazu kaum ihre Einwilligung geben würden. Sie fügte sich in ihr Schicksal und wollte mit der Ausführung dieses Planes bis zu ihrer Grossjährigkeit warten. Der Vater war wieder regelmässig zu Hause, und Manon konnte endlich zu ihrer Mutter zurückkehren. Auch daheim, wurde der fleissige Besuch der Kirche nicht unterlassen. Manon ging jeden Morgen mit ihrer Mutter in die Messe. Nachher wurden meist Besorgungen gemacht, dann kam ein Lehrer nach dem andern. Nach dem Mittagessen zog sie sich in ihre Stube zurück, um zu lesen, zu schreiben und nachzusinnen. Die langen Abende wurden zu Handarbeiten verwendet, wobei Frau Phlipon stundenlang vorlas. Von allem, was ihr vorgelesen wurde, besonders aber von dem, was sie selbst las, machte Manon regelmässig Auszüge und schrieb die Stellen, die ihr besonders gefielen, nieder. Bei all ihrem Lerneifer und der Begierde sich zu bilden, ging sie ganz und gar nicht planmässig vor, sie hatte nur ein Ziel, zu wissen und sich zu unterrichten, sie musste den Tätigkeitstrieb ihres Geistes beschäftigen, und ihre ernsten Neigungen fördern, sie bedurfte des Glückes, sie konnte es nur in der völligen Entwicklung ihrer Anlagen finden, es schien ihr, in ihrer Betätigung zu bestehen.

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Zitationshilfe: Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/89>, abgerufen am 01.05.2024.