Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Schauer der Ahnung, das Wesen der Wunder, welche
die Welt erfüllen. Wir kommen nicht fort ohne den
Glauben daran, auch wenn wir uns mathematisch
beweisen, daß es keine Hexenmeister giebt und keine
Gespenster um die Grüfte schweben. Haben wir nicht
Geister citirt, von denen unsere Väter nichts wußten!
Wie anders, lebensfrisch schau'n uns schon jetzt die
Alten an, als die Philologen mit den Perücken sie
sahen! Lebt nicht der brittische Riese unter uns, ein
geharrnischter Geist, der unsere Theatermisere zertritt!
Citirten wir nicht Dante, nicht Calderon aus seinem
vergessenen Grabe? Diese können sie nie wieder todt
machen, sie werden leben, und noch vieles mit ihnen,
und wir mit Stolz sagen, wir wurden ihre zweiten Väter!"

"Das ist alles recht schön, entgegnete Louis.
Wenn die Geister nur Mark und Bein bekämen, wenn
sie unseren Geheimeräthen und Ministern einen
Rippenstoß geben könnten, und einen Feuerhauch
durch die Seelen unserer Philister jagen. Da's aber
nicht ist, bin ich doch der Meinung Deines Gärtners,
daß unser Boden nur zu Kartoffeln taugt. Sind
sie nicht ein herrliches vaterländisches Gewächs, und
Vetter Michel ein dito Mensch? Er grämt sich nicht,
er schämt sich nicht, erträgt Fußtritte und Prügel wie
der Esel, wenn er nur Kartoffeln hat; und item:

Sag' mir nichts von gutem Boden,
Nichts von Magdeburger Land,
Selig ruhen uns're Todten
In dem leichten kühlen Sand."

Schauer der Ahnung, das Weſen der Wunder, welche
die Welt erfüllen. Wir kommen nicht fort ohne den
Glauben daran, auch wenn wir uns mathematiſch
beweiſen, daß es keine Hexenmeiſter giebt und keine
Geſpenſter um die Grüfte ſchweben. Haben wir nicht
Geiſter citirt, von denen unſere Väter nichts wußten!
Wie anders, lebensfriſch ſchau'n uns ſchon jetzt die
Alten an, als die Philologen mit den Perücken ſie
ſahen! Lebt nicht der brittiſche Rieſe unter uns, ein
geharrniſchter Geiſt, der unſere Theatermiſére zertritt!
Citirten wir nicht Dante, nicht Calderon aus ſeinem
vergeſſenen Grabe? Dieſe können ſie nie wieder todt
machen, ſie werden leben, und noch vieles mit ihnen,
und wir mit Stolz ſagen, wir wurden ihre zweiten Väter!“

„Das iſt alles recht ſchön, entgegnete Louis.
Wenn die Geiſter nur Mark und Bein bekämen, wenn
ſie unſeren Geheimeräthen und Miniſtern einen
Rippenſtoß geben könnten, und einen Feuerhauch
durch die Seelen unſerer Philiſter jagen. Da's aber
nicht iſt, bin ich doch der Meinung Deines Gärtners,
daß unſer Boden nur zu Kartoffeln taugt. Sind
ſie nicht ein herrliches vaterländiſches Gewächs, und
Vetter Michel ein dito Menſch? Er grämt ſich nicht,
er ſchämt ſich nicht, erträgt Fußtritte und Prügel wie
der Eſel, wenn er nur Kartoffeln hat; und item:

Sag' mir nichts von gutem Boden,
Nichts von Magdeburger Land,
Selig ruhen unſ're Todten
In dem leichten kühlen Sand.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0186" n="172"/>
Schauer der Ahnung, das We&#x017F;en der Wunder, welche<lb/>
die Welt erfüllen. Wir kommen nicht fort ohne den<lb/>
Glauben daran, auch wenn wir uns mathemati&#x017F;ch<lb/>
bewei&#x017F;en, daß es keine Hexenmei&#x017F;ter giebt und keine<lb/>
Ge&#x017F;pen&#x017F;ter um die Grüfte &#x017F;chweben. Haben wir nicht<lb/>
Gei&#x017F;ter citirt, von denen un&#x017F;ere Väter nichts wußten!<lb/>
Wie anders, lebensfri&#x017F;ch &#x017F;chau'n uns &#x017F;chon jetzt die<lb/>
Alten an, als die Philologen mit den Perücken &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ahen! Lebt nicht der britti&#x017F;che Rie&#x017F;e unter uns, ein<lb/>
geharrni&#x017F;chter Gei&#x017F;t, der un&#x017F;ere Theatermi&#x017F;<hi rendition="#aq">é</hi>re zertritt!<lb/>
Citirten wir nicht Dante, nicht Calderon aus &#x017F;einem<lb/>
verge&#x017F;&#x017F;enen Grabe? Die&#x017F;e können &#x017F;ie nie wieder todt<lb/>
machen, &#x017F;ie werden leben, und noch vieles mit ihnen,<lb/>
und wir mit Stolz &#x017F;agen, wir wurden ihre zweiten Väter!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t alles recht &#x017F;chön, entgegnete Louis.<lb/>
Wenn die Gei&#x017F;ter nur Mark und Bein bekämen, wenn<lb/>
&#x017F;ie un&#x017F;eren Geheimeräthen und Mini&#x017F;tern einen<lb/>
Rippen&#x017F;toß geben könnten, und einen Feuerhauch<lb/>
durch die Seelen un&#x017F;erer Phili&#x017F;ter jagen. Da's aber<lb/>
nicht i&#x017F;t, bin ich doch der Meinung Deines Gärtners,<lb/>
daß un&#x017F;er Boden nur zu Kartoffeln taugt. Sind<lb/>
&#x017F;ie nicht ein herrliches vaterländi&#x017F;ches Gewächs, und<lb/>
Vetter Michel ein dito Men&#x017F;ch? Er grämt &#x017F;ich nicht,<lb/>
er &#x017F;chämt &#x017F;ich nicht, erträgt Fußtritte und Prügel wie<lb/>
der E&#x017F;el, wenn er nur Kartoffeln hat; und item:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l rendition="#et">Sag' mir nichts von gutem Boden,</l><lb/>
          <l rendition="#et">Nichts von Magdeburger Land,</l><lb/>
          <l rendition="#et">Selig ruhen un&#x017F;'re Todten</l><lb/>
          <l rendition="#et">In dem leichten kühlen Sand.&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0186] Schauer der Ahnung, das Weſen der Wunder, welche die Welt erfüllen. Wir kommen nicht fort ohne den Glauben daran, auch wenn wir uns mathematiſch beweiſen, daß es keine Hexenmeiſter giebt und keine Geſpenſter um die Grüfte ſchweben. Haben wir nicht Geiſter citirt, von denen unſere Väter nichts wußten! Wie anders, lebensfriſch ſchau'n uns ſchon jetzt die Alten an, als die Philologen mit den Perücken ſie ſahen! Lebt nicht der brittiſche Rieſe unter uns, ein geharrniſchter Geiſt, der unſere Theatermiſére zertritt! Citirten wir nicht Dante, nicht Calderon aus ſeinem vergeſſenen Grabe? Dieſe können ſie nie wieder todt machen, ſie werden leben, und noch vieles mit ihnen, und wir mit Stolz ſagen, wir wurden ihre zweiten Väter!“ „Das iſt alles recht ſchön, entgegnete Louis. Wenn die Geiſter nur Mark und Bein bekämen, wenn ſie unſeren Geheimeräthen und Miniſtern einen Rippenſtoß geben könnten, und einen Feuerhauch durch die Seelen unſerer Philiſter jagen. Da's aber nicht iſt, bin ich doch der Meinung Deines Gärtners, daß unſer Boden nur zu Kartoffeln taugt. Sind ſie nicht ein herrliches vaterländiſches Gewächs, und Vetter Michel ein dito Menſch? Er grämt ſich nicht, er ſchämt ſich nicht, erträgt Fußtritte und Prügel wie der Eſel, wenn er nur Kartoffeln hat; und item: Sag' mir nichts von gutem Boden, Nichts von Magdeburger Land, Selig ruhen unſ're Todten In dem leichten kühlen Sand.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/186
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/186>, abgerufen am 28.04.2024.