In seiner ganzen Würde hatte er sich erho¬ ben und gesprochen. Charlotte hatte ihn nie so gesehen. Der Zorn strömte über die Lippen, bis vor dem Redefluß des Kindermädchens allzeit fertige Zunge verstummte. Sie war erschrocken zurückgetre¬ ten, bis sie sich selbst verwundert an der Thüre fand; aber der Geheimerath schritt noch in der Stube auf und ab.
Charlotte hatte leise zu weinen angefangen: "Aber Herr Geheimerath, um solche Kleinigkeit!"
"Eine Kleinigkeit die Angst besorgter Eltern um ihre Kinder! -- Fünf Stunden von Hause fort ohne eine Sterbenssylbe mir zurückzulassen, und die Klei¬ nen mitgenommen, ohne um Erlaubniß zu fragen!"
"Herr Geheimerath, schluchzte sie, haben nie nach gefragt, ich weiß auch gar nicht warum jetzt!"
"Schweige Sie! fuhr der Hausherr fort. Sie hat kein Einsehen, keine Moralität. Sie mißbraucht
I. 1
Erſtes Kapitel. Die Kindesmörderin.
„Und darum eben,“ ſchloß der Geheimerath.
In ſeiner ganzen Würde hatte er ſich erho¬ ben und geſprochen. Charlotte hatte ihn nie ſo geſehen. Der Zorn ſtrömte über die Lippen, bis vor dem Redefluß des Kindermädchens allzeit fertige Zunge verſtummte. Sie war erſchrocken zurückgetre¬ ten, bis ſie ſich ſelbſt verwundert an der Thüre fand; aber der Geheimerath ſchritt noch in der Stube auf und ab.
Charlotte hatte leiſe zu weinen angefangen: „Aber Herr Geheimerath, um ſolche Kleinigkeit!“
„Eine Kleinigkeit die Angſt beſorgter Eltern um ihre Kinder! — Fünf Stunden von Hauſe fort ohne eine Sterbensſylbe mir zurückzulaſſen, und die Klei¬ nen mitgenommen, ohne um Erlaubniß zu fragen!“
„Herr Geheimerath, ſchluchzte ſie, haben nie nach gefragt, ich weiß auch gar nicht warum jetzt!“
„Schweige Sie! fuhr der Hausherr fort. Sie hat kein Einſehen, keine Moralität. Sie mißbraucht
I. 1
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Erſtes Kapitel.
Die Kindesmörderin.
„Und darum eben,“ ſchloß der Geheimerath.
In ſeiner ganzen Würde hatte er ſich erho¬
ben und geſprochen. Charlotte hatte ihn nie ſo
geſehen. Der Zorn ſtrömte über die Lippen, bis vor
dem Redefluß des Kindermädchens allzeit fertige
Zunge verſtummte. Sie war erſchrocken zurückgetre¬
ten, bis ſie ſich ſelbſt verwundert an der Thüre fand;
aber der Geheimerath ſchritt noch in der Stube auf
und ab.
Charlotte hatte leiſe zu weinen angefangen:
„Aber Herr Geheimerath, um ſolche Kleinigkeit!“
„Eine Kleinigkeit die Angſt beſorgter Eltern um
ihre Kinder! — Fünf Stunden von Hauſe fort ohne
eine Sterbensſylbe mir zurückzulaſſen, und die Klei¬
nen mitgenommen, ohne um Erlaubniß zu fragen!“
„Herr Geheimerath, ſchluchzte ſie, haben nie
nach gefragt, ich weiß auch gar nicht warum jetzt!“
„Schweige Sie! fuhr der Hausherr fort. Sie hat
kein Einſehen, keine Moralität. Sie mißbraucht
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/15>, abgerufen am 26.03.2023.
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